Norderstedt. Die Stadt Norderstedt war bei der Zwangsversteigerung vor dem Amtsgericht nicht der einzige Bieter – nun wird es kompliziert.
- Illegale Mülldeponie in Norderstedt: Zweiter Bieter sorgt für Unruhe
- Eigentümer selbst sind seit 2018 mehr oder weniger verschollen
- Zwangsversteigerung von Norderstedter Skandalgrundstück: In 14 Tagen gibt es einen zweiten Termin
Die illegale, 15.000 Kubikmeter große Mülldeponie auf dem Grundstück der Familie Gieschen in Friedrichsgabe bleibt eine überaus komplizierte Angelegenheit. Das zeigte sich nun bei der Zwangsversteigerung im Amtsgericht Norderstedt. Denn diese verlief nicht so, wie es alle Beteiligten geplant hatten. Im Gegenteil: Ein überraschender zweiter Bieter sorgte für Unruhe – und eine weitere Verzögerung.
Illegale Mülldeponie: Kauf des Grundstücks für Norderstedt fest eingeplant
Zum Hintergrund: Wie berichtet, hatten sich die Stadt und die Landesregierung im vergangenen Dezember auf ein Verfahren geeinigt, um den Schandfleck endlich beseitigen zu können. Demnach sollte Norderstedt das Gelände ersteigern, dann weiterverkaufen, sodass mit dem Erlös die geschätzt 3,8 Millionen Euro teure Räumung teilweise finanziert werden könnte. Bekanntlich sind die Eigentümer selbst seit 2018 mehr oder weniger verschollen, höchstwahrscheinlich im Ausland. Von ihnen ist nicht zu erwarten, dass sie für den Schaden aufkommen. Vielmehr laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kiel wegen des unerlaubten Umgangs mit Abfällen.
Für die Zwangsversteigerung ist Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder, unterstützt von weiteren Vertreterinnen und Vertreter aus dem Rathaus, persönlich im Saal C vor Ort. Sie hatte auch die Verhandlungen mit dem Land geführt, der Fall ist seit langer Zeit Chefinnensache. „Für die Eigentümer ist niemand hier“, stellt der zuständige Rechtspfleger Marco Faron nach einer Frage in den Raum fest.
Das ist keine Überraschung. Auch das Abendblatt hatte in den letzten Jahren vergeblich versucht, einen Kontakt zu den Gieschens aufzunehmen. Die Familie hat Schulden bei der Stadt, es geht um nicht erfolgte Zahlungen von grundstücksbezogenen Benutzungsgebühren und von Straßenbaubeiträgen. All das liegt Jahre zurück, war aber Grundlage für den im Januar 2019 getätigten Beschluss zur Beschlagnahmung.
Oberbürgermeisterin gibt Gebot über 2384,18 Euro ab
Der Verkehrswert für die 4878 Quadratmeter große Fläche beträgt nur 1 Euro, wie das Gericht auf Basis eines Gutachtens sowie eines Berichtes des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume festgelegt hat. Da Verfahrenskosten hinzukommen, ist das tatsächliche Mindestgebot höher. „Frau Roeder gibt ein Gebot von 2384,18 Euro ab“, sagt Faron, nachdem die Oberbürgermeisterin nach vorne getreten ist, sich ausgewiesen und besagte Summe schriftlich vorgelegt hat.
Um 11.14 Uhr scheint die Sache erledigt. Mehr als 30 Minuten darf die Zwangsversteigerung nicht dauern. „Wir sitzen so lange hier, bis das höchste Gebot nach dreimaligem Aufrufen nicht mehr überboten wird.“ Das hatte der Rechtspfleger erklärt. Und wer sonst sollte auch Interesse an einem Besitz haben? Doch fünf Minuten später öffnet sich die Tür. Ein Mann – wie sich später herausstellte, ein gewisser Jagtar Singh aus Hamburg – eilt hinein. Er hat Zettel mit handschriftlichen Notizen dabei. „Sie können hier mitbieten“, teilt ihm Faron mit. „Dann 2400 Euro“, entgegnet Singh. Er wird nach vorne gebeten. „Haben Sie einen Personalausweis dabei?“ Hat er nicht. „Wir brauchen den Ausweis jetzt hier.“ Singh zeigt ihm etwas auf dem Mobiltelefon. Faron verzieht skeptisch das Gesicht. „Wir haben mehrere Gebote vorliegen. Es gilt zu prüfen, ob dieses Gebot zugelassen werden kann.“ Um 11.33 unterbricht das Amtsgericht für eine Beratungspause.
Skurril: Der Bieter hat seinen Ausweis vergessen und eilt zum Auto
Vor der Tür zieht Jagtar Singh misstrauische Blicke auf sich. Warum sollte ausgerechnet dieses Skandalgrundstück für ihn attraktiv sein? Alles scheint sehr spontan abzulaufen. Er wollte offenbar im Namen einer gleichnamigen UG bieten. Dann ruft Marco Faron wieder in den Saal, es ist 11.50 Uhr. „Ich weise das Gebot zurück. Es liegt ein Mangel an Ausweisung durch Herrn Singh vor“, lautet die Entscheidung. „Vielleicht liegt mein Ausweis im Kofferraum?“, entgegnet der Bieter. Und eilt hinaus.
Faron fährt fort. Aber er warnt bereits: „Wir können heute keinen Zuschlag erteilen.“ Denn es gibt eine gesetzliche Widerspruchsfrist von 14 Tagen. Um 12 Uhr ist von Jagtar Singh keine Spur. Faron blickt zur Tür. „Die letzte Minute der zugelassenen Bietezeit hat zu laufen begonnen.“ Dann ruft er dreimal das Gebot der Stadt auf: 2384,18 Euro. „Sollen weitere Gebote abgegeben werden?“ Niemand sagt etwas. Jagtar Singh kommt zurück. „Ich habe den Ausweis nicht gefunden.“ Faron fragt, ob er das Gebot zurücknehmen wolle. Nein, im Gegenteil. „Ich schreibe meinem Anwalt.“ Der Rechtspfleger fragt in Richtung der Oberbürgermeisterin. „Die Stadt beantragt Zuschlagserteilung?“ Elke Christina Roeder bestätigt: „Tut sie.“
In 14 Tagen gibt es einen zweiten Termin
Und Singh? „Ich möchte Widerspruch einlegen. Ich berate mit meinem Rechtsanwalt, wie es weitergeht.“ Faron scheint latent genervt. Offenbar hatte ihm der Überraschungsbieter gesagt, dass er sich auskenne mit Zwangsversteigerungen. Aber dann hätte er doch von der Ausweispflicht wissen müssen? „In 30 Minuten ist mein Ausweis hier, kein Problem“, behauptet Singh. Doch die Frist ist für den Moment abgelaufen. Am 6. Mai, wieder um 10 Uhr im Saal C, wird es einen zweiten Termin geben. Klar ist: Die Räumung des Müllberges kann nur stattfinden, wenn die Stadt Norderstedt das Grundstück ersteigert.
Jagtar Singh möchte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern, warum er oder seine Gesellschaft Interesse an dem Grundstück hat. Nur so viel: Er wisse von der Vorgeschichte um die illegale Müllentsorgung.
Die Stadt bleibt gelassen. „Dass bei der Zwangsversteigerung neben der Stadt Norderstedt ein weiterer (privater) Mitbieter aufgetreten ist, ist nicht ungewöhnlich oder gänzlich unerwartet“, schreibt Sprecher Fabian Schindler. „Die Stadt Norderstedt kann weder einschätzen, ob es tatsächlich einen Einspruch von Seiten des Mitbieters geben wird, noch, ob einem solchen vom Gericht letztlich auch stattgegeben wird.“ Das grundsätzliche Ziel bleibt bestehen. „Die Stadt war und ist bestrebt, das Gelände der Firma Gieschen zu ersteigern, um auf dem gemeinsam mit dem Land aufgezeigten Weg die nach wie vor bestehenden Missstände endlich zu beenden und den über Jahre hinweg illegal angehäuften Müll abtragen zu können.“