Norderstedt. Seit sechs Jahren darf die Stadt Jagd auf Raser machen. Mit Erfolg: Weniger Lärm, mehr Sicherheit – und viel Bußgeld in der Kasse.
Vor knapp sechs Jahren stieg die Stadt Norderstedt in die Verkehrsüberwachung in ihren Stadtgrenzen ein und übernahm die „hoheitliche Aufgabe“ vom Kreis Segeberg. Ziel des Blitzgewitters mit stationären Blitzersäulen und mobilen Radargeräten war und ist die Lärmminderung und das Einhegen der Raserei. Doch nach sechs Jahren kann man auch sagen: das Blitzen ist vor allem eine lukrative Einnahmequelle für den Stadthaushalt.
So hat Norderstedt im vergangenen Jahr 290.000 Euro Überschuss aus dem Betrieb der mobilen und stationären Messgeräte erzielt, um Temposünder und Rotlichtverstöße mit Bußgeldern zu ahnden. „Seit Beginn der Verkehrsüberwachung im September 2016 bis zum 31. Dezember 2021 wurden 271.000 Geschwindigkeitsverstöße verzeichnet“, berichtet Stadtsprecherin Nina Wrage. Seit dieser Zeit hat die Stadt Norderstedt rund 6,7 Millionen Euro an Bußgeldern eingenommen.
Radarkontrolle: Norderstedt zählt weniger Raser als früher
Das Ziel Verkehrssicherheit im Stadtgebiet scheint durch die Blitzerei erreicht. In der Jahresbilanz des städtischen Ordnungsamtes fällt auf, dass die Zahl der Geschwindigkeitsübertretungen stetig zurückgeht. „Erfreulich ist, dass sich die Zahl der festgestellten Verstöße seit Beginn der Überwachung in 2016 mehr als halbiert hat“, sagt Wrage. „2017 gab es noch etwa 80.000 festgestellte Geschwindigkeits- und Rotlichtverstöße.“ Im vorigen Jahr lag diese Zahl bei 31.440 amtlich festgestellten Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr.
Hauptgrund dafür dürfte auch eine Art „Gewöhnungseffekt“ sein, wie Fachdienstleiter Andreas Finster im November 2021 gegenüber dem Abendblatt erklärte. Die Autofahrerinnen und Autofahrer kennen die neuralgischen Blitzer-Zonen – und fahren entsprechend langsam. Zu hoffen ist, dass sie dies nicht nur in den neuralgischen Zonen tun, sondern auch davor und dahinter. „Wir wollen, dass die Auto- und Motorradfahrer sich an die Tempolimits halten und langsamer fahren, damit es in den Wohngebieten vor allem abends und nachts leiser und ruhiger für die Anwohner wird“, sagte damals Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder.
Neue Taktik: Weniger stationäres, mehr mobiles Blitzen
Im November 2021 war es auch, als die Stadt ihre Taktik beim Blitzen veränderte – weg vom für den Verkehr berechenbaren, stationären Blitzen, hin zum unberechenbaren, mobilen Blitzen. Dafür wurde „Susi“ eingekauft, wie das klobige, schwarze etwa 1,3 Tonnen schwere Gerät verwaltungsintern liebevoll getauft wurde. „Susi“ ist der erste mobile Tempo-Messkasten in Norderstedt. Für sie wurden die beiden Tempo-Messsäulen an der Poppenbütteler und an der Oadby-and-Wigston-Straße abgebaut.
„Susi“ ist als Anhänger überall im Stadtgebiet autark und personalfrei einsatzfähig. Und sie hat gut zu tun und liefert fleißig Knöllchen: bereits 25-mal kam „Susi“ 2021 zum Einsatz, vor allem nachts und in Wohngebieten, und konnte dabei 1930 Temposünder dokumentieren.
Blitzersäulen gibt es jetzt nur noch an der Schleswig-Holstein-Straße und vor der Grundschule an der Niendorfer Straße. Die Bilanz der ursprünglich vier Säulen in den letzten sechs Jahren zeigt, dass die Geschwindigkeitsüberschreitungen stetig zurückgingen. 2018 waren es noch etwa 56.000, 2019 genau 41.081, 2020 nur noch 27.250 und 2021 mit 28.058 nur knapp mehr. Jeweils die Hälfte davon wurde in Norderstedts Raserstrecke Nummer eins erwischt, an der Ampel zum Arriba-Sommerparkplatz an der Schleswig-Holstein-Straße. Die Entwicklung entspricht einem Rückgang der Temposünder von zwei Dritteln im vergleich von 2017 und heute.
„Das bedeutet, dass die Blitzanlagen Wirkung gezeigt haben“, sagt Oberbürgermeisterin Roeder. Jedoch: Es lasse sich beobachten, dass vor und hinter den festinstallierten Anlagen der eine oder andere Verkehrsteilnehmer wieder kräftig aufs Gaspedal trete. Auch das sei ein Grund dafür, dass die Stadt jetzt verstärkt auf eine mobile Verkehrsüberwachung setze.
Rotlicht sehen einige Autofahrer eher als Angebot – nicht als Gebot
Ein völlig gegenläufiger Effekt zeigt sich bei den Rotlicht-Blitzern, die weiterhin an vier Kreuzungen in Norderstedt fest installiert sind. Immer mehr Autofahrer sind offenbar nicht gewillt, sich in Norderstedt an das Haltegebot vor roten Ampeln zu halten. Die Zahl der Rotlichtsünder hat sich seit 2019, als es 542 waren, auf jetzt 1942 fast vervierfacht. Wobei allein an der Ampel der Kreuzung Ohechaussee mit dem Schäferkamp die Rotlichtverstöße von 124 auf 1430 fast explodiert sind – allerdings ging der Blitzer hier auch erst im Juli 2019 in den Echtbetrieb. Das Rotlicht wird außerdem an den Kreuzungen der Poppenbütteler Straße mit dem Hummelsbütteler Steindamm und an der Schleswig-Holstein-Straße, jeweils mit der Poppenbütteler Straße und der Stormarnstraße überwacht.
Entsprechend der Entwicklung sind die Einnahmen aus der Verkehrsüberwachung sukzessive zurückgegangen. 2017 waren es noch 2,3 Millionen Euro, 2018 bereits nur noch 1,3 Millionen Euro und 2019 1,2 Millionen Euro, die die Stadt an Bußgeldern kassierte. 2020 sank dieser Betrag auf 977.000 Euro und im vorigen Jahr auf 904.000 Euro. Bei einem Personal- und Sachkostenaufwand von insgesamt 614.000 Euro in 2021 verblieb unter dem Strich die Nettoeinnahme von 289.000 Euro. Wobei alle festen und mobilen Anlagen zusammen die Stadt einen Betrag von etwa 286.000 Euro an Leasing- und Wartungsgebühren kosten. Im Herbst 2021 hat die Stadtverwaltung drei zusätzliche Planstellen in diesem Bereich besetzt.
Die Lizenz zum Blitzen hat die Stadt noch bis 2025
Die Lizenz, Tempo- und Rotlichtsünder im Stadtgebiet zu ahnden, ist durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem Kreis Segeberg bis Ende 2025 mit Zustimmung des Innenministeriums verlängert worden. Am liebsten würde die Stadt Norderstedt diese Verkehrsüberwachung auch auf die Bereiche vor Kindergärten und Grundschulen ausweiten, sagte Roeder. Dafür fehle der Stadt aber noch die Erlaubnis des Kreises Segeberg, dem grundsätzlich diese Geschwindigkeitskontrollen unterliegen.
Diesem Wunsch erteilt der Kreis bislang allerdings eine deutliche Absage. „Das ist eine Kernaufgabe der Verkehrsüberwachung im Kreis Segeberg“, teilt dazu Kreissprecherin Sabrina Müller mit. Seit 1997 gebe es eine vertraglich fixierte Kooperation zwischen Polizei und Kreis, um vorrangig Unfallschwerpunkte, auffällige Temposünderstrecken sowie Schulen, Kindergärten und Seniorenheime verkehrlich zu überwachen. Dabei solle es bleiben.