Norderstedt. Nicht nur Putins Krieg sorgt bei der Tafel für lange Schlangen. Die Not wird auch unter Norderstedtern größer. Werden Vorräte knapp?

Sie haben ein Gespür dafür, wie es den Menschen geht. Und was Ingrid Ernst und Margrit Grebe als Vorstand der Tafel Norderstedt zusammen mit den vielen weiteren ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in den letzten Wochen sehen, ist eindeutig. „Man merkt es hier sofort, wenn sich die Lebensverhältnisse verschlechtern. Und, ob es der Anfang oder das Ende eines Monats ist“, sagt Margrit Grebe. „Die Menschen bekommen weniger für ihr Geld, es ist mehr Not da.“

Norderstedt: Gesonderte Ausgabe-Zeit für Ukrainer

Die Tafel ist leider für viele in der Bevölkerung unverzichtbar. In diesen Zeiten auch für immer mehr Geflüchtete aus der Ukraine, die in Norderstedt Schutz gefunden haben. „Die Entwicklung war exponentiell. Wir hatten erst elf, dann 40, dann 90 Familien, zuletzt 140. Kommenden Mittwoch rechne ich mit 160, 170. Alles Ukrainer. Und wie gesagt Familien, da stehen viel mehr Personen dahinter. Frauen, Kinder, so gut wie keine Männer – wenn, dann nur ältere. Es ist eine logistische Herausforderung.“

Deswegen gibt es vorerst nun immer mittwochs am Schützenwall eine gesonderte Ausgabe nur für die Menschen aus dem von Russland angegriffenen Land. „Sie wollen ihren Gastgebern nicht zur Last fallen.“ Teilweise gebe es Haushalte, bei denen acht oder neun Personen aufgenommen worden seien. Sie warten bis zu zwei Stunden, manche haben ihre kleinen Kinder dabei. Einige toben herum, andere sind von der Flucht gezeichnet, werden panisch, wenn sie die Mutter einmal alleine lässt. Wegen Corona gibt es einen Rundlauf mit Abstand und Maskenpflicht, die Taschen werden aus vorsortierten Kisten bepackt.

Ingrid Ernst (l.) und Margrit Grebe, Vorstände der Tafel, im Lager am Schützenwall. Immer mehr ist man auf Privatspenden angewiesen.
Ingrid Ernst (l.) und Margrit Grebe, Vorstände der Tafel, im Lager am Schützenwall. Immer mehr ist man auf Privatspenden angewiesen. © Christopher Herbst | Christopher Herbst

Wirklich vorbereiten konnte sich niemand hierauf. „Wir haben innerhalb von zwei, drei Tagen wahrgenommen, dass wir helfen müssen“, erinnert sich Margrit Grebe. Keine Helferin, kein Helfer spricht Ukrainisch oder Russisch. Und bei den Flüchtlingen gibt es seltener Englisch-Kenntnisse als gedacht. „Ich habe mir meistens an der Pforte jemanden gesucht, der Englisch spricht und das dann kommunizieren kann an die Gruppe. Und wir haben auf Ukrainisch ein Flugblatt entworfen.“

Norderstedt: Grundschulen sammeln Lebensmittel

Und doch werden die Möglichkeiten der Tafel strapaziert. Das Lager füllt sich nicht ohne Unterstützung. Große Handelsketten stiften Obst, Gemüse, Molkereiprodukte. „Wir bekommen durchaus auch Lebensmittel von Privatleuten, die mit dem Auto hier vorfahren. Auch die Neuapostolische Kirche spendet jede Woche zwei, drei Kisten. Bei der Haspa stehen Kisten.“

Die Aktion „Ein Teil mehr“ des Rotaract-Clubs hilft, auch der Ladies’ Circle unterstützt auf diese Weise. Das Netzwerk „Henstedt-Ulzburg hilft“ brachte kürzlich Hygieneartikel vorbei – die 40-Tonner für die Ukraine waren bereits voll. „Das waren 40, 50 Kisten.“ Und in den Norderstedter Grundschulen läuft ein Projekt, bei dem ebenso Lebensmittel gesammelt werden.

Das ist eine Menge. Doch Ingrid Ernst und Margrit Grebe befürchten, dass die Vorräte knapper werden. Denn dass der Einzelhandel mehr abgeben kann, ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Die finanzielle Lage bedeutet eher, dass auch Waren kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum, die entsprechend reduziert sind, in den Supermärkten und Discountern gekauft werden.

Parallel werden die Schlangen länger. An den Ausgabestellen – also neben Norderstedt auch Henstedt-Ulzburg, Ellerau sowie vier im Hamburger Norden – sind es in jüngerer Vergangenheit um die 20 Prozent mehr. Geschätzt sind es rund 1000 Haushalte, die regelmäßig auf das Angebot angewiesen sind. Einrichtungen wie das Frauenhaus oder die Tagesaufenthaltsstätte werden unterstützt. Die Ukrainer sind da noch gar nicht mitgezählt. Und: Zunehmend neue Gesichter sind dabei, berichtet Ingrid Ernst. „Es geht mir sehr nahe, wenn alte Leute mit dem Rollator kommen, sagen: ,Ich brauche etwas zu essen‘. Die haben doch auch ein Leben lang gearbeitet.“ Doch es gibt auch Studenten, die bedürftig sind.

Norderstedt: Niemand wird mit leerer Tüte weggeschickt

Deswegen ist die Tafel umso mehr auf Privatspenden angewiesen. Sonst bleibt irgendwann, dass jede Person grundsätzlich nur noch alle 14 Tage etwas erhält. Und dann eventuell nicht mehr zwei Tüten, sondern eine. Das wäre für die Tafel eine kommunikative Herausforderung, und eine Belastung für die derzeit große Hilfsbereitschaft. Man wird keine Menschen wegschicken, das ist selbstverständlich, sagt Ingrid Ernst. „Wir bleiben so lange, bis jeder etwas bekommen hat. Wir haben keine festen Zeitfenster. Aber wir können den Kuchen vorher nur verkleinern und dann verteilen.“

Kleidung nimmt die Tafel weiterhin nicht an. Sie verweist auf die DRK-Kleiderkammer. Auch dort ist großer Andrang. Seit dem 23. März öffnet die Einrichtung an der Ochsenzoller Straße immer mittwochs und donnerstags von 10 bis 14 Uhr für Menschen aus der Ukraine. Die meisten Geflüchteten sind mit sehr warmer Winterkleidung gekommen, um den tiefen Temperaturen während der Flucht zu trotzen, haben nur das Nötigste von zu Hause mitnehmen können. In Norderstedt werden jetzt leichtere Jacken und Schuhe sowie Kleidung zum Wechseln benötigt – vor allem für Frauen und Kinder. Auch eine Person, die übersetzen könnte, wäre sehr willkommen, sagt das DRK.

Infos und Kontakte:

tafel-norderstedt.de drk-norderstedt.eu