Norderstedt. Iryna Mikulska betreut die Kinder geflüchteter Landsleute in Harksheide – Ministerin Prien kam zur Begrüßung.
In den vergangenen Wochen im Leben von Iryna Mikulska verdichtet sich mehr, als als den wohl meisten Menschen in Jahrzehnten oder ihrem ganzen Leben passiert. Vor den russischen Bomben musste sie aus ihrer Heimatstadt Kiew flüchten, kam in Zügen über Länder wie Ungarn und Österreich nach Deutschland. Eine befreundete Familie aus Hamburg nahm sie in ihrer Wohnung auf. Und nun, ganze drei Wochen nach ihrer Ankunft in Deutschland, steht Iryna Mikulska in einer Schulaula in Hamburgs kleiner, grüner Nachbarstadt Norderstedt, es ist die Aula der Gemeinschaftsschule Harksheide und neben ihr steht Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Mikrofone richten sich auf die beiden, Blitzlichter blitzen - denn Mikulska, 38 Jahre alt, ist die erste Lehrerin aus der Ukraine, die von dem nördlichen Bundesland eine Festanstellung als Lehrerin erhält. Eine Ankunft in einem Job in dem fremden Land in Rekordzeit.
Norderstedt: Erste Lehrerin aus der Ukraine tritt Dienst an
„Ich bin dankbar dafür, dass diese Lehrkräfte zu uns an die Schule kommen“, sagte Ministerin Prien, die Mikulska gestern offiziell an der Schule begrüßte. „Sie bringen ihre Erfahrungen von Flucht aus einem Kriegsgebiet mit und können eine Brücke sein zwischen den geflüchteten Kindern und Jugendlichen und der noch neuen Schulumgebung.“
Wie andere Bundesländer, bemüht sich Schleswig-Holstein derzeit aktiv um Lehrkräfte aus der Ukraine, die geflüchtete Kinder in ihrer Muttersprache unterrichten können. Schon in den nächsten Tagen, so Prien, wolle man weitere Verträge unterzeichnen. Aktuell lägen 22 entsprechende Bewerbungen vor. Bedarf gibt es genug – derzeit besuchen nach Angaben des Bildungsministeriums rund 1100 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine Schulen in Schleswig-Holstein. Und es dürften noch deutlich mehr werden.
16 dieser jungen Menschen gehen aktuell in die Gemeinschaftsschule Harksheide. Sie sind zwischen 10 und 17 Jahren alt und in einer eigenen Lerngruppe zusammengefasst. Seit Montag werden sie von Iryna Mikulska in Ukrainisch und Englisch unterrichtet. „Ich bin ihnen eine Lehrerin, aber auch eine Freundin“, sagte Mikulska, die zunächst noch zurückhaltend wirkte, sich dann aber souverän den Fragen der Pressevertreter stellte. Auf Englisch, denn Deutsch spricht sie bisher noch nicht. Ihr erster Eindruck von den Kindern sei gewesen, dass diese sich „verloren“ fühlten, aber das habe sich inzwischen geändert, in der Gruppe sei die Stimmung entspannter und positiver. Mikulska betont auch: „Jeder hier ist wirklich sehr nett zu uns. Die Schule hilft uns sehr viel.“ Generell ist sie sehr dankbar für die viele Hilfe, die ihr in Deutschland zuteil wird.
Norderstedt: Ukrainische Kinder haben eigenen Lerngruppe
An der Gemeinschaftsschule unterrichtet Mikulska, die nach Tarif bezahlt wird und zunächst befristet angestellt ist, selbst und steht auch anderen Lehrern als Übersetzerin zur Seite. „Sie macht das hervorragend. Ich hätte gar nicht gewusst, wie wir ohne Frau Mikulska auf Dauer hätten weitermachen sollen“, sagt Schulleiter Rainer Bülck. Wie sich die Folgen des Krieges bei ihm in der Schule bemerkbar machten, schildert er so: „Vor ein paar Wochen haben wir noch einen Projekttag zu dem Thema gemacht. Und ein paar Tage standen dann hier die ersten Kinder aus der Ukraine vor der Tür.“
Als Dolmetscherin zwischen ihm und den Kindern fungiere zunächst eine Schülerin aus der neunten Klasse, die vor sechs Jahren aus der Ukraine nach Norderstedt kam und perfekt beide Sprachen spricht. Zunächst habe man die Kinder in die sogenannte DaZ-Klasse eingeteilt. „DaZ“ steht für „Deutsch als Zweitsprache“, in dieser Klasse werden Kinder aus Herkunftsländern wie Afghanistan auf den regulären Unterricht in Deutschland vorbereitet. Als dann aber immer mehr Schüler aus der Ukraine kamen, entschied man sich dafür, eine eigene Lerngruppe einzurichten. Zwei Kolleginnen, die Russisch sprechen, kümmerten sich zunächst um die Gruppe, außerdem wurden Ausflüge in die Umgebung unternommen.
Norderstedt: Lehrerin sucht eigene Wohnung in Norderstedt
Iryna Mikulska bekam über private Kontakte mit, dass an der Schule Hilfe gebraucht wird. „Sie hat uns angeboten, ehrenamtlich zu helfen. Aber wir haben sie dann ermutigt, sich auf die Stelle zu bewerben“, sagt Rainer Bülck. Nun hofft er, dass auch andere Schulen in ähnlichen Situationen das Glück haben, ukrainische Lehrkräfte einstellen zu können.
In Kiew lebte Iryna Mikulska zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder, beide musste sie zurücklassen. Sie hält den Kontakt, denkt viel an sie. Nun sucht sie erst einmal eine eigene Wohnung, am besten in Norderstedt. Aber sie sagt auch: „Ich möchte eines Tages wieder nach Kiew zurückkehren, Freunde und Familie wiedersehen. Und ich hoffe, dass es dann wieder ist wie früher.“