Itzstedt/Nahe. Wie Nahe und Itzstedt über gemeinsame Zukunft streiten. Und welche Rolle zwei beantragte Bürgerbegehren spielen könnten.
Mit zwei Armlängen Abstand sitzen Helmut Thran und Holger Fischer nebeneinander. Die Bürgermeister von Itzstedt und Nahe leiten abwechselnd den Gemeinschaftsausschuss, jenes Gremium, das sich um die Dinge kümmert, die beide Orte gleichermaßen betreffen. An diesem Abend im Juhls Gasthof ist Thran verantwortlich. Auf der Tagesordnung steht das elementarste Thema überhaupt: die mögliche Fusion der Nachbarn. Und als nach zweieinhalb Stunden alle wieder auseinandergehen, ist der knappe Kommentar einer Zuschauerin durchaus treffend: „Das wird nie etwas.“
Fusion: Beide Gemeinden haben jeweils circa 2500 Einwohner
Die ganze Sache hat eine mehrjährige Vorgeschichte. Schon 2017 hatte es einmal eine große Einwohnerversammlung gegeben, bei der die Idee erstmals präsentiert wurde. Dann kamen eine Kommunalwahl, neue Mehrheiten, zahlreiche Beratungsrunden und Vorträge von Fachleuten. Im Herbst 2020 schufen die jeweiligen Gemeindevertretungen Tatsachen – vermeintlich. Zur Bundestagswahl 2021 hätte ein Bürgerentscheid stattfinden sollen, bei dem die Bevölkerung abstimmt, ob man zusammengeht. Dazu kam es bekanntlich nie. Genauso wenig war der zweite mögliche Termin, nämlich die Landtagswahl in diesem Jahr (8. Mai), mehrheitsfähig. Vor Weihnachten vertagte man sich. Und landete wieder an einem Tisch im Gemeinschaftsausschuss.
Es gibt wohl keinen Kommunalpolitiker, der so vehement für die Verschmelzung spricht wie Helmut Thran. Der Sozialdemokrat ist seit 2018 Bürgermeister von Itzstedt. „Für mich liegen die Vorteile auf der Hand, für euch nicht“, sagt er in Richtung der Gegenseite, die ihm im Ausschuss widerspricht. Es treffen pragmatische, teils technische Argumente auf die Frage, die Reinhard Schümann, FDP-Politiker aus Itzstedt, in den Raum wirft. „Welchen Nutzen hat der Bürger? Keinen einzigen.“
Thran liest eine Tabelle ab. Nahe und Itzstedt sind in Zahlen und Fakten nebeneinander gestellt. Beide hatten zum Stichtag 15. März beispielsweise fast gleich viele Einwohner: 2599 gegenüber 2580. Das würde doch passen, mag man als Auswärtiger meinen. Auch die Gemeindeordnung sieht in Paragraf 14 Fusionen durchaus vor: „Aus Gründen des öffentlichen Wohls können Gemeindegrenzen geändert und Gemeinden aufgelöst oder neu gebildet werden.“ Solche Gründe wären eine bessere Daseinsvorsorge, bessere Möglichkeit zur Entwicklung über die Bauleitplanung, gemeinsame Institutionen, eine schlankere Kommunalpolitik.
Fusion: In vielen Dingen arbeiten die Orte längst eng zusammen
Helmut Thran sieht insbesondere beschleunigte Entscheidungsprozesse, allen voran in der Bauleitplanung und in der Regionalplanung, wenn beide Orte betroffen sind. „Hier müssen jedes Mal identische Beschlüsse gefasst werden. Und dann hat wieder jemand eine tolle Idee, und die Beratungen waren umsonst.“ In einer Präsentation werden Konflikte aufgelistet. Ein Identitätsverlust, dann der Aufwand, um Adressen zu ändern, dazu die künftige Feuerwehr-Struktur. „Für mich sind das keine Probleme“, sagt Thran. Im Saal murmeln einige Anwesende entrüstet.
Eng verflochten sind die Gemeinden längst. Allen voran, weil sie einen gemeinsamen ländlichen Zentralort bilden, der damit jährlich einen mittleren sechsstelligen Betrag von der Landesregierung erhält, um diesen in Maßnahmen zu investieren, die Naher und Itzstedter betreffen. Das beste Beispiel ist da die Schule, weitere sind die Jugendarbeit, das Freibad in Itzstedt, die Bücherei oder der Juhls Gasthof. 2022 kommen aus Kiel 413.676 Euro. Die CDU ist mit dem Status quo zufrieden, beschreibt Manfred Hoffmann, Fraktionschef der Union in Nahe. „Die Gemeinden arbeiten doch in vielen Bereichen zusammen, ohne dass sie eine Gemeinde sind.“ Er nennt den Schulverband, den Friedhofszweckverband. „Das läuft doch alles.“
Fusion würde einen gemeinsamen Bauhof möglich machen
Doch es gibt offene Rechnungen. Zu Beginn der Tagesordnung sprach man über einen gemeinsamen Bauhof auf Naher Gebiet. Dort wird das von der Gemeinde gekaufte Birkenhof-Areal entwickelt. Politisch ist das zwar noch nicht durch, aber über das Ortsentwicklungskonzept winken Fördermittel in Höhe von 750.000 Euro. „Wir werden das durchziehen, weil wir es müssen“, bekräftigt Bürgermeister Holger Fischer. Für die drei Itzstedter Mitarbeiter wäre Platz. Doch so einfach ist das nicht, erklärt Helmut Thran. „Ich denke, wir haben in einigen Projekten gut zusammengearbeitet, aber in Itzstedt sind einige Bedenken laut geworden. Es werden nach wie vor die Effizienzsteigerung und Einsparmöglichkeiten gesehen, aber wir haben feststellen müssen, dass nicht nur die Polizei abgewandert ist, sondern in Kürze, sofern der Mehrheitsbeschluss des Amtsausschusses umgesetzt wird, auch die Amtsverwaltung nach Nahe geht.“
Den Bauhof möchten die Itzstedter also vorerst behalten. „Wenn eine Mehrheit der Bürger gegen eine Fusion ist, dann hat Itzstedt keine öffentliche Einrichtung mehr, die sind dann alle in Nahe. Wir würden einem gemeinsamen Bauhof nur zustimmen, wenn die Fusion zustande kommt.“ Fischer antwortet stoisch. „Es stand auf der Kippe, dass die Polizeistation nach Leezen abwandert. Mir war es wichtig, dass sie im Amt bleibt.“ Und da gab es in Nahe neben dem Bürgerhaus eben ein entsprechendes Grundstück.
Die positive Erzählung für eine Fusion fehlt. Dabei hatte im November ein geladener Fachmann im Ausschuss noch gemahnt: „Mandatsträger der betroffenen Gemeinden müssen mit großer Mehrheit von einer Fusion überzeugt sein. Nur mit dieser Einstellung können die Einwohner für den Fusionsprozess gewonnen werden.“
Fusion: Politiker streiten über Pläne und Konsequenzen
Die Größe politischer Gremien ist ein Reizthema. Thran zählt auf: Zusammen gebe es da 163 Sitze zu besetzen – 92 in Nahe, 71 in Itzstedt. „Ein Batzen“, sagt Thran. „Das ist Demokratie“, meint Fischer. Das Hin und Her nimmt seinen Lauf. „Schützenswerte Interessen“ sind auch so ein Knackpunkt. Ist es möglich, manche Bereiche auszuklammern, quasi unantastbar zu machen? Thran verweist auf den Juhls Gasthof, so etwas wie das Herz Itzstedts. „Und wir haben damals versprochen, dass der Bolzplatz der Dorfplatz bleibt. Da werden wir drauf hinweisen.“ Hier Bauland zu schaffen, wäre also nicht zu machen mit den Itzstedtern. „Es gibt durchaus Projekte, die wir erhalten möchten.“
Wieder meldet sich Reinhard Schümann. „Wofür fusionieren wir, wenn wir künftigen Gemeindevertretungen Vorgaben machen?“ Torge Sommerkorn, Leiter der Amtsverwaltung, schaltet sich ein. „Jede Gemeinde hat eine lange Geschichte“, sagt er. Wer wisse schon, was man in 150 Jahren brauche. Es gebe Möglichkeiten, gewisse Dinge vertraglich so zu regeln, dass beispielsweise eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig wäre.
Fusion: Brauchen die Gemeinden Hilfe von Außen?
Der Versuch, einen Termin für den Fusions-Bürgerentscheid zu finden, scheitert schon im Ansatz. Die Mehrheit stimmt für eine Machbarkeitsstudie, das Amt muss diese nun ausschreiben. Thran sieht darin keinen Sinn. „Dass eine Fusion machbar ist, haben viele Gemeinden bewiesen. Dafür brauche ich keine Studie. Man kann sich doch nicht so lange beraten lassen, bis man Recht bekommt.“ Manfred Hoffmann besteht darauf: „Da muss jemand von außen kommen. Wir werden das nicht in Ruhe hinbekommen.“
Und dann ergreift Holger Fischer das Wort. „Wir tun uns alle ein bisschen schwer damit.“ Er verweist auf das von seinem Kollegen Thran immer genannte Vorbild – die Fusion von Oeversee und Sankelmark im Kreis Schleswig-Flensburg. „Da gibt’s auch nur eine Kneipe. Wir hier kommen nicht zusammen. Hier ist doch kein Fusionsgedanke. Für mich ist das Thema tot.“
Fusion: Zwei Initiativen wollen Bürgerentscheide erzwingen
Doch damit könnte er falsch liegen. Denn außerhalb der politischen Bühne bewegt sich etwas. Mittlerweile liegen zwei Anträge für Bürgerbegehren vor, eines für jeden Ort, wortgleich, jeweils von Personen, die auch kommunalpolitisch aktiv sind. In Itzstedt sind es Heiko Ehwald von der Wählergemeinschaft UBI, Christine Künzel von den Grünen sowie der Sozialdemokrat Ralf Köhn. In Nahe stehen Manfred Schernus (SPD) sowie Klaus Volke und Werner Schlüter von den Grünen hinter dem Antrag.
„Beide Gemeindevertretungen haben es im Dezember abgelehnt, einen Bürgerentscheid zur Landtagswahl umzusetzen“, sagt Schlüter. „Wir haben die Initiative ergriffen, um Druck auf den Kessel zu bringen.“ Die sechs Initiatoren sind für eine Fusion. „Aber wenn man sich im Dorf umhört, hält sich das die Waage.“ Die Fragestellung ist simpel: „Soll sich die Gemeinde Itzstedt (bzw. Nahe) spätestens zum Jahreswechsel 2023/2024 mit Nahe (bzw. Itzstedt) vereinigen?“ Und zwar unter der Bedingung, dass auch die Bevölkerung im anderen Ort zugestimmt hat.
Fusion: Das wäre bei eine Bürgerentscheid nötig
Binnen sechs Monaten müssen zehn Prozent aller Wahlberechtigten das Begehren unterschreiben. Erfahrungsgemäß ist das kein Problem. Bei einem Bürgerentscheid gilt dann: Die Mehrheit muss mit „Ja“ stimmen, und es müssen mindestens 20 Prozent aller Wahlberechtigten sein. Diese Abstimmung müsste binnen drei Monaten stattfinden, nachdem ein Bürgerbegehren als erfolgreich anerkannt wurde durch die Kommunalaufsicht. Der Politik könnten demnach bald die Hände gebunden sein.
Sommerkorn: „Sobald die Bürgerbegehren auf den Weg gebracht werden, dürfen die Gemeinden nichts unternehmen, was dem entgegenwirkt. Dann müssen wir uns damit auseinandersetzen, was wir den Bürgern erzählen.“ Sowohl Itzstedt als auch Nahe müssten dann Stellungnahmen abgeben, die zuvor von den Gemeindevertretungen beschlossen würden, auch öffentliche Infoveranstaltungen sind vorgeschrieben. „Wir sollten jetzt den Willen der Bevölkerung erfragen, wir brauchen kein weiteres Gutachten“, sagt Werner Schlüter. Gut möglich also, dass die Fusions-Frage im Spätsommer beantwortet wird.
Die CDU Nahe lädt für Freitag, 25. März (19 Uhr), zu einem Diskussionsabend „Bleibt Nahe Dorf?“ ins Bürgerhaus an der B 432.