Kreis Segeberg. Bis zu 250 Menschen aus der Ukraine kommen im ehemaligen Krankenhaus in Borstel unter – es soll nur eine Zwischenstation sein

Auf den ersten Blick mag nicht viel los sein. Ein Junge rollt mit dem Dreirad um die ehemalige Medizinische Klinik in Borstel, eine Frau steht am Fenster. Doch der Eindruck täuscht. Das Ende 2021 geschlossene Krankenhaus sieht in diesen Tagen ein permanentes Kommen und Gehen von Geflüchteten aus der Ukraine. Als die Leitung des Forschungszentrums Borstel, der Kreis und das Deutsche Rote Kreuz vor Ort die Lage beschreiben, laufen im Hintergrund die Vorbereitungen – für die nächste Nacht sind 100 neue Bewohnerinnen und Bewohner angekündigt, nachdem zuvor 80 Personen weiter verteilt worden waren.

Fast alle Personen sind Frauen und Kinder

Es handelt sich für alle um eine Übergangslösung. „Die Menschen sollen nach wenigen Tagen in die Kommunen gehen“, sagt Landrat Jan Peter Schröder. Doch die Vereinbarung mit dem Forschungszentrum ist Gold wert, er spricht von einem „Puffer“. Es war Christoph Lange, Medizinischer Direktor, der den Kreis kontaktiert hatte. „Man kann hier Menschen relativ schnell unterbringen“, sagt er. Binnen weniger Tage stand die Vereinbarung. Dort, wo noch vor wenigen Monaten Patienten mit pneumonologischen Erkrankungen behandelt wurden, können im zweiten und dritten Stock bis zu 250 Ukrainerinnen und Ukrainer unterkommen. Fast alle sind derzeit Frauen und Kinder. Sie schlafen in Feld- oder Etagenbetten. Die Sanitärbereiche sind alle voll funktionsfähig, die Küche ebenso, nur gegessen werden muss teilweise in einem Zelt. Das DRK organisiert die Betreuung – auch ärztlich – in der Einrichtung, die Betreuung der Kinder läuft über das Familienzentrum. Vieles wurde gespendet, hier hat die Gemeinde Sülfeld mit angepackt.

Hinweistafeln wie hier im geräumigen Speisezelt sind auch in ukrainischer Sprache verfasst.
Hinweistafeln wie hier im geräumigen Speisezelt sind auch in ukrainischer Sprache verfasst. © Christopher Herbst

Sprachlich weiß man sich zu helfen, berichtet Richard Buchholz, Koordinator des DRK. „Unsere Mitarbeiter arbeiten viel mit Google Translate. Wir haben aber auch einige Ärzte, die gebürtig aus der Ukraine sind und die Erstversorgung übernehmen.“ Corona ist ein Thema – einige Familien wurden positiv getestet, mussten isoliert werden. Vielleicht werden bald Impfungen angeboten – die Quote in der Ukraine ist niedrig.

Doch es könnte sein, dass all dies nur der Beginn ist. Der Landrat antwortet ganz offen: „Ich wäre froh, wenn ich wüsste, was auf uns zukommt. Wir bekommen weder vom Bund noch vom Land Zahlen.“ 1300 sei ihm einmal genannt worden. „Eine absolute Mindestzahl.“ Und kaum noch realistisch. „Dazu kommen noch Menschen, von denen wir gar nicht wissen, dass sie hier sind.“ Erst nach und nach melden sich Ukrainer, die privat untergekommen sind, bei den Behörden.

Es sei aber anders als 2016, „eine andere Klientel“, so Schröder, der das nicht wertend meint. „Sie sind anders sozialisiert, anders zu betreuen. Und sie haben in der Regel einen Personalausweis dabei.“ Die Menschen hätten 90 Tage Zeit, sich bei der Ausländerbehörde zu melden. Mit der Aufenthaltsgenehmigung gibt es automatisch einen Anspruch auf Sozialleistungen. Wer kein Konto hat, bekommt das Geld auch in bar.

Der Kreis hat weitere Standorte wie in Borstel geschaffen. Er richtet die eigentlich zum Verkauf stehende ehemalige Gemeinschaftsunterkunft in Warder wieder her. In der kommenden Woche könnten dort 80 bis 100 Menschen unterkommen. Ein Hamburger Investor will auf dem 6000 Quadratmeter großen Gelände Wohnungen bauen, stellt seine Pläne auf Bitten des Kreises zunächst zurück. Auch die Jugendakademie kann teilweise genutzt werdcn (50 Plätze). Parallel sind die Landesunterkünfte in Boostedt und im Segeberger Levo-Park „massiv aufgestockt“ worden, so Schröder. Doch letztlich werden die Städte und Gemeinden die größte Last tragen. „Wir wissen, dass wir damit erhebliche Herausforderungen in den Kommunen auslösen. Wir reden über Turnhallen, über Messehallen.“ So etwas habe man 2015 und 2016 im Kreis fast ausnahmslos vermeiden können.

Norderstedt sichtet Sporthallen als Unterkünfte

Diesmal ist es anders. „Die Stadt Norderstedt hat parallel zur bisherigen Unterbringung Geflüchteter auch einen Notfallplan für die Unterbringung größerer Mengen“, teilt Pressesprecher Bernd-Olaf Struppek mit. „Sporthallen und andere Räumlichkeiten“ seien gesichtet worden. Eine Bestätigung gab es am Freitag nicht, aber nach Abendblatt-Informationen soll eine Halle des Schulzentrums Süd umfunktioniert werden. Kein Thema ist eine Unterbringung im leerstehenden Jugendlandheim Lemkenhafen auf Fehmarn. Struppek: „Die der Stadt zugewiesenen Flüchtlinge sind im Stadtgebiet unterzubringen. Da es mit der Unterbringung auch nicht getan ist, sondern die Betreuung und Versorgung bis hin zu Spracherwerb und Integration folgen, wäre eine Unterbringung auf eine solche Distanz auch nicht zielführend und mithin nur schwer umsetzbar.“

Zur Wochenmitte waren 320 Flüchtlinge aus der Ukraine in der Stadt eingetroffen. Die meisten – etwa 270 – sind privat untergebracht. Dringend benötigt werden derzeit Kinder-Reise-Betten (keine Holzbetten) „für die sichere Unterbringung der Jüngsten und zur Entlastung der Mütter – gerne in gutem Zustand und mit Matratze“, so Sozialdezernentin Katrin Schmieder. Die Abgabe ist beim Wertstoffhof (Friedrich-Ebert-Straße 76) möglich.