SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Thomas Losse-Müller, hebt die Bedeutung Norderstedts für Schleswig-Holstein hervor.

Hamburger Abendblatt: Wie will die SPD die Landtagswahl gewinnen?

Thomas Losse-Müller: Wir haben eine ziemlich gute Ausgangslage. Wir haben jetzt schon eine politische Mehrheit im Landtag für eine gesellschaftliche Koalition, die Modernisierung will. Auch in allen Umfragen hat eine Ampel-Koalition jetzt schon eine Mehrheit. Es wird jetzt darum gehen, dass wir Antworten geben auf die Fragen, die sich stellen. Ich glaube, dass wir uns das, was wir uns vorgenommen haben beim Klimaschutz und der Modernisierung der Gesellschaft nur hinkriegen, wenn wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt organisieren und das Vertrauen der Menschen gewinnen.

Wie wollen Sie das Vertrauen der Wähler gewinnen?

Wir werden ihr Vertrauen gewinnen, wenn wir Wohnen bezahlbar halten, indem wir wieder eine Mietpreisbremse einführen. Wir werden ihr Vertrauen gewinnen, wenn wir Familien entlasten, indem wir die Kita gebührenfrei machen. Sie ist es schon in Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, aber nur hier nicht. Wir müssen wirklich zuerst die Lebensprobleme der Menschen lösen. Wenn wir das nicht tun, werden die Leute den weiteren Weg gar nicht erst mitgehen. Die Aufgaben sind groß. Als SPD haben wir uns vorgenommen, Schleswig-Holstein schon 2040 klimaneutral zu machen. Aber das müssen wir sozial absichern. Also nicht nur CO2 verbieten, sondern ich muss den Menschen ermöglichen, auf Alternativen umzusteigen. Das geht beispielsweise, indem wir die Ladeinfrastruktur für E-Autos flächendeckend ausbauen. Gleichzeitig müssen wir Heizen bezahlbar halten, indem wir neue Wärmenetze bis in die Haushalte bauen, die aus erneuerbaren Quellen gespeist werden können. Dann muss nicht jeder alleine seine Hauswände teuer dämmen und die vorhandene Heizung ersetzen. Und bei der industriellen Transformation gilt: klimaneutral, aber sozial abgesichert und industriepolitisch durchdacht.

Warum sind Sie der richtige Kandidat dafür?

Ich kenne die Themen, um die es geht. Ich bin ja kein Berufspolitiker. Ich habe in großen Unternehmen gearbeitet, lange im Ausland gelebt und für die Weltbank gearbeitet. Deshalb beschäftige ich mich seit 20 Jahren mit den Themen Klima-Transformation und Digitalisierung. Ich habe im Maschinenraum an der Umsetzung gearbeitet. Ich weiß zum Beispiel, ob sich eine Ladesäule rentiert oder nicht. Unter welchen Bedingungen sie das tut. Ich kenne Industrieprozesse nicht nur vom Draufgucken, sondern weil ich mich lange damit beschäftigt habe. Und weil ich das Land gut kenne. Ich kenne die Themen, die die Menschen umtreiben, kenne die Unternehmen, kenne die Organisationen und habe einen Plan, wie wir Schleswig-Holstein nach vorne bringen.

Welche Koalition wäre Ihnen am liebsten?

Eine Koalition, die beim Klimaschutz ernst macht. Da sind wir den Grünen in den Zielen sehr nahe, auch wenn wir in Teilen unterschiedliche Konzepte haben. Und dann ist die Frage, was die Landtagswahl ergibt. Ich kann mir eine Küsten-Koalition gut vorstellen. Ich bin selbst ein Kind der Küste, da war ich Staatssekretär. Ich habe aber auch bei den Verhandlungen zur Ampel-Koalition in Berlin, wo ich den Bereich Innovation und Forschung mitverhandelt habe, die Chancen einer Ampel-Koalition kennengelernt. Da sind schon Kräfte zusammengekommen, die richtig was bewegen können. Und deswegen kann ich mir ein Bündnis von SPD, Grünen und FDP auch in Kiel gut vorstellen.

Welche Bedeutung hat dabei der Hamburger Rand?

Für Schleswig-Holstein ist er von entscheidender Bedeutung. 18 Prozent aller Arbeitsplätze in Hamburg werden von Beschäftigten aus Schleswig-Holstein besetzt. Fast ein Fünftel der Wirtschaftskraft der Hansestadt kommt aus Schleswig-Holstein. Hamburg wächst in Schleswig-Holstein. Alles, was wir vorhaben an industrieller Transformation, geht immer nur an der Schnittstelle unserer Länder.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir den Verkehr: Um klimaneutral zu werden, müssen wir die Verkehre umstellen. Und die meisten Verkehre finden im Hamburger Umland statt, weil ein Großteil aller Menschen des Landes hier lebt. Und die werde ich nur anders organisieren können, wenn ich die Verbindung nach Hamburg im Blick habe. Alles, was Hamburg Neues an seiner Verkehrsentwicklungsplanung macht, darf nicht an der Grenze stoppen, sondern muss sofort hierzulande weitergedacht werden. Das entspricht auch der Lebenswirklichkeit der Menschen im Hamburger Rand. Hamburg ist das Gravitationszentrum. Darum bewegt sich alles. Auch wenn wir in anderen Teilen Schleswig-Holsteins andere Kerne haben. Hier haben jeden Tag 176.000 Pendler. Nach Dänemark sind es 10.000.

Was kann der Kreis Segeberg von einer SPD-geführten Landesregierung erwarten?

Unterstützung beim Thema Wohnraum. Wir werden die Mietpreisbremse wieder einführen, damit wir extreme Mietsteigerungen begrenzen können. Das ist absolut unerlässlich, um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu garantieren. Zudem wollen wir kräftig bauen. Das gilt vor allem für bezahlbaren Wohnraum. Da wird das Land neue Wege gehen müssen. Wir brauchen eine eigene Landesentwicklungsgesellschaft, die hilft, Flächen zu entwickeln. Die vielen Wohnungen, die in den vergangenen Jahren gebaut worden sind, waren die einfachen Wohnungen. Sie wurden auf entwickelten Flächen oder als Teil von Nachverdichtung gebaut. Die nächsten 100.000 Wohnungen sind die schwierigen, weil wir weniger freie Flächen haben.

Wie soll das funktionieren?

Wir müssen bei der Flächenentwicklung groß denken. Wir müssen in neuen Stadtteilen denken. Das werden die einzelnen Kommunen im Kreis Segeberg nicht allein schaffen. Da ist das Land gefragt. Zudem werden wir wie in Hamburg die Kitas gebührenfrei machen. Und wir werden auch beim Grunderwerb etwas tun. Familien, die sich das erste Mal in ihrem Leben ein Haus kaufen, müssen dabei steuerlich entlastet werden. Wie groß die Wohnungsproblematik im Hamburger Rand ist, merke ich bei meinen Telefonsprechstunden. Da kennen sich die Leute sogar schon mit den B-Plänen gut aus. Das ist im Rest des Landes nicht so.

Wird es für die Bahnpendler im Kreis Segeberg Verbesserungen geben, um schneller und bequemer nach Hamburg zur Arbeit und Schule zu kommen?

Ja, wenn wir klimaneutral sein wollen, müssen wir das tun. Ich will bei den Investitionen in den Klimaschutz auch neue Wege gehen. Wir wissen, dass wir allein in Schleswig-Holstein einen hohen einstelligen Milliardenbetrag investieren müssen. Gerade in den Ausbau von Bus und Bahn, aber auch in Ladeinfrastruktur. Das wird nicht im Landeshaushalt gehen. Dafür brauchen wir eine Lösung außerhalb des Landeshaushalts. Sonst können wir nur ein bisschen Klimaschutz machen, was nicht reicht, um das Ziel zu erreichen. Gleichzeitig würden wir dann andere wichtige Themen wie Investitionen in Schulen, bezahlbaren Wohnraum und gebührenfreie Kitas verdrängen. Und dann haben wir beides nicht. Dann haben wir nicht genug Klimaschutz und verlieren den Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Das heißt, der Bund muss mit einsteigen?

Das wird er auch. Allerdings müssen wir auch als Land bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet, Kredite zur Finanzierung aufzunehmen. Eine erste zusätzliche Klima-Milliarde, die auch in erster Linie in Bus und Bahnen investiert wird, kriegen wir noch so hin. Aber darüber hinaus müssen wir darüber reden, wie wir mit der Schuldenbremse umgehen. Das ist auch unsere Kritik an der aktuellen Landesregierung. Die verfehlt ihre Klimaziele, aber zieht daraus keine Konsequenzen. Es ist richtig ernst. Wir müssen unser Klima effektiv schützen und dürfen nicht nur so tun als ob.

Wie viele Geld müsste dafür aufgenommen werden?

Das ist schwierig, genau zu beziffern. Dazu hätte ich mir gewünscht, dass die jetzige Landesregierung einen Plan zu den Investitionsbedarfen aufgeschrieben hätte. Das hat sie nicht gemacht. Wir werden das nach der Wahl nachholen. Wenn ich die Schätzungen des Bundes herunterbreche, reden wir von einem Betrag zwischen fünf und zehn Milliarden Euro, der zusätzlich in den Klimaschutz investiert werden muss. Davon werden auch der Bund und die Kommunen etwas leisten müssen. Aber das ist die Hausnummer.

Werden Sie die Pläne der Radschnellwege von Bad Bramstedt über Norderstedt nach Hamburg forcieren?

Ich halte den Ausbau von Radwegen gerade im Hamburger Rand für ganz wichtig. Hier kann man mit dem Rad das Auto ersetzen. Jeder eingesparte Auto-Kilometer ist ein guter Kilometer. Gleichzeitig muss uns aber auch klar sein, dass die Mehrheit der Schleswig-Holsteiner auch 2050 noch mit einem Auto fahren wird. Dafür brauchen wir Ladeinfrastruktur. Und die muss das Land aufbauen. Es sind 1000 Kilometer Radwege, die wir in der nächsten Legislaturperiode neu bauen und sanieren wollen. Um den Umstieg vom Auto aufs Fahrrad zu ermöglichen, müssen wir eine fahrradfreundliche Infrastruktur schaffen.

Norderstedt will die U-Bahn um drei Stationen verlängern. Was bis 2030 etwa 135 Millionen Euro kosten soll. Würde Ihre Landesregierung das mitfinanzieren?

Dreiviertel der Kosten werden Bundesmittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz sein Ein Viertel der Kosten ist Norderstedt bereit, selber zu finanzieren. Da hat die Stadt mit ihrem hohen Gewerbesteueraufkommen ein dickes Pfund in der Hand. Am Ende wird man sich noch einmal genau die möglichen Fahrgastzahlen anschauen müssen. Aber wenn wir über zusätzliche Wohnbebauung sprechen, und Norderstedt hat ja enormes Entwicklungspotenzial im Norden der Stadt, macht es auch Sinn, den ÖPNV zu verbessern. Der AKN-Express, der zusätzliche Kapazitäten in Richtung Kiel schafft, nützt den Menschen in Norderstedt nicht so viel, weil nur ein geringer Teil von ihnen in Kiel arbeitet. Der Großteil arbeitet eher in Hamburg. Dafür muss man den ÖPNV verbessern. Und da ist die Verlängerung der U-Bahn sehr sinnvoll.

In Norderstedt wird untersucht, ob die inzwischen viertgrößte Stadt des Landes kreisfrei werden soll? Eine gute Idee?

Ob kreisfrei oder nicht – Norderstedt hat eine sehr gute Entwicklung gemacht. Die Stadt ist ein Anker für die Entwicklung am Hamburger Rand und wird weiter eine wichtige Rolle spielen. Dabei wird das Land Norderstedt unterstützen. Mir ist aber eine stärkere Zusammenarbeit in den Sachthemen wichtiger als Gebietsreformen. Letztlich wird das aber die Kreispolitik entscheiden. Und für die wird es eine große Herausforderung sein, den größten Steuerzahler im Kreis Segeberg in die Kreisfreiheit zu entlassen.

Könnte der Glasfaseranbieter wilhelm.tel zu einem Modellprojekt für ganz Schleswig-Holstein werden?

Ich bin ein sehr großer wilhelm.tel-Fan. Ich würde die Ressourcen und Kapazitäten, die wilhelm.tel in den letzten 25 Jahren mit dem Glasfaserausbau geschaffen hat, gerne nutzen. Das öffentliche WLAN-Netz ist ein Vorzeigemodell im Land. Wir müssen dafür sorgen, dass die IT-Dienstleister in Schleswig-Holstein vernetzt arbeiten und mehr kooperieren, damit wir gemeinsam mehr für das Land erreichen können. Dazu gehören neben wilhelm.tel auch dataport und Trave.com. Da ist noch reichlich Potenzial drin. Wir brauchen keine Konkurrenz, sondern müssen alle Kräfte zusammenlegen, damit wir die Digitalisierung hinkriegen.

Wie soll die Pflegeausbildung verbessert werden, um den Pflegenotstand zu verringern?

Wir müssen die Ausbildungsplätze ausbauen und schauen, an welcher Berufsschule was ausgebildet wird. Weiterbildung und duale Ausbildung brauchen ein Update entsprechend der Bedarfe. Aber das Entscheidende ist die Attraktivität des Berufs. Wenn wir die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern, werden auch mehr Menschen in der Pflege arbeiten wollen. Wir müssen nur aufpassen, dass uns dann nicht die jungen Menschen wieder in anderen Bereichen fehlen. Deshalb wird das Thema Fachkräfte auch eine Frage von Zuwanderung sein. Das wird jetzt von der Ampel-Koalition weiter vorangebracht. Wir müssen uns attraktiv machen als Arbeitsstandort. Es geht auch um junge Menschen, die schon hier sind. Wir verlieren zu viele Kinder am Übergang von Schule und Beruf.

Inwiefern?

Zu viele Kinder gehen ohne Schulabschluss von der Schule ab. Mit einem Anteil von zehn Prozent sind wir in Schleswig-Holstein bundesweites Schlusslicht. Da muss sich was ändern. Wir müssen diese Schüler früher begleiten, sie in Ausbildung bringen. Da ist Hamburg ein Vorbild. Unter anderem aufgrund der Arbeit der dortigen Jugendberufsagentur liegt der Anteil von Schulabgängern ohne Schulabschluss bei nur sechs Prozent. Bei uns gibt es das noch nicht flächendeckend. Und gerade bei den sozialen Berufen spielt die gebührenfreie Kita eine große Rolle. Die Gebühren spielen eine Rolle, wenn Eltern überlegen, ob es sich lohnt, die Kinder in die Kita zu geben und zu arbeiten. Die gebührenfreie Kita ist ein Schlüssel dafür, dass wir Frauen ermöglichen zu arbeiten und nicht wieder einen Teil ihres Verdienstes für die Betreuung ihrer Kinder ausgeben zu müssen. Die Abschaffung würde eine Familie mit zwei Kindern um 2500 Euro im Jahr entlasten.

Würden Sie wieder einen Corona- Lockdown verhängen?

Beim Thema Corona sollte niemand irgendwelche Versprechungen machen. Wir müssen impfen. Das ist das wichtigste. Und wir dürfen nicht der Illusion erliegen, dass das jetzt alles vorbei ist. Von daher darf man für die Zukunft nichts ausschließen. Aber das ist natürlich kein Ziel und wird absehbar auch nicht passieren.

Wird die A 20 in ihrer Amtszeit weitergebaut?

Ja.

Wie weit?

So weit wie möglich. Wir erwarten in der industriellen Transformation sehr viel mehr Industrieansiedlungen an der Westküste, weil wir dort günstige Energiepreise haben und künftig viel grünen Wasserstoff als entscheidenden Stoff für die Wirtschaft haben werden. Das heißt, der Straßenausbau gen Westen wird dringlicher, weil wir da mehr Produktion haben werden. Dafür macht die A 20 wirklich Sinn.

Was machen Sie, wenn Sie die Wahl verlieren?

Dann bin ich Abgeordneter des Landtages Schleswig-Holstein. Das ist ein schöner, interessanter Job und dann wird die Oppositionsarbeit umso wichtiger. Aber wir werden die Wahl nicht verlieren.