Stell dir vor, es ist Pandemie, aber keiner macht mit. So kommt es mir jedenfalls vor.
Ab Stichtag 20. März wird allerorten fröhlich gelockert und demaskiert, obwohl auch in Schleswig-Holstein Inzidenzen jenseits der Zweitausendermarke vermeldet werden. Ist alles bloß Statistik, was hat das mit uns zu tun? Wir bestimmen einfach: Jetzt ist Schluss! Und schon ist Schluss. Genial. Warum sind wir nicht schon vor zwei Jahren darauf gekommen? Dann hätten wir uns echt was erspart.
Vielleicht klappt das Konzept auch anderweitig. Putin, Schluss jetzt! Und schon… schade, funktioniert leider doch nicht. Ist wahrscheinlich auch zu naiv gedacht. Es wäre eine Verkennung der Tatsachen, schließlich reagieren Viren weder auf Befehle noch auf fromme Wünsche, Putin offenbar ebenso wenig. Andererseits kann ich mich nicht erinnern, wann während meines bisherigen Lebens hierzulande (und leider auch weltweit) den Tatsachen weniger Bedeutung beigemessen wurde als heute. Immer, wenn ich denke, noch absurder geht es nicht, setzt das Leben noch eins drauf. Zum Beispiel am letzten Wochenende. Da wurde in Hamburg gegen die hohen Spritpreise demonstriert – mit einem Autokorso. Das ist ungefähr so logisch wie saufen gegen die Alkoholsteuer. Nun ja, Unlogik, absurde Strategien und Tatsachenverkennung haben Konjunktur. Nur schade, dass sich die fürs Pandemie-Management zuständigen PolitikerInnen nun auch darauf einlassen. Bundesweit gilt Maskenschutz im Nahverkehr und in wenigen Ausnahmen, ansonsten: Arrivederci, Corona. Sollte es trotzdem noch irgendwo einen Pandemie-Hotspot geben, wäre das entsprechende Bundesland zuständig. Was jedoch als Hotspot zu bewerten ist, weiß keiner so genau. Eigentlich zeichnet sich ja so ein Hotspot durch seine von der Norm abweichenden Werte aus. Zum Beispiel lag unser Kreis Segeberg vor genau einem Jahr mit der 7-Tage-Inzidenz von 96,7 einsam an der Spitze der Schleswig-Holstein-covidumschlungen-Charts. Konsequenz: rotgefärbte Alarmzahl auf der offiziellen Meldeliste, eindeutig Hotspot. Heute liegt die Vergleichszahl hier im Kreis bei über 1150. Hört sich beängstigend an. Aber im Vergleich – Flensburg meldet 2337, die übrigen Landkreise fast alle über 1000 – rangiert Segeberg im soliden Mittelfeld. Also prima, kein Hotspot, alles normal? Schön wär’s. Bei allem Verständnis dafür, dass auch die Politik diese Pandemie gerne von der Agenda hätte, erwarte ich doch von Regierenden nüchterne, tatsachenbasierte Entscheidungen. Dazu gehört es für mich auch, die ab sofort geltende Impfpflicht für Pflegekräfte unmittelbar und konsequent durchzusetzen. Wer nach zweijähriger Diskussion ums Thema noch immer nicht rafft, dass es bei der Impfung nicht bloß um die eigene Befindlichkeit geht, hat in der verantwortungsvollen Arbeit mit kranken und/oder alten Menschen nichts zu suchen. Dafür würde ich sogar demonstrieren.
Aber nicht im Autokorso. Das Benzin kann ich mir nicht leisten.