Kreis Segeberg. 617 Millionen würde es kosten, alle Wohnungen im Kreis Segeberg energetisch zu sanieren. Werden die Mieter zur Kasse gebeten?

Der Spagat zwischen Klimaschutz und günstigem Wohnen, bundesweit gerade intensiv diskutiert, hat auch den Kreis Segeberg erreicht – und gewaltige Summen produziert: 617 Millionen Euro müssten Eigentümer im Kreis aufbringen, um ihre Wohnungen und Häuser auf den Energiespar-Standard zu bringen, der bis 2045 angestrebt wird. Das hat das Pestel-Institut in einer Analyse für das Mieter-Siegel „Mein Fair-Mieter“ ermittelt.

Günstiger Wohnraum: Für viele sind ein paar Euro mehr Miete fatal

Allein 138 Millionen Euro seien notwendig, um die 61.900 Mietwohnungen zu sanieren. „Die Kosten dürfen aber nicht auf den Rücken der Mieter abgeladen werden“, sagt Matthias Günther vom Mieter-Siegel, zugleich Vorstand des Pestel-Instituts. Er warnt vor einer „Klima-Miete“, die Mieter dürften nicht arm saniert werden. Sie dürften, wenn überhaupt, nur mit einem Bruchteil der Kosten belastet werden. „Investitionen in den Klimaschutz erhöhen den Wert der Immobilie – bei Miethäusern genauso wie beim Einfamilienhaus. Nutznießer sind damit in erster Linie also die Hauseigentümer“, sagt Günther.

„Wir blicken mit großer Sorge auf die Entwicklung, denn Norderstedt hat einen großen Altbaubestand“, sagt Kurt Plagemann vom örtlichen Mieterverein. Er hat schon erlebt, wie dramatisch die Folgen sein können, wenn Eigentümer Sanierungskosten auf die Mieter umlegen. „Wenn eine Rentnerin plötzlich drei Euro mehr pro Quadratmeter zahlen soll, geht das ans Eingemachte“, sagt Plagemann.

Der Mieterverein hatte die Bewohner einer Wohnanlage am Fasanenweg vor Gericht bei ihrer Klage gegen unzulässige Mieterhöhungen unterstützt – mit Erfolg. Von anrechenbaren Ausgaben für die energetische Modernisierung darf der Vermieter innerhalb von sechs Jahren acht Prozent auf die Mieter umlegen, maximal drei Euro pro Quadratmeter, bei einer Miete von unter sieben Euro pro Quadratmeter höchstens zwei Euro. Aber: „Nach sechs Jahren kann der Eigentümer die Miete erneut um die zulässigen Beträge erhöhen“, sagt Plagemann, und: „Die Miete bleibt auf dem höheren Niveau, auch, wenn sich die Modernisierungskosten längst amortisiert haben.“

Günstiger Wohnraum: Energetische Sanierung sozialverträglich gestalten

Um die Belastungen für Mieter abzufedern, müsse das Finanzierungsmodell geändert werden – eine Forderung die der Deutsche Mieterbund in sein „10-Punkte-Sofortprogramm für sozialverträgliche Gestaltung der energetischen Sanierung und mehr Klimaschutz in Gebäuden“ vertritt. Der Mieterbund plädiert für eine „gerechte Drittelung der Sanierungskosten zwischen Staat, Mietern und Vermietern“.

Die Modernisierungsumlage müsse halbiert, nur noch vier Prozent dürften auf die Miete umgelegt werden, sie dürfe innerhalb von acht Jahren nur um maximal 1,50 Euro pro Quadratmeter steigen. Um dennoch Sanierungs-Anreize für die Vermieter zu schaffen, müsse der Staat die Klimaschutzmaßnahmen fördern, diese Förderung müssten sie nicht länger auf die Modernisierungskosten anrechnen.

Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) sieht zuallererst den Staat in der Pflicht: „In erster Linie geht es darum, dass der Staat ausreichend Fördermittel zur Verfügung stellt, damit die Vermieter Wohnungen energetisch sanieren und dennoch ihre Wohnung zu bezahlbaren Preisen vermieten können. Klimaschutz auf Kosten der Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen wird nicht funktionieren“, sagt Verbandsdirektor Andreas Breitner. Wenn die Fördermittel die Differenz zwischen Baukosten und staatlich festgelegter Miete nicht (mehr) ausgleichen, dann werden die Wohnungsunternehmen keine Sozialwohnungen mehr bauen. Deshalb sei es unverzichtbar, dass der Staat stets die Baukosten im Blick hat.

Günstiger Wohnraum: Wohnungsunternehmen pochen auf Förderung

„Was nicht funktioniert: Der Staat verschärft die Auflagen und schreibt – beispielsweise durch eine Senkung der Kappungsgrenze oder durch einen Mietendeckel – den Wohnungsunternehmen vor, günstige Mieten zu nehmen“, sagt Breitner. Seit 2016 hätten die 64 im VNW organisierten Wohnungsunternehmen in Schleswig-Holstein fast 6000 bezahlbare Wohnungen gebaut. Im selben Zeitraum seien rund 950 Millionen Euro in die Instandhaltung und in die Modernisierung bestehender Wohnungen investiert worden. „Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können. Ich habe jedoch Sorge, dass Wohnungsneubau und Sanierung auf Grund steigender Klimaschutzanforderungen zurückgehen werden.“

In die gleiche Kerbe haut Steffen Becker, Geschäftsführer des Norderstedter Wohnungsunternehmens Plambeck, das in den nächsten Jahren Hunderte von Wohnungen in der Stadt bauen und den umfangreichen Altbestand sanieren will: „Bezahlbares Wohnen ist mehr denn je stark davon abhängig, dass ausreichend Fördermittel zur Verfügung stehen.“

Die Experten seien sich einig: Schärfere Auflagen für das Dämmen der Gebäudehülle bringe keine weitere Energieeinsparung. „Wir brauchen intelligente Lösungen, die den Nutzer nicht bevormunden und ihn gleichzeitig an den Einsparungen direkt partizipieren lassen. Selbsterzeugter Strom wird dabei zukünftig eine Rolle spielen“, sagt Becker. Die Herausforderung bestehe darin, so zu bauen, dass CO2 eingespart wird, egal ob beim Um- oder Neubau. Wirksame Hebel seien die Reduzierung von großen Tiefgaragenflächen, eine nachhaltige Bauweise oder die Vermeidung aufwendiger Gebäudetechnik. „Dennoch wird der Neubau wichtig bleiben, nur so wird mehr Wohnraum geschaffen“, sagt Becker.

Günstiger Wohnraum: Mehrkosten von 300 Euro pro Quadratmeter

„Uns liegt bereits seit mehr als zwölf Jahren die Steigerung der Energieeffizienzklassen am Herzen“, sagt Kim Kölln, Sprecherin der Norderstedter Wohnungsbaugesellschaft Adlershorst. Fast die Hälfte der knapp 2000 Wohnungen in Norderstedt hätten durch die energetische Sanierung die Energieeffizienzklassen B und C erreicht – die Skala reicht von A+ (KfW-40-Standard) bis H (unsanierte Altbauten). Die Mieter profitierten, sie verbrauchten weniger Heizenergie und sparten Geld. Nun sollen die Heizanlagen optimiert werden. „Derzeit gehen wir davon aus, dass wir mindestens die Energieeffizienzklasse C für alle unsere Bestandsgebäude erreichen werden“, sagt Kim Kölln.

Zurzeit baut Adlershorst knapp 200 Wohnungen und eine Kita in Norderstedt, weitere 102 sind geplant. „Bei unseren Neubauten berücksichtigen wir mindestens den KfW55-Standard“, so Kölln. Im Quartier „Levenslust“ am Alten Kirchenweg entstehe ein Gebäude im KfW40-Standard, was Mehrkosten in Höhe von rund 300 Euro pro Quadratmeter verursache. Es bleibe abzuwarten, wie die Förderung dieser von Energieminister Robert Habeck angestrebten hohen Standards ausgestaltet wird. Deren Höhe beeinflusse die Mieten. „Wir haben das Selbstverständnis, bei der Realisierung unserer Projekte angemessene Mieten und den Klimaschutz in Einklang zu bringen.“ Dafür denke Adlershorst über den ökologischen Fußabdruck des einzelnen Gebäudes hinaus und nutze auch die energetischen Vorteile von Quartierslösungen.

Günstiger Wohnraum: Energiebedarf der Gebäude senken

„Die energetische Sanierung von Wohnraum allgemein ist neben anderen Handlungsfeldern ein wichtiger Baustein, um die CO2-Emissionen im Kreis Segeberg zu senken“, sagt Heiko Birnbaum, Klimaschutzmanager des Kreises. Allerdings sei das Aufgabe der Vermieter, die Verwaltung könne da nur beratend zur Seite stehen. So wie in Wahlstedt, wo der Kreis 2015 das Quartierskonzept Marinesiedlung initiiert hat. Dort ging es auch um energetische Sanierung.

Birnbaum hält alle Maßnahmen für sinnvoll, die den Energiebedarf des Gebäudes senken. Wichtiger sei aber noch, dass Wärme und Strom regenerativ erzeugt werden. „Zuschüsse für energetische Maßnahmen als Anreiz für Vermietende begrüße ich generell. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass einige Wohnungsbaugesellschaften über Jahrzehnte hinweg nur das Nötigste an ihren Immobilien gemacht haben“, sagt Birnbaum. Dass dieser Sanierungsstau jetzt zusätzliche beziehungsweise eigentlich nur verschobene Kosten bedeutet, liege auf der Hand. „Darüber, ob diese Arbeiten mit öffentlichen Mitteln gefördert werden sollten, wird durchaus kontrovers diskutiert.“