Bad Segeberg . Der Amtsinspektor aus Bad Segeberg hat einen unheilschwangeren Roman mit dichter Atmosphäre geschrieben.
Dieser Mann brütet gerne über Steuererklärungen. Das ist kein Hobby, sondern ein Beruf: Tobias Sommer (43) ist Amtsinspektor im Segeberger Finanzamt. Mit Leib und Seele hat er sich den Zahlen verschrieben. Buchstaben aber spielen in seinem Leben auch eine Rolle – eine sehr entscheidende sogar: Der Finanzbeamte im mittleren Dienst brütet in seiner Freizeit über Manuskripten. Er ist in seinem Zweitberuf Schriftsteller. Und ein recht erfolgreicher dazu: Gerade ist sein vierter Roman erschienen. „Das gekaufte Leben“ wird von der dtv Verlagsgesellschaft herausgegeben. Rechnet man einen Erzähl- und einen Gedichtband hinzu, kommt Tobias Sommer in seiner schriftstellerischen Laufbahn sogar auf sechs Bücher. Nicht schlecht für einen Autor, der sich hauptsächlich mit Steuererklärungen beschäftigt. Den Ingeborg-Bachmann-Preis hätte er vor acht Jahren übrigens auch beinahe gewonnen.
Das neue Buch ist für den Segeberger Familienvater eine Art Zäsur: Bisher hat er bei dem eher kleinen, aber feinen österreichischen Septime Verlag veröffentlich, jetzt hat er sich einem der größten deutschen Verlage anvertraut. Und anscheinend vertraut der Verlag auch seinem neuen Autor: Der nächste Roman ist bereits fertig und soll 2023 bei dtv erscheinen.
Mann ersteigert Leben eines Unbekannten
Wer die letzten beiden Romane von Tobias Sommer gelesen hat, bemerkt ein gewisses Muster. Zufall oder nicht: In „Jagen 135“, 2015 erschienen, und jetzt in „Das gekaufte Leben“ schwebt auf zunächst kaum wahrnehmbare Weise eine geheimnisvolle Atmosphäre im Hintergrund. Kaum wahrnehmbar zunächst, aber immer gegenwärtig. Zunächst brodelt und vibriert es sozusagen leise unter der Oberfläche, mit zunehmender Lesedauer wird der Sog immer stärker.
Im neuen Roman von Tobias Sommer geht es um einen Mann, der sein altes Leben hinter sich lässt und sich im Internet ein neues ersteigert. Er übernimmt das Leben eines ihm unbekannten Mannes in der ostdeutschen Provinz – Haus, Beruf, Freunde, Hobbys. Clemens Freitag ist zufrieden mit seiner Entscheidung, aber nach und nach zerbröselt die Idylle. Tief unten im Waldsee, der an sein Grundstück grenzt, gibt es ein Geheimnis. Der Protagonist erkennt, dass er nicht nur das Leben, sondern auch die Taten seines Vorgängers gekauft hat. Unheimliche Anrufe, anonyme Warnungen, unterschwellige Erotik: Auf 335 Seiten entwickelt Tobias Sommer auf sehr subtile Weise eine beklemmende Atmosphäre voller Spannung, die sich zunächst auf ganz leisen Sohlen heranschleicht.
Auf die Idee zu diesem Stoff ist er bereits vor zwölf Jahren gekommen, als er im Internet zufällig darauf gestoßen ist, dass ein Australier sein komplettes Leben verkaufen wollte.
Handelt es sich hier also um einen Kriminalroman? Tobias Sommer ist sich selbst nicht ganz sicher: „Das müssen die Leser selbst entdecken. Es ist jedenfalls kein Thriller, obwohl natürlich Elemente davon enthalten sind.“ Festzuhalten bleibt: Ein herkömmlicher Krimi mit Verwicklungen, mehreren Handlungssträngen und dem ausgebreiteten Liebesleben des Kommissars ist es nicht. Überhaupt bleibt das Personal überschaubar, alles spielt sich im kleinen Dörfchen Zaun mit seinen wenigen Bewohnern ab. Die Dorfkneipe „Zaungast“ spielt eine wesentliche Rolle. Aber auch hier bleibt die Zahl der Beteiligten übersichtlich: Meistens ist die Kneipe leer.
Schreiben soll Sommers Leidenschaft bleiben
Das Angeln ist übrigens ein wesentliches Element des Romans: Nahezu meisterhaft breitet der Autor die Szenen vor den Lesern aus – Hemingway und sein alter Mann lassen grüßen.
Wie arbeitet ein Finanzbeamter als Schriftsteller? Wann und wie werden Zahlen gegen Buchstaben getauscht? Wie wird die Phantasie, die beim Prüfen von Steuererklärungen eher einrostet, in Gang gesetzt? Tobias Sommer, der mit seiner Lebensgefährtin und den beiden zwölf und fünf Jahre alten Töchtern ein Häuschen im Süden Segebergs bewohnt, arbeitet rational und effektiv. Tagsüber Zahlenkolonnen, nach Feierabend die Literatur: „Ich versuche, jede freie Minute zu nutzen, um an meinen Büchern zu schreiben.“ Da kann es schon mal vorkommen, dass er beim Warten an der Supermarktkasse einen guten Einfall ins Handy tippt. Morgens vor der Arbeit oder abends vor dem Zubettgehen werden die Einfälle umgesetzt. „Ich kenne keine Schreibsperre, sobald ich eine Stunde Zeit habe, schreibe ich“, sagt Tobias Sommer.
Trotzdem sind zwischen seinem letzten und seinem aktuellen Roman gut sieben Jahre vergangen. Die Gründe sind unterschiedlich. Er habe immer an verschiedenen Projekten gearbeitet, aber ausschlaggebend für die lange Pause sei die Suche nach einem neuen Verlag gewesen. „Ich war sehr zufrieden mit meinem österreichischem Verlag, aber jetzt sollte es mal ein großer Verlag sein.“
Eine Literaturagentur half ihm beim Besteigen der nächsten Stufe, aber die großen Verlage entscheiden sich nun mal nicht von heute auf morgen. Jetzt hat Tobias Sommer seinen großen Verlag im Rücken und genießt die Aufmerksamkeit, die dort seinem Buch geschenkt wird. Schon wenige Tage nach dem Erscheinen, gibt es Rückmeldungen. Es gibt etliche positive Rezensionen, und eine bekannte Düsseldorfer Buchhandlung in der Königsallee hat „Das gekaufte Leben“ sogar in das Bestseller-Regal gestellt. Was kann ein Finanzbeamter aus Leidenschaft mehr erwarten?
Sollte es tatsächlich mehr werden und aus dem Buch ein echter Bestseller, käme Tobias Sommer wohl nicht ins Wanken: „Es wäre doch naiv, den Job aufzugeben.“ Hauptberuf Schriftsteller? Das kann sich Tobias Sommer nicht vorstellen. Aber das Schreiben wird weiter seine Leidenschaft bleiben. Da ist er sich ganz sicher.