Kreis Segeberg. Zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht macht das Gesundheitsamt widersprüchliche Aussagen. Heimbetreiber sind schockiert.

Während Ministerpräsident Daniel Günther im Landtag die Rückkehr zur Normalität nach der Corona-Pandemie für die Bürgerinnen und Bürger propagiert, müssen sich die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegewesen ab dem 15. März einer harten, neuen Sonderregelung unterziehen – der sogenannten einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Das Ziel: der Schutz der Seniorinnen und Senioren und anderer vom Virus besonders gefährdeten Menschen im Land.

Die Impfpflicht gilt für alle Mitarbeitenden, die ständig direkten Kontakt mit Patienten und pflegebedürftigen Menschen haben. Also für die Beschäftigten in Arztpraxen, in der stationären und ambulanten Altenpflege, in Krankenhäusern, Rettungsdiensten, Reha-Einrichtungen, Tageskliniken, Frühförderung, Behindertenwerkstätten. Sie gilt auch für Schulbegleiter von Menschen mit Behinderung sowie Zeitarbeitskräfte und Praktikanten im sozialen Jahr in diesen Einrichtungen. Nicht betroffen sind die Bewohner und Patienten selbst sowie Apotheken, Labore, Beratungsstellen und Pflegestützpunkte. Eine Befreiung von der Impfpflicht ist nur mit einem begründeten ärztlichen Attest möglich. Die Betreiber dieser Einrichtungen müssen künftig von jedem Mitarbeitenden den Impfnachweis vorlegen und über ein Kreisportal online an das Gesundheitsamt melden. „Anschließend wird das Gesundheitsamt jeden einzelnen nicht geimpften Fall sorgsam prüfen“, kündigt Christian Herzmann vom Infektionsschutz des Kreises Segeberg jetzt an.

Widersprüchliche Aussagen zum Impfschutz

Um den Betroffenen der Impfpflicht Aufklärung über Umsetzung und Kontrolle der Regelung zu bieten und die Chance, Fragen zu stellen, hatte das Gesundheitsamt des Kreises am Mittwoch zu einer Online-Konferenz geladen. Doch die Konferenz sorgte eher für das Gegenteil: Hinterher waren bei einigen der bis zu 70 Teilnehmenden die Fragezeichen größer als vorher.

„Das Gesundheitsamt des Kreises Segeberg stochert bei der Impfpflicht im Nebel. Ich bin total schockiert“, sagt Gunnar Löwe, Betreiber des Altenheim Scheel in Norderstedt. Und seine Kollegin Sabine Hinz, die ein Heim mit 64 Bewohnern in Itzstedt führt, sagte: „Ich bin entsetzt, wie wenig die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes wissen.“

Was die beiden Heimbetreiber besonders verärgerte, waren widersprüchliche Aussagen des Infektionsschutzes zu den Fristen, wie lange der Status eines vollständigen Impfschutzes gelte. Dazu hieß es von der Kreisbehörde nun, nach sechs Monaten sei der abgelaufen. Doch auch eine Frist von neun Monaten wurden genannt. Ähnlich diffus waren die Angaben, wie lange jemand als immun gelte, wenn er oder sie eine Corona-Infektion überstanden hatte. „Ich habe Mitarbeiter, die sind schon am 24. September das dritte Mal geimpft worden“, sagt Löwe. Wenn die Sechs-Monats-Regel nun plötzlich gelten sollte, würden diese bereits am 24. März nicht mehr als vollständig geimpft gelten. „Das hat doch massive Auswirkungen für die Pflegeheime“, ärgert sich Löwe. Und der Kreis könne dazu keine eindeutigen Aussagen treffen.

So sieht es auch Sabine Hinz: „Ich habe klare Antworten vom Kreis erwartet. Das ist doch für uns existenziell.“ Eine derart schlecht vorbereitete Veranstaltung hätte sich der Kreis lieber sparen sollen. „Jetzt wissen wir gar nicht, was wir unseren 600 Mitgliedern raten sollen.“ Löwe und Hinz sitzen beide im Landesvorstand des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA), dem allein in Schleswig-Holstein 600 Betreiber angehören. Im Vagen blieben auch die Antworten auf die Frage, wie viele Mitarbeitende im Kreis Segeberg denn nun jederzeit vollständig geimpft sein müssen, damit die Versorgung in den Heimen und im übrigen Gesundheitswesen funktioniere. Das könnte er nicht sagen, antwortete Christian Herzmann vom Infektionsschutz. Nur eine Schätzung sei möglich. Wenn zehn Prozent der Bevölkerung im Kreis in den Gesundheitsberufen arbeiteten, wären das 28.000, von denen vielleicht ein Zehntel nicht geimpft sei.

Eine solche Aussage nennt Gunnar Löwe abenteuerlich. „Die haben offenbar null Überblick beim Kreis.“ Jeden Monat müssten alle Pflegeeinrichtungen dem Kreis haargenau mitteilen, wie viele Bewohner und Mitarbeitende geimpft seien. „Warum melden wir das an das Gesundheitsamt, wenn das überhaupt nicht ausgewertet wird?“

Auf nochmalige Nachfrage bleibt Herzmann bei seiner vagen Einschätzung. „Die Zahl liegt uns nicht vor. Betroffen vom Gesetz sind nicht nur Pflegeeinrichtungen, sondern eine Vielzahl weiterer Einrichtungen, sodass es keine Übersicht gibt“, lässt er aus der Kreisbehörde mitteilen. Zur Frage, wann der Impf- und Genesenenschutz ablaufe, sagt er: „Dazu gibt es Definitionen auf den Seiten des Robert-Koch-Institutes und des Paul-Ehrlich-Institutes. Dies wird nicht vom Kreis geregelt.“

Aber auch andere Teilnehmende dieser Videokonferenz scheinen große Sorgen um die Existenz ihres Betriebes und die Versorgungslage der pflegebedürftigen Menschen im Kreis zu haben. Fast zwei Drittel der befragten Konferenzteilnehmenden äußerten diese Sorgen. Mehr als ein Drittel hält diese einrichtungsbezogene Impfpflicht für „nicht sinnvoll“. Neun der zuhörenden Betreiber haben mehr als vier ungeimpfte MitarbeiterInnen. 17 fürchten rechtliche Auseinandersetzungen mit ihren Mitarbeitern. Bei dreien macht dies bis zu oder mehr als ein Viertel der Belegschaft aus.

Bei der Durchsetzung der Pflicht gebe es Spielräume

Immerhin gilt das nicht für die Heime von Löwe und Hinz. Bei ihm sei nur ein Mitarbeiter von 100 nicht geimpft, sagt Löwe. In Itzstedt sei sie sogar „in der komfortablen Lage, dass alle meine 57 Mitarbeiter geimpft sind“, sagt Sabine Hinz.

Infektionsschutzleiter Herzmann ist sich dieses „Dilemmas“ bewusst. „Wir müssen die Impfpflicht durchsetzen und gleichzeitig die Pflegeversorgung im Kreis Segeberg sicherstellen. Da stehen wir zwischen zwei Zielen, die sich widersprechen.“

Darum versuchte Herzmann die Gemüter zu beruhigen, indem er betonte, dass die Kreisbehörde nach eingehender Einzelfallprüfung ein Betätigungsverbot nur als letztes Mittel aussprechen werde. „Da werden wir Ermessensspielraum haben.“ Der Betroffene könnte unter Auflagen weiterarbeiten, insbesondere dann, wenn die Versorgung der Bewohner im Heim dadurch gefährdet sei. Diese Einzelfallprüfung werde aber dauern. „Bitte lassen Sie den Mitarbeiter bis dahin weiterarbeiten.“