Norderstedt. Corona-Zeit hinterlässt Spuren in der Psyche. Das ist auch in Norderstedt zu beobachten, sagen Experten und Kita-Betreiber

Lockdowns, Kontaktbeschränkungen, Quarantäne, Maskenpflicht: Seit zwei Jahren prägen Begriffe wie diese wegen der Corona-Pandemie unseren Alltag. Das betrifft auch Kita-Kinder. Und es hat nicht selten negative Folgen für deren Psyche, wie ein Bericht der Norderstedter Beratungsstelle für Kindertagesstätten besagt. Kita-Betreiber, Erzieher und Kinderpsychologen bestätigen diese Einschätzung.

„Generell haben mehr Kita-Kinder während der Pandemie allgemeine Ängste und Selbst-Unsicherheiten entwickelt“, sagt Jutta Bartels. Sie ist Sozialpädagogin und Systemische Beraterin in der Norderstedter Beratungsstelle für Kindertagesstätten. Die Stelle ist trägerübergreifend für 37 Kitas, Krippen und Horte in Norderstedt zuständig.

Für die Jahre 2020 und 2021 hat die Beratungsstelle jetzt einen Tätigkeitsbericht vorgelegt. Darin werden auch die „Auswirkungen der Pandemie für Kinder“ geschildert. Unter anderem heißt es: „Kinder, die schon vor der Pandemie Probleme hatten und nicht genügend Zuwendung und Unterstützung in der Familie erhalten konnten, zeigten zunehmend verstärkte Auffälligkeiten, sowohl aggressive als auch sich zurückziehende Verhaltensweisen.“

Nach der dritten Pandemiewelle habe in Kitas die „Stabilität und Gruppenidentität“ gelitten, heißt es weiter in dem Bericht. „Ängste und Stimmungsschwankungen“ hätten sich stärker gezeigt. Laut Jutta Bartels hätten Probleme wie diese, in Verbindung mit dem Fachkräftemangel und pandemiebedingten Personalausfällen, in Kitas zu schwierigen Situationen geführt. Jutta Bartels: „Da, wo die Personaldecke sowieso schon knapp war, war das eine umso größere Herausforderung.“ Die Leistungen des Norderstedter Kita-Personals in dieser Zeit könne man „nicht hoch genug einschätzen“.

Die notwendigen Hygieneregeln, so Bartels weiter, hätten „das Autonomiebestreben der Kinder eingeschränkt“, etwa durch die Kohortenregelung, die dazu führte, dass Kinder nicht mehr mit ihren Spielkameraden aus anderen Gruppen spielen durften. Zudem durften sich die Kinder aus Hygiene-Gründen nicht mehr selbst das Essen auffüllen. „Was für Erwachsene wie eine Kleinigkeit wirkt, ist für Kinder eine große Sache, da das für sie eine Einschränkung in der Entwicklung ihrer Selbstständigkeit bedeutet.“ Bartels: „Kinder-Rechte wurden während der Pandemie massiv eingeschränkt.“

Dass die Pandemie negative Folgen auf die Psyche mancher Kinder hatte – und hat – bestätigt Ulf Bünning. Er ist Geschäftsführer der Gesellschaft „Der Kinder wegen“, die sechs Kitas in Norderstedt betreibt. Insgesamt gehen 380 Kinder in Kitas des Trägers. Bünning sagt: „Die Kinder sind im Durchschnitt auffälliger, vor allem im sozialen Bereich. Sie sind unsicherer, zurückhaltender im Umgang mit Mitmenschen. Und in der Entwicklung sind sie, verglichen mit Kindern in der Zeit vor der Pandemie, spürbar ein bisschen zurück.“

Schließungen machten Eingewöhnungen schwierig

Abstandsgebote und Kohortenregelungen hätten Auswirkungen auf die soziale Entwicklung. Zudem hätten die vielen Schließungen zu Verunsicherung geführt. Gerade bei Kindern, die in dieser Phase neu in die Kita kamen, habe das für Eingewöhnungsprobleme gesorgt. Das bestätigt auch Jutta Bartels: „Für manche Kinder waren die oft mehrmaligen Kontaktabbrüche in der Eingewöhnungsphase sehr belastend.“

Teilweise werden aus negativen Gefühlen, Traurigkeit und Ängsten handfeste Probleme, die behandelt werden müssen. Pandemiebedingt gibt es in den Praxen von Kinderpsychologen, aber auch in Kliniken und Erziehungsberatungsstellen einen „deutlichen Zulauf von Patienten im Kita-Alter“, wie Michael Schroiff sagt. Er ist Ansprechpartner für die Landesgruppe Hamburg und Schleswig-Holstein des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendpsychotherapeuten (bkj). Schroiff hat eine Praxis in Hamburg, wie viele Kollegen in Schleswig-Holstein behandelt auch er derzeit Kinder mit Problemen, die auf die Pandemie zurückzuführen seien. Schroiff: „Wir behandeln in dem Alter vor allem Ängste und soziale Phobien. Kinder haben Ängste vor Fremden, Scheu, mit Unbekannten Kontakt aufzunehmen.“

Wie das mit dem Coronavirus zusammenhängt, erklärt er so: „Die Umwelt wird für Kinder durch Hygieneregeln mitunter unheimlich und bedrohlich.“ Hinzu kämen Kontaktverbote: „Kinder fehlen ihre Kameraden, mit denen sie Ideen entwickeln, Erlebnisse teilen können. Isolation führt zu psychischem Druck, gerade bei Kindern, die schon vorher unter Druck standen.“ Wenn dann die ganze Familie zu Hause bleiben müsse, steige manchmal auch bei den Eltern und Geschwistern der Stress – mit negativen Folgen. Schroiff weiter: „Manche Kinder entwickeln durch die Coronakrise sogenannte Tick-Störungen. Sie machen dann zum Beispiel ungewöhnliche, sich immer wiederholende Bewegungen, sind in diesen Bewegungsmustern gefangen.“

Eltern sollten auf Signale wie diese achten und auch darauf, ob Kinder „nervös und leicht irritierbar“ seien oder sich zurückzögen. Häuften sich Anzeichen wie diese, sollte ein Facharzt aufgesucht werden, damit sich diese Tendenzen nicht verfestigen.

Michael Schroiff betont auch, dass Kinder durchaus nicht nur mit Angst und Verunsicherung auf die Pandemie reagieren. Teilweise könnten sich gerade Kinder gut auf die Veränderungen einstellen, das zeige der selbstverständliche Umgang vieler Kinder mit Masken. Auch Jutta Bartels betont, dass die vielen Veränderungen nicht automatisch immer ein Problem für die Jüngsten darstellen – so habe es etwa auch Kinder gegeben, die die die Kontaktabbrüche während der Kita-Eingewöhnung gut bewältigt hätten. Unter dem Strich könne man „noch nicht einschätzen, in welchem Maß Kinder aus der Phase der Pandemie Defizite mitnehmen – oder, auf der anderen Seite, Resilienzen entwickelt haben“ – also die Fähigkeit, im späteren Leben schwierige Situationen zu bewältigen.

Kinder nicht aggressiver, sondern „angepasster“

Auch Martin Alsleben, stellvertretender Leiter der evangelisch-lutherischen Kita Johannes in Norderstedt, stellt bei den Kindern soziale Veränderungen fest – von zunehmender Aggressivität oder sozialem Rückzug kann er aber nicht sprechen. Er sagt stattdessen: „Die Kinder sind angepasster. Was wir als Erzieher sagen, wird nicht mehr so häufig hinterfragt.“ Alsleben führt das auf die vielen Pandemie-Regeln zurück. Diese hätten teilweise sogar positive Auswirkungen gehabt: „Dadurch, dass die Eltern die Kinder nicht mehr ins Gebäude bringen durften, sind viele Kinder selbstständiger geworden.“

Kommt es doch dazu, dass ein Kind für längere Zeit traurig ist, etwa weil Quarantäne-Regeln den Kita-Besuch verhindern, muss nicht immer gleich ein Therapeut eingeschaltet werden. Michael Schroiff: „Es ist wichtig, wie Eltern mit den Gefühlen ihrer Kinder umgehen. Sie sollten den Kummer ernst nehmen, mitfühlend begleiten“, sagt er. Zudem sei es sehr wichtig, dass Kinder trotzdem die Kontakte zu ihren Freunden halten können – und sei es per Video-Chat. „Kinder brauchen Hoffnungszeichen.“

Hoffnung hegt auch Ulf Bünning – darauf, dass nun auch für Kitas weitere Lockerungen kommen. „Erleichterungen gab es ja schon für den Einzelhandel und die Gastronomie, auch bei uns sind die Regeln weniger streng als noch zu Jahresanfang. Da muss es weitergehen. Es kann nicht sein, dass die Kitas erst am Schluss betrachtet werden.“ Im Sinne der psychischen Gesundheit der Kinder müsse es zurück zum früheren Kita-Alltag gehen. Ulf Bünning: „Wir können seit zwei Jahren die Bedürfnisse der Kinder nur eingeschränkt erfüllen. Wir wollen wieder 100 Prozent geben.“