Kreis Segeberg. Im Interview spricht Psychotherapeut Dr. Gernot Langs von der Schön Klinik Bad Bramstedt über Altersdepression.
Etwa vier Millionen Deutsche leben mit einer behandlungsbedürftigen Depression. Immer mehr von ihnen sind älter als 60 Jahre. Über typische Anzeichen und ein neues Therapiekonzept gegen Altersdepression sprachen wir mit Univ.-Doz. Dr. Gernot Langs (60), Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und ärztlicher Direktor der Schön Klink Bad Bramstedt.
Wie definiert sich Depression?
Dr. Gernot Langs: Eine Depression ist dadurch charakterisiert, dass die Menschen traurig und niedergeschlagen und/oder freud- und lustlos sind. Antrieb und oft auch Selbstwertgefühl sind vermindert. Mangelnder Appetit und Schlaf sowie Grübeln können hinzukommen. Das kann bis zum Lebensüberdruss gehen.
Menschen schämen sich oft ihrer Depression, kapseln oder strampeln sich beruflich ab bis zur kompletten Erschöpfung.
Depression ist oft sehr schambehaftet. Das hat auch damit zu tun, dass bis in die Neuzeit hinein Menschen, die sich das Leben genommen hatten, außerhalb des Kirchhofs verscharrt wurden, da dies als Sünde angesehen wurde. Depression ist stark verbunden mit dem Gefühl: Ich hab’s nicht hingekriegt. Wer beispielsweise unter Burnout leidet – im Prinzip eine Erschöpfungsdepression –, der hat zu viel gemacht und ist deshalb depressiv geworden. Denkt aber häufig, er müsse sich zusammenreißen, weitermachen und dann würde alles wieder gut.
Im Alter ist Depression neben der Demenz die häufigste psychische Erkrankung.
Beides hat jedoch nichts miteinander zu tun. Demenz ist eine organische Erkrankung. Depressive Menschen leiden oft unter Konzentrationsstörungen und verminderter Merkfähigkeit und haben deshalb Angst, dement zu werden. Früher gab es dafür den fehlgeleiteten Begriff der depressiven Pseudo-Demenz. Ihn verwendet man heute nicht mehr, sondern spricht von einer vorübergehenden kognitiven Störung oder Einschränkung.
Lassen sich chronisch Depressive jedoch nicht behandeln, ziehen sich zurück und erhalten so weniger Reize von außen, vermindert sich die Vernetzung der Nervenzellen. Dann ist die Tendenz, dement zu werden, eher gegeben.
In Ihrer Klinik behandeln Sie jährlich 1500 Depressionspatienten, darunter sind immer mehr Menschen über 60. Sie sprechen hier von Altersdepression. Wie kommt es dazu?
Mit 60 beginnt für die meisten eine neue Lebensphase, die geprägt ist von einschneidenden Veränderungen und Abschieden. Familiengründung und Karriereplanung liegen hinter ihnen. Die Kinder sind aus dem Haus. Die sozialen Kontakte vermindern sich. Viele gehen aus dem Beruf. Die Verrentung bringt möglicherweise finanzielle Einschränkungen. Wer Kinder hat, muss sich eventuell auf die neue Rolle als Oma oder Opa einstellen. Auch der Tod des Partners, der Verlust enger Freunde sind oft Bestandteile dieses Lebensabschnitts. Körperliche Einschränkungen und Einsamkeit spielen eine große Rolle. Die Alltagsstruktur verändert sich, und es stellt sich die Frage: Wie geht’s weiter?
Für diese Zielgruppe haben Sie ein spezielles Therapiekonzept entwickelt.
Unser neues Behandlungskonzept berücksichtigt diese individuellen Hintergründe und integriert sie in den therapeutischen Prozess. Im Rahmen ihres Klinikaufenthalts erlernen die Patienten Strategien zum Lösen von Problemen. Ältere Menschen neigen dazu, negativ auf das eigene Leben zurückzublicken. Hier setzt unsere Therapie an. Wir binden biografische Elemente in unsere Gruppengespräche ein. So helfen wir unseren Patienten dabei, die eigene Lebenslinie aus einem anderen Blickwinkel wahrzunehmen und das große Potenzial zu nutzen, das in der persönlichen Lebenserfahrung liegt.
Es gilt, sich bewusst zu machen: Das alles habe ich schon geleistet. Und sich dann zu fragen: Habe ich es noch nötig, mich zu beweisen? Die Antwort lautet meistens: Nein! Natürlich sollte ich meinen Job gut und gerne machen – aber mit weniger Hektik und mehr Ruhe und Gelassenheit.
Entscheidend ist doch, die Dynamik zu behalten und sich zu sagen: Okay, ich habe wahrscheinlich noch 20 bis 25 Jahre Leben von mir. Das ist viel. Was mache ich damit? Hadere ich jetzt mit dem Älterwerden oder akzeptiere ich es und mache was Gutes daraus.
Und zu lernen, im Heute zu leben?
Ja, jeden Tag bewusst zu leben und zu genießen, so lange es geht.
Wie begegnen Sie dem Thema Einsamkeit?
Auch der Umgang mit Einsamkeit zählt zum Therapiekonzept. Schon während des Klinikaufenthalts lernen die Patienten, ihre sozialen Netze zu erweitern und körperlich wie mental aktiv zu werden. Und schließlich finden die schwierigen Themen Abschied, Trauer und Tod ihren Platz in der Therapie.
Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang das Thema Vorsorge?
Es spielt in den Gruppengesprächen immer eine Rolle. Jetzt ist die Zeit, auch an morgen zu denken und sich um Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Testament etc. zu kümmern. Und Grenzen zu setzen! Ehrlich zu sich und seinem Umfeld zu sein. Als Großeltern den Kindern zum Beispiel ganz offen zu sagen: Ich kann die Enkel nicht jeden Tag betreuen. Das ist mir zu viel Verantwortung. Außerdem komme ich bei den Dreijährigen körperlich nicht mehr hinterher.
Auch ein Thema: die körperliche Veränderung.
Wer glaubt, sich körperlich mit einem 30-Jährigen vergleichen zu können, der irrt. Wir bieten präventiv Gleichgewichts- und Sturztrainings an. Denn mit zunehmender Osteoporose im Alter können die Knochen leichter brechen. Nehmen wir das Beispiel Treppe: Muss man in einem bestimmten Alter noch mittig auf der Treppe runtergehen, oder vielleicht besser am Rand mit der Hand am Handlauf? Scheinbar banal, doch in der Prävention immer wichtiger.
Welche weiteren Angebote bieten Sie Ihren Patienten?
Neben den eben beschriebenen sport- und bewegungstherapeutischen Maßnahmen, Entspannungstechniken oder kreatives Arbeiten in der Kunst- und Ergotherapie. Nach Bedarf wird die Behandlung medikamentös unterstützt. Die individuelle Zusammenstellung des Therapieplans erfolgt in der Regel zu Beginn des stationären Aufenthalts auf Basis der Diagnosestellung und therapeutischer Vorgespräche mit dem Patienten.
Wie beziehen Sie Angehörige in die Therapie ein?
Die Angehörigen auf dem therapeutischen Weg der Patienten mitzunehmen, ist wichtig. Wenn beide das möchten, bieten wir mindestens einmal während des Klinikaufenthalts ein gemeinsames Gespräch an. Coronabedingt vorwiegend telefonisch. Generell fördern wir den regelmäßigen Kontakt nach außen sehr – ob telefonisch oder über die sozialen Medien. Damit die Patienten sich mitteilen, was in der Therapie mit ihnen passiert, welche Herausforderungen sie meistern und welche Erfolge sie verzeichnen.
Wie „entlassen“ Sie die Patienten wieder in den Alltag?
Wichtig ist, dass die anschließende ambulante Betreuung gewährleistet ist. Hier unterstützen wir auf Wunsch mit Kontakten aus unserem Netzwerk. Mit der Barmer Krankenkasse beispielsweise haben wir einen Kooperationsvertrag für Online-Psychotherapie. In Zeiten von Corona rate ich, individuell bei den Krankenkassen danach zu fragen.
Welcher Weg führt Menschen mit (Alters-)Depression in die stationäre Therapie?
Wir empfehlen, als ersten Ansprechpartner den Hausarzt aufzusuchen. Dieser überweist dann an einen Facharzt aus den Bereichen Psychotherapie oder Psychiatrie oder empfiehlt einen Psychologischen Psychotherapeuten, der bei Indikation die Verordnung für die stationäre Behandlung ausstellt. Ich kann nur allen Betroffenen sagen: Behalten Sie Ihren Mut! Depression ist gut behandelbar, auch im Alter.