Quickborn. Nach doppeltem Schicksalsschlag haben Katja Bär und Swaantje Taube ein Fashion-Label gegründet. Eigentlich hatten sie andere Pläne.

Es gibt da diesen Spruch von John Lennon, der ziemlich gut auf sie zutrifft. „Leben ist das, was dir passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu schmieden.“ Katja Bär weiß heute nicht mehr, wann oder wo sie das Zitat das erste Mal gelesen oder gehört hat. Eigentlich war sie nie der JohnLennon-Typ, sie hat damals lieber Neue Deutsche Welle gehört. Damals, das ist 1983. Als im Radio „99 Luftballons“ von Nena läuft und Katja Bär ihr Leben plant. Ihr richtiges Leben, nach der Schule, nach dem Abi. Sie möchte Journalistik studieren, die Welt sehen. So der Plan. Doch dann kommt es anders. Dann passiert es – das Leben. Der Motorradunfall.

Sie liegt fast ein Jahr lang in der Paracelsus-Klinik, dann kommt sie nach Boberg. Monatelang ist nicht klar, ob sie jemals wieder laufen kann, womöglich sogar ein Bein verliert. Sie wird 35-mal operiert, sechs Jahre lang. Jeder Tag ein Überlebenskampf. Das Leben, so wie sie es geplant hat, rückt in weite Ferne. Ihr mündliches Abi macht sie im Krankenhaus, vom Bett aus. Das Krankenhaus wird für sie zu einem Zuhause.

Wenn Katja Bär über damals spricht, sagt sie, dass die Zeit sie stark gemacht hat. Geprägt hat. „Dass ich heute die Frau bin, die ich bin, verdanke ich dem Unfall“, sagt die 58-Jährige. Sie benutzt bewusst das Wort dankbar. Weil sie jeden Tag dankbar ist, dass sie überlebt hat. Dass sie ein Leben führt, das sie liebt – auch wenn sie es so nicht geplant hat.

Ihre Bettnachbarin im Krankenhaus inspiriert sie, Schneiderin zu werden

Manchmal gibt es Momente im Leben, die sich im Gedächtnis einbrennen. Die man nie vergisst, immer wieder hinaufbeschwören kann. Katja Bär hat sich oft gefragt, ob es auch bei ihr so einen Wendepunkt gab, aber sie kann sich nicht daran erinnern. Es gab keinen Aha-Moment, keine plötzliche Erkenntnis. Es war mehr eine Art Gefühl, das sie immer dann empfunden hat, wenn ihre Bettnachbarin im Krankenhaus von der Arbeit erzählt hat. Wenn sie erzählt hat, wie aus einem einfachen Stück Stoff Kleidung wird. Die Frau war Schneiderin. „Wenn sie von Mode und Handarbeit sprach, hat sie irgendetwas in mir ausgelöst“, sagt Katja Bär rückblickend.

Fast 40 Jahre ist das her, doch dieses Gefühl von damals wird sie nie vergessen. Dieses Gefühl, dass es da noch einen anderen Weg für sie geben könnte, als den, den sie geplant hatte. „Man schafft sich seine Träume selbst.“ Auch das hat John Lennon gesagt. Katja Bär ist auch Schneiderin geworden, Industrieschneiderin bei Erle zf in Ellerau. Zwischen damals und heute liegen viele Jahre, viele Stationen. Ein Job im Modezentrum Hamburg, ein Posten im Stoffgroßhandel, eine eigene Kollektion von Herrenhemden. Hätte man sie damals gefragt, wo das alles hinführen wird, hätte sie es sich selbst vermutlich nicht vorstellen können. Denn heute betreibt Katja Bär unter der Marke Winat Fashion zwei Mode-Läden Quickborn und Hamburg Volksdorf sowie ein Fashion Café in Quickborn – und hat gerade gemeinsam mit ihrer Schwester Swaantje (50) eine eigene Modekollektion entworfen und auf den Markt gebracht. KajSaj - Blusen und Strickmode, in Italien gefertigt.

Erst eröffnet sie vier Mode-Läden, dann ein Fashion Café. Dann kommt Corona

„Als die ersten Pakete mit Ware eingetroffen sind, in denen unser Label eingenäht ist, war das überwältigend“, sagt Katja Bär. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder mal diese Momente, einzigartig und unvergesslich. Die Eröffnung des ersten Ladens 1996 in Quickborn. Der Umzug an die Klöngasse. Die Gründung von Zweigstellen in Volksdorf, Ahrensburg und Wedel. Und die Eröffnung des Fashion Café – absolutes Neuland für sie. Die Idee wurde aus der Not heraus geboren: „Als in der Nachbarschaft ein großes Lebensmittelgeschäft auszog, hatte ich große Sorge, dass die Frequenz in der Fußgängerzone wegbricht. Daher habe ich mich gefragt, wie man den Laden zu einem Anziehungspunkt machen kann“, erinnert sich Katja Bär. Ihr Konzept von Shoppen und Schlemmen ist aufgegangen. Schon kurz nach der Eröffnung lief der Laden richtig gut, dann kam Corona.

Corona. Katja Bär erlebt mit Winat Fashion, was fast der ganze Einzelhandel erlebt. Lockdown, Schließung, Existenzangst. „Mir war klar, dass ich mir irgendetwas einfallen lassen muss“, erinnert sich die Unternehmerin und erzählt, wie sie eine Task Force gegründet hat, gemeinsam mit ihrer Schwester Swaantje Taube (50). Obwohl diese in Essen lebt und gar nicht in der Mode-Branche arbeitet, sondern promovierte Juristin ist, war sie die einzige Person, mit der Katja Bär einen Überlebensplan für den Laden ausarbeiten wollte. Schnell stand für die Schwestern fest, dass sie einen Online-Shop aufbauen müssen, um weiterhin Kunden zu erreichen. Vom Computer ging es für die Schwestern direkt auf den Laufsteg, denn sie wollten die Mode für den Laden präsentieren – und auch selbst die Fotos für die Internetseite machen. „Um zu zeigen, dass jede Frau in den Sachen toll aussieht und nicht nur Models“, sagt Swaantje Taube. Die erste Zeit sei richtig gut gewesen. So gut, dass jeder von ihnen neue Pläne machte. Swaantje, die gerade mit ihrem Mann aus Holland zurück nach Deutschland gekommen war, wollte sich einen Job als Juristin suchen. So der Plan. Doch dann passierte das Leben.

Swaantje wurde krank, sie hatte Brustkrebs, eine aggressive Form. Obwohl die Chemo zunächst gut anschlägt, geht es ihr damals immer schlechter. Sie kann nicht mehr laufen, nicht mehr aufstehen, muss künstlich ernährt werden. Heute sagt Swaantje, dass es damals „kurz vor knapp“ war. Bis man schließlich herausfindet, warum es ihr so schlecht geht und eine leichte Form von Mukoviszidose diagnostiziert, eine angeborene Stoffwechselerkrankung.

Nach einer schweren Krankheit wagt Swaantje Taube den Neuanfang

Eineinhalb Jahre ist das jetzt her, und für Swaantje Taube ist es immer noch ein Wunder, dass sie überlebt hat. Sie spricht offen darüber, ihr ist es wichtig, anderen Mut zu machen. Als sie das erste Mal bei Instagram über ihre Erkrankung, Haarausfall und Brustaufbau schreibt, sind die Reaktionen überwältigend. Sie hat sich verändert, ihr ganzes Leben hat sich verändert. Sie hat aufgehört, ihr ganzes Leben planen zu wollen, denkt in kleinen Schritten.

Carpe diem, nutze den Tag. Das ist ihr Motto. „Während der Krankheit ist mir immer mehr bewusst geworden, was ich danach machen möchte“, sagt Swaantje. Auch wenn sie ihren Job als Anwältin immer geliebt habe – irgendwie scheint es Zeit für einen Neuanfang zu sein. „Während der Arbeit an dem Online-Shop habe ich gemerkt, wie sehr mich Mode interessiert – und dass ich mich damit mehr beschäftigen möchte“, so Swaantje. Ihre Schwester Katja hat schon immer von einer eigenen Modelinie geträumt, jetzt tut es auch Swaantje. Zuerst erscheint es den beiden wie eine fixe Idee, doch dann überlegen sie immer öfter, wie man das aufziehen könnte. Welche Teile sie ins Sortiment mit aufnehmen würden, welche Stoffe sie nehmen würden und wo sie fertigen lassen würden. Auch wenn sie hin und her überlegen, im Herz steht die Entscheidung lange fest, bevor sie diese auch rational fällen. Sie wagen es. Anfang des Jahres ist die erste Kollektion von KajSaj erschienen, bestehend aus mehreren Strickmodellen und Blusen.

„Am Ende wird alles gut sein. Wenn es nicht in Ordnung ist, ist es nicht das Ende.“ Auch das ist so ein Zitat von Lennon. Aber es passt nur halb. Denn auch wenn alles gut ist: Am Ende sind Katja und Swaantje noch nicht. Sie fangen gerade erst an.