Norderstedt. Hilfe für die guten Vorsätze 2022: Abendblatt-Serie mit Ernährungsexpertin Dr. Angela Stahl aus Norderstedt
Beginnt ein neues Jahr, geht es wieder los mit den guten Vorsätzen. Eine nachhaltig gesunde Lebensweise stärkt das seelische Wohlbefinden und kann das Krankheitsrisiko verringern. Wie das funktioniert, darüber haben wir mit Dr. Angela Stahl gesprochen, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), Akupunktur, Naturheilverfahren und Ernährungsmedizin in Norderstedt. In der ersten Folge geht es um gesunde Gaumenfreuden und gefährliche Krankmacher, um Antioxidantien und Adipositas und die Erkenntnis: Die Qualität unserer Gesundheit liegt in unseren Händen.
Zwischen Essen und Ernährung können Welten liegen. Säßen wir jetzt nicht in Ihrer Praxis, sondern an Ihrem Frühstückstisch, welche kulinarischen Köstlichkeiten hätten mich erwartet?
Dr. Angela Stahl: Ich würde Ihnen Hirse kochen und daraus ein Müsli zaubern mit Banane, frischen Himbeeren, Blaubeeren, Erdbeeren, Sonnenblumen- und Kürbiskernen, Erdnüssen und eventuell etwas Leinsamen als Garnitur. Wenn Sie es süß mögen, würde ich Ihnen auch noch ein Löffelchen Honig dazu kredenzen. Diese Frühstücksidee stammt aus der Traditionellen Chinesischen Medizin, in der jedes Nahrungsmittel einen Funktionskreisbezug im Körper hat und in diesem Funktionskreis seine spezifische heilende Wirkung entfaltet.
Immer häufiger ist von Antioxidantien in Bezug auf Ernährung die Rede. Klären Sie uns mal auf.
Viele chronische Erkrankungen basieren auf biochemischen Reaktionen, die Zellen zerstören und oxidativer Stress heißen. Mit der Folge, dass die Mitochondrien, die kleinen Kraftwerke der Zellen, erkranken. Das kann Parkinson, Alzheimer, ALS, aber auch Arteriosklerose, schwere Depressionen, Diabetes mellitus, Schlaganfall und Herzinfarkt auslösen. Die moderne funktionelle Medizin setzt deshalb bei der Therapie der Mitochondrien an. Mit dem Ziel, schwere chronische Erkrankungen, insbesondere in der zweiten Lebenshälfte, zu vermeiden. Ein wichtiges Mittel, um unsere Mitochondrien zu schützen, ist eine antioxidative Ernährung, die vor Zellzerstörung schützt. Hier empfehle ich, Antioxidantien wie Vitamin A, C und E, Selen, Zink und hochwertigste Bio-Omega-3-Fettsäuren einzunehmen.
Wie könnte denn so ein antioxidatives Frühstück aussehen?
Bereiten Sie sich einen hochwertigen Smoothie zu – mit Brokkoli, Möhren, Äpfeln, frischen oder TK-Beeren (Himbeeren, Heidelbeeren), Kräutern wie Bärlauch, Koriander und Petersilie, Rapskern-, Walnuss- oder Arganöl (mit hochwertigem Omega-3) oder auch Oliven- oder Kokosöl. Man könnte noch Walnüsse und Mandeln hinzugeben und, um das Müsli gehaltvoller zu machen, eine gute Portion Chiasamen. Das Ganze zusammenmixen und gern auch mit einem Löffel Honig anreichen. Damit ist das Frühstück perfekt.
Stichwort ausgewogene Ernährung – was sollte ich pro Tag essen und wie verteilen?
Prinzipiell hat unsere Nahrung nicht nur die Aufgabe, uns zu ernähren und Energie zu spenden. Sie versorgt uns auch mit Makro- und Mikronährstoffen. Auf Stoffwechselebene sorgt sie für einen ausgeglichenen Insulinspiegel. Auf immunologischer Ebene hat sie die Aufgabe, antientzündlich zu wirken. Aber auch unsere Darmflora sollte sie gesunderhalten. Am Tage sollten wir 40 bis 50 Prozent Kohlenhydrate, 20 bis 40 Prozent Proteine und 20 bis 35 Prozent Öle und Fette zu uns nehmen. Unsere Nahrung sollte alle 21 essenziellen Mineralstoffe, 13 essenzielle Vitamine, acht essenzielle Aminosäuren sowie zwei essenzielle Fettsäuren enthalten.
Das war die Theorie. Blicken wir erneut auf den Esstisch. Den Morgen haben wir bereits „abgefrühstückt“. Was können wir uns nun mittags und abends Gutes tun?
Zum Mittag empfehle ich beispielsweise Putensteak mit Gemüse, Spinat mit Spiegelei und Kartoffeln, Kartoffeln mit Quark, Rindersteak mit Tomaten-Paprikasalat und Reis, Gemüsepfanne mit frischen Kräutern, oder Hirse- oder Buchweizenbrei. Zum Abend ein Vollkornbrot samt magerem Schinken, Magerquark oder fettreduziertem Käse. Auch ein frischer Gemüseeintopf ist köstlich.
Wie sieht es aus mit einem „Zwischensnack“?
Eher nicht. Wir sollten zwischen den Hauptmahlzeiten Essenspausen von vier bis fünf Stunden einhalten. Und das aus folgendem Grund: Jede Nahrungsaufnahme führt zu einer Erhöhung des Insulinspiegels. Insulin wird in der Bauchspeicheldrüse produziert. Es hat die Aufgabe, die Menge der im Blutkreislauf zirkulierenden Nährstoffe zu regulieren. Der Blutzuckerspiegel steigt an, wenn wir Kohlenhydrate essen. Daraufhin schüttet die Bauchspeicheldrüse Insulin in das Blut aus. Im Idealfall sorgt das Insulin dafür, dass der Zucker in der Zelle verwendet wird und der Blutzuckerspiegel wieder abfällt. Bei einer Insulinresistenz nehmen die Körperzellen den Zucker nicht mehr auf und reagieren so nicht ausreichend auf den Botenstoff Insulin. Der Blutzuckerspiegel fällt nicht mehr adäquat ab. Die Folge: Die Bauchspeicheldrüse entsendet weiteres Insulin. Das führt zu einem dauerhaft hohen Insulinspiegel im Blut. Das ist nicht gut, denn zu hohes Insulin im Körper unterdrückt die Fettverbrennung. Folge: Wir nehmen an Gewicht zu. Dieser Prozess kann Jahre dauern, bis die Bauchspeicheldrüse erschöpft ist und ein Teil ihrer Zellen mit der Insulinproduktion pausiert. Diese verminderte Insulinproduktion bei immer mehr steigenden Zuckerwerten ist dann der Zeitpunkt, bei dem wir an Typ-2-Diabetes erkranken.
40 Prozent der Erwachsenen haben seit Beginn der Pandemie deutlich zugenommen, im Schnitt 5,6 kg. Wie schätzen Sie die weiteren Folgen dieser Gewichts-Explosion ein?
Dramatisch. Gewichtszunahme ist ein schleichender Prozess, der unbeachtet immer weiter an Fahrt aufnimmt. Mit jedem Kilogramm, das wir zunehmen, wird es schwieriger, das wieder loszuwerden. Adipositas führt zu einer Vielzahl von Folgeerkrankungen wie Diabetes mellitus, Gicht, Vorhofflimmern, Hypertonus, koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, Knie- und Hüftgelenksarthrosen, Erkrankungen der Nieren, Leber und Gallenblase sowie Unfruchtbarkeit beim Mann. Aber auch die Minderung der allgemeinen Lebensqualität und des Wohlbefindens führen zu Einschränkungen im alltäglichen Leben. Stigmatisierungen, Ausgrenzungen durch Andere, mangelndes Selbstwertgefühl mit Ängsten und Depressionen können die Folge sein. Am Beispiel des Diabetes mellitus lässt sich am besten darstellen, wie Adipositas zur Entwicklung von Krankheiten führt: Acht von 100 Menschen mit Normalgewicht werden zuckerkrank. Bei Menschen mit Übergewicht sind es 22 von 100. Liegt Adipositas vor, erkranken 57 von 100 Menschen an Diabetes mellitus – ein entscheidender Risikofaktor für das Entstehen von Herzinfarkt und Schlaganfall. Adipositas beeinflusst auch das Sterberisiko. Eine Auswertung von 89 europäischen Einzelstudien hat ergeben, dass im Zeitraum von 15 Jahren etwa vier von 100 Erwachsenen mit Normalgewicht verstarben. Bei Vorliegen von Adipositas Grad I verstarben im gleichen Zeitraum sechs von 100 Personen, bei Personen mit Adipositas Grad III, der schwersten Form der Adipositas, zwölf von 100.
Daraus lässt sich schließen: Wir selbst haben es in der Hand, ob wir zunehmen wollen oder nicht.
So ist es! Es gibt viele schwerste Krankheiten, die wir selbst nur begrenzt verändern können. Auf eine Gewichtszunahme jedoch können wir selbst Einfluss nehmen, es ändern. Wir sind der Regisseur unseres Lebens und können uns für das neue Jahr vornehmen, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Als ich 16 Jahre alt war, hing über meinem Bett folgender Spruch: „Herr, gib mir die Kraft, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Gib mir den Mut, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann und gib mir die Weisheit, das Eine vom Anderen zu unterscheiden.“
Lesen Sie demnächst im Abendblatt den zweiten Teil: Dr. Stahl über Verlangen und Verzicht, Super-Food und fernöstliche Therapien.