Blunk. Familie Hamann gibt nach 100 Jahren den Betrieb ihres ausgezeichneten Restaurants auf und wird zum Arbeitsplatz-Vermieter.
Mit 67 Jahren noch mal neu anzufangen, dazu gehört eine gehörige Portion Mut – und eine Vision. Beides haben Angela und Stephan Schulze-Hamann. Die Gastronomie-Profis haben ihr mit Preisen ausgezeichnetes Restaurant und die Clubräume in ein innovatives Co-Working-Space mit Arbeitsplätzen auf Zeit für Freiberufler, Existenzgründer und Homeoffice-„Flüchtlinge“ verwandelt. Arbeiten statt abfeiern, schreiben statt speisen, lautet das neue Motto.
In dritter Generation führt das Paar seit 1983 mit dem Landhaus Schulze-Hamann in Blunk, nördlich von Bad Segeberg gelegen, eines der traditionsreichsten Gasthäuser Schleswig-Holsteins. Bereits 1778 vergab die dänische Krone eine Schankkonzession; seit 1919 ist das renommierte Haus im Familienbesitz der Hamanns.
Zahlreiche Hochzeiten und Jubiläen, Konfirmationen und Geburtstage wurden in den historischen Räumen gefeiert. Doch innerhalb von 13 Monaten gab es zwei verheerende Brände. Laut Gutachten wurden die Feuer durch Selbstentzündung von gewaschener und getrockneter Küchenwäsche durch eine Reaktion von im Gewebe verbliebenen ungesättigten Fettsäuren mit Luftsauerstoff verursacht.
Nach dem 100. Geburtstag brach ein Feuer aus
„Am 15. März 2019 hatten wir mit vielen Gästen unser 100-jähriges Bestehen gefeiert, im April den Nachhaltigkeitspreis erhalten und einen Monat später schlugen Flammen aus dem Wirtschaftstrakt“, erinnert sich Angela Schulze-Hamann wehmütig. Aufgeben kam für die Powerfrau, die schon mit 13 Jahren in Service und Küche mitarbeitete, nicht in Frage. „Das ist doch mein Elternhaus. Mein Herzblut steckt in jeder Faser des Betriebes. Ein Verkauf kam für uns nicht in Frage.“
Die Versicherung übernahm die Schadensregulierung, aber so wie früher sollte es nach der Komplettrenovierung des gesamten Gebäudes nicht weitergehen. „Wir wollten es künftig ruhiger angehen lassen“, sagt die studierte Betriebswirtin. Interessiert hatten sie und ihr Mann verfolgt, was sich in der Nähe auf Hof Viehbrock und in Preetz tat.
Dort wird seit 2020 das neue Bürokonzept der Co-Working-Spaces angeboten – wobei „Co-Working“ für „zusammenarbeiten“ steht und den kreativen Austausch von verschiedenen Genres und Metiers ermöglichen soll. So kommt vielleicht ein Jurist mit einem Vertriebler ins Gespräch oder ein Professor mit einem Makler – daraus können neue Ideen oder Projekte entstehen.
An warmen Tagen ist das Freiluft-Büro möglich
„Der Trend, der schon in vielen Städten erfolgreich angenommen wird, hat uns sofort begeistert und auch wir möchten beim Wandel hin zu einer nachhaltigen, klimafreundlichen Wirtschaftswelt mitwirken“, sagt Angela Schulze-Hamann – und macht seit November Nägel mit Köpfen. Das Restaurantmobiliar flog raus und es entstand ein Gemeinschaftsbüro in behaglicher Landhausatmosphäre mit Blick über Äcker und Felder.
Mit höhenverstellbaren Schreibtischen, ergonomischen Chefsesseln und Tageslichtlampen wurden vier komfortable Einzelarbeitsplätze eingerichtet, die tage- oder monatsweise gebucht werden können. Mit WLAN, Drucker, Whiteboard, Beamer und Luftreiniger ist zudem alles da, was das Arbeiten angenehmer macht, auch in Corona-Zeiten. Für Teams und Meetings mit bis zu 120 Teilnehmern steht der Festsaal zur Verfügung. Und wer eine Tür hinter sich schließen möchte, um gänzlich ungestört zu sein, wählt das Garten-, Kastanien- oder Rosenzimmer mit Aussicht auf die jeweiligen Namensgeber.
An warmen Tagen kann der temporäre Arbeitsplatz ins „Freiluft-Büro“ des weitläufigen Landhausgartens verlegt werden. Bei Bedarf stehen im hauseigenen Hotel garni sechs Doppel- und drei Einzelzimmer für Übernachtungen zur Verfügung, zudem gibt es ab fünf Personen ein Catering nach Slow Food-Kriterien, nach denen die Küche seit vielen Jahren ausgerichtet war.
Entspanntes Arbeiten in ländlicher Idylle, in der Andere Urlaub machen, damit wollen die Schulze-Hamanns bei potenziellen Kunden punkten. Dafür sind sie dem Netzwerk „CoWorkLand“ beigetreten. Die ersten Buchungen und Anfragen kamen etwa von einer angehenden Juristin aus Wahlstedt, die sich auf ihr zweites Staatsexamen vorbereitet, einem dreifachen Familienvater aus Bad Segeberg, der im häuslichen Homeoffice keine Ruhe findet, einem Autoren aus Oldesloe, dessen Büro im Eigenheim wegen eines Wasserschadens unbenutzbar ist und einem Fotografen, dem seine Wohnung zu eng und zu vollgepackt ist.
„Das Co-Working-Space ist eine großartige Kombination aus Arbeit und Freizeit, hier finde ich die Inspiration für neue Projekte“, schwärmt der Hamburger. Zweimal pro Woche will er sein neues Teilzeitbüro in Blunk nutzen; dank Autobahnanbindung in nur einer Stunde zu erreichen.
Ein wenig „Gastro-Wehmut“ bleibt bestehen
„Dass die erste Phase nicht wirtschaftlich sein wird und wir einen langen Atem brauchen, ist uns klar. Dennoch sind wir sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Die langen pandemiebedingten Schließungszeiten hätten uns mit Sicherheit das Genick gebrochen, wenn wir das Restaurant wiedereröffnet hätten“, glaubt Angela Schulze-Hamann.
So schön es ist, dass endlich wieder Leben ins Haus kommt – es fehlen ihr die Gespräche mit den Restaurantgästen, die öffentlichen Auftritte bei Kochshows und Events, für die das Landhaus bekannt war. Dennoch gewinnt sie der neuen Situation etwas Positives ab: „Wir haben bisher immer gearbeitet, wenn andere Leute frei hatten. Nun haben wir endlich mehr Zeit für uns und entdecken die wunderschöne Natur in der Umgebung wie das Tarbeker Moor und den Blunker See“, freut sich die Gastgeberin.