Kreis Segeberg. Über 1000 unbearbeitete Laborergebnisse und Mails: Infektionsschutz hat keinen Überblick über Corona-Situation.

Das aktuelle Infektionsgeschehen im Kreis Segeberg hat das Gesundheitsamt vorerst in die Knie gezwungen. Die Nachverfolgung von Corona-Kontaktpersonen ist kaum noch zu bewältigen. „Wir kommen nicht mehr hinterher. Die Situation hat sich deutlich verschärft. Wir haben mit massiven Zuwächsen sowohl bei den Infizierten als auch bei den Kontaktpersonen zu rechnen – oder haben diese schon vorliegen“, sagte Landrat Jan Peter Schröder am Montag auf einer kurzfristig anberaumten virtuellen Pressekonferenz. Die angegebene Sieben-Tages-Inzidenz (derzeit 245,3) würde das Geschehen nicht widerspiegeln. Niemand weiß in diesen Tagen, wie viele Infizierte es im Kreis tatsächlich gibt. Die Dunkelziffer dürfte erheblich sein. Was als Bericht täglich an die vom Institut für Infektionsmedizin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel betreute Landesmeldestelle übermittelt wird, ist zwar öffentlich einsehbar, aber ohne Aussagekraft. So waren es am Montagabend lediglich drei Fälle (https://www.uni-kiel.de/infmed/ifsg/data/COVID-19/bericht.pdf).

Corona: 500 bis 600 unbearbeitete Laborergebnisse

Die Realität sieht anders aus: Am Montagvormittag waren noch 500 bis 600 Rückmeldungen aus den Laboren unbearbeitet, bei denen von mindestens 80 Prozent bestätigten Infektionen ausgegangen wird. Das seien alles neue Fälle. Parallel befanden sich im Funktionspostfach des Infektionsschutzes etwa 900 E-Mails, oftmals mit Schilderung von Symptomen. „Darunter sind viele, die sich in den Diskotheken aufgehalten haben. Hinzu kommt das normale, diffus über den ganzen Kreis verteilte Infektionsgeschehen“, sagte der Landrat. Das Gesundheitsamt befinde sich oberhalb seiner Belastungsgrenze.

Obwohl das Team des Infektionsschutzes in den vergangenen Wochen auf 80 Mitarbeitende aufgestockt wurde, konnten mehrere Hundert Personen mit einem positiven PCR-Ergebnis sowie etwa 1500 Kontakte bisher nicht bearbeitet werden. Zum Ende der Woche kommt Verstärkung von der Bundeswehr. Zusätzlich zu diesen acht bis zehn Personen werden weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Reihen der Verwaltung kurzfristig in den Infektionsschutz abgeordnet.

Corona: Ausbrüche in Diskotheken haben erheblichen Anteil

Die Stadt Bad Segeberg unterstützt ebenfalls, genau wie die Deutsche Angestellten-Akademie. Aber all das reicht nicht, um das Virus einzuholen. „Wir werden uns nur noch auf das konzentrieren können, was absolut notwendig ist: den Schutz der vulnerablen Personen.“ Die Ermittlungsarbeiten in Schulen und Kitas werden erheblich eingeschränkt. An diesen Orten befänden sich nicht die besonders schutzbedürftigen Risikogruppen.

Zur Überlastung des Gesundheitsamtes haben die Omikron-Fälle in den Diskotheken im Kreis und der Umgebung wesentlich beigetragen. Schröder spricht von „rund drei Viertel“. Allein im Club „Joy“ in Henstedt-Ulzburg hatten Heiligabend und am ersten Weihnachtstag etwa 820 Personen gemeinsam gefeiert – sie alle mussten sich in Quarantäne begeben. Etwa 700 Partygäste konnten insbesondere durch das Ticketingsystem bereits ermittelt werden – aber mehr als Hundert Personen, die ihre Tickets nicht im Vorverkauf, sondern an der Abendkasse erworben haben, sind noch unbekannt. Nach Abendblatt-Informationen gibt es bereits eine dreistellige Zahl bestätigter Infektionen.

Corona: Schwere Verläufe in der Regel bei Ungeimpften

„Inzwischen gibt es auch schon infizierte Familienmitglieder der Disco-Besucher“, sagte Christian Herzmann vom Infektionsschutz. Wie es den Betroffenen geht, kann er nicht sagen. Aber viele der Personen sind junge, vollständig geimpfte oder sogar geboosterte Menschen, also keine Risikogruppen. „In der Regel haben Geimpfte leichte Verläufe. Die schweren Verläufe sehen wir vornehmlich bei den Ungeimpften. Die schweren Erkrankungen treten nach sieben bis zehn Tagen ein“, so Herzmann. Eine Auswirkung auf die Krankenhäuser in der Region sieht der Kreis bislang nicht.

Im Nachhinein wäre es vernünftiger gewesen, alle Clubs schon an Weihnachten geschlossen zu haben. „Wir haben es in Schleswig-Holstein immer geschafft, relativ gut zu liegen bei den Fallzahlen. Aber das ist natürlich ein erheblicher Einschlag gewesen, dass sich das Land für die Öffnung der Diskotheken entschieden hat. Trotz Einhaltung der Auflagen sind die Infektionen passiert. Das zeigt: 2G+ reicht offenbar bei Omikron nicht“, so Jan Peter Schröder.

Corona: Test-Infrastruktur stößt an ihre Grenzen

Zusätzlich stößt die Test-Infrastruktur im Kreis zunehmend an ihre Grenzen. Bei der Ende Dezember eingeführten „PCR-Sprechstunde“ im Zentrum von First & Safe in Henstedt-Ulzburg werden mittlerweile täglich bis zu 400 entsprechende Abstriche durchgeführt. Die Schlangen für Antigen-Schnelltests werden ebenfalls immer länger. So war die Wartezeit im Norderstedter Rathaus erheblich: Wer am Montagmittag pünktlich war, hatte trotzdem Dutzende Personen vor sich.

„Und wenn jemand positiv ist, müssen wir uns um den kümmern. Das dauert fünf bis zehn Minuten länger“, so Betreiber Christian Leder. Auch aus dem Hamburger Norden kommen mittlerweile viele Menschen. Immerhin: Leder ist in Gesprächen mit der Stadt, um sowohl die Kapazitäten in der Rathaus-Passage zu erweitern als auch eine weitere „PCR-Sprechstunde“ einzurichten.