Norderstedt . Vom Garstedter Straßengangmitglied zum erfolgreichen Sozialarbeiter: Wie Mashood Khan aus Norderstedt gegen viele Widerstände sein Leben in Griff bekam.

Ehre. Was ist das – Ehre?
Jedem auf die Schnauze hauen, der einem dumm kommt? Den krassen Gangster geben in einer Straßengang? Respekt einfordern, indem man Angst und Schrecken verbreitet? Scheiße bauen im Quadrat?

Wenn man Mashood Khan vor 15 Jahren auf seine Definition von Ehre angesprochen hätte, als er halbstark in einer Garstedter Jugendgang die Straßen in Norderstedt unsicher machte, hätte er vielleicht trotzig genickt zu diesen Fragen. „Wir wollten uns den Status holen, den wir sonst nirgendwo bekommen haben. Allen zeigen, dass wir die Straße sind“, sagt Mashood Khan heute, als 33-Jähriger.

Damals, da war viel Wut, Frustration, ein Gefühl der Demütigung und Aussichtslosigkeit. „Ich geriet auf die schiefe Bahn. Ich hatte die falschen Freunde. Oder vielmehr – ich war dieser falsche Freund für andere“, sagt Khan. Dass er heute weiß, was Ehre wirklich ist, dass Mashood Khan seinen Weg heute schnurgerade und nicht mehr schief geht, dafür brauchte es Rap-Musik, einen Schicksalsschlag und jede Menge Disziplin. So schaffte der Norderstedter, was sein Lehrer auf der Hauptschule als unmöglich bezeichnet hatte. „Er sagte: ,Mashood, du hast den Zug verpasst, aus dir wird sowieso nichts.’“

Mashood Khan wurde 1988 in der Paracelsus-Klinik in Henstedt-Ulzburg geboren. Die Eltern hatten 1987 die Flucht aus Pakistan nach Deutschland angetreten, weil sie dort wegen ihrer Religion und politischen Meinung verfolgt worden seien, wie Khan sagt.

Die Grundschulzeit in der Schule Pellwormstraße war für den kleinen Mashood schon nicht einfach. „Ich war einer von vielleicht zwei oder drei Migranten.“ Doch an der Hauptschule Falkenberg gingen die Probleme erst richtig los. Der Junge wurde verhaltensauffällig, bekam die Diagnose ADHS und das Medikament Ritalin verpasst. Mashood Khan verbrachte jetzt mehr Zeit auf der Straße mit seiner Gang als in der Schulbank. Statt Mathe und Deutsch studierte er lieber die harten Rap-Texte von Bushido. Es kam zu ersten Straftaten, die Bahn, auf der Khan lief, wurde immer schiefer. Was genau er damals alles verbrochen hat, darüber redet Khan heute nicht mehr gerne. Vielleicht ist die Scham zu groß. „Ich flog ohne Abschluss von der Hauptschule, kam ins Jugendaufbauwerk und flog auch da. Irgendwann war ich Anfang 20, und alle Maßnahmen waren gescheitert“, sagt Khan. Die Prophezeiung des Lehrers schien sich zu bewahrheiten.

Und die Eltern von Mashood Khan? Sie arbeiteten viel und hart, damit es dem Jungen einmal besser gehen würde, sagt Khan. „Und ich hatte mit meinem Lebensstil die Ehre meines Vaters in der Community verletzt. Meine Mutter weinte viel.“

Für einen Spaltbreit Licht am dunklen Horizont von Mashood Khans Zukunft sorgte schließlich die einzige Sache, mit der er sich wirklich ausführlich beschäftigt hatte – der Rap. „Es klingt pathetisch – aber der Rap hat mir mein Leben gerettet“, sagt Khan heute. Es war so um das Jahr 2010, als er begann, seine eigenen Stücke zu schreiben. „Ich konnte meine ganzen Probleme auf einem Stück Papier formulieren und sie so endlich mal loswerden“, sagt Khan. Als Rapper nannte er sich Mas.Hood und lud ein erstes Video auf YouTube hoch. Es kam gut an. „Jeder Mensch braucht Anerkennung. Mit dem Rap holte ich mir mein Hack – ich hatte Respekt, die Leute machten Selfies mit mir. Ich war endlich jemand.“

In der Musikszene bekommt Mashood Khan auch den Tipp, wie er seine gescheiterte Schulkarriere doch noch retten könnte – mit Nachsitzen in der Abendschule Vor dem Holstentor in Hamburg. „Es herrschte eine ganz andere Stimmung dort. Außerdem kam mir das Lernen am Abend entgegen“, sagt Khan. Und wie.

Noch 2010 legt er seinen Hauptschulabschluss ab. Für den Realschulabschluss im Anschluss lässt sich Mashood Khan nur bis 2013 Zeit. Schließlich steuerte er das Fachabitur an. „Mein Vater hätte es zwar lieber gesehen, wenn ich endlich einen Job gehabt hätte. Aber ich habe durchgepaukt. Ich wollte mehr.“

Vielleicht war es dieser entfesselte Wille in Mashood Khan, endlich etwas aus sich und seinem Leben zu machen, der ihn dann verkraften ließ, was im Mai 2015 geschah. Sein Vater Anwarullah Khan wurde nur wenige Hundert Meter neben der Familienwohnung in Norderstedt bei einem Verkehrsunfall getötet – im Alter von nur 47 Jahren. „Für mich brach eine Welt zusammen. Ich litt auch darunter, dass ich meinen Vater zu Lebzeiten nicht stolz machen konnte. Und ich begriff, dass das Leben von jetzt auf gleich vorbei sein – einfach so.“

Was also ist Ehre im Leben? „Ehre ist, wenn man seine Eltern glücklich macht, die alles für einen getan haben. Ehre ist, dankbar für den Lehrer zu sein, der dir was beibringen möchte. Ehre ist, höflich zu sein. Ehre ist, Respekt zu haben. Ehre ist, nicht kriminell zu sein. Sondern was aus sich zu machen“, sagt Mashood Khan.

Der Vater würde vor Stolz platzen, wenn er seinen Sohn heute sehen könnte. Wie er, der mittlerweile studierte Manager für Soziale Arbeit, sich als Anti-Aggressionstrainer und Coach um Jugendliche mit großen Problemen in den ganz harten Kiezen der Hansestadt kümmert. Wie er als Musiker und Rap-Coach durch Klassenzimmer tingelt und Kindern und Jugendlichen in Rap-Seminaren zeigt, dass es bei der rhythmischen Wortjonglage nicht immer um Kriminalität, Hass, Frauenverachtung, Machismo und BlingBling gehen muss, sondern um das, was du wirklich fühlst und denkst, ganz ohne Schimpfwörter verpackt.

Und wie er am 20. November im Spectrum-Kino in Norderstedt vor einem Publikum aus Weggefährten und Jugendlichen seinen Kurzfilm „Ehre“ präsentieren durfte, den er in dem von ihm initiierten sozialen Projekt „Young Peace“ gemeinsam mit Jugendlichen von der Straße gedreht hatte.

„Ich erreiche diese Jugendlichen, oft Migranten oder Flüchtlinge. Der Rap ist mein Türöffner. Und sie sehen – ich bin einer von ihnen. Wie ich damals, haben sie heute den falschen Ehrbegriff. Wenn sie mich fragen, was sie tun sollen, wenn sie einer auf der Straße Hurensohn nennt, antworte ich: Nimm dein Handy, rufe deine Muter an, sage ihr, dass hier einer ist, der sie als Hure bezeichnet und reiche das Telefon an den Typen weiter – er wird vor Scham im Erdboden versinken!“

Das Muster durchbrechen. Wäre das Garstedter Straßengang-Mitglied Mashood vor 15 Jahren seinem heutigen Ich begegnet – er hätte viel früher die Kurve bekommen und den Stolz in den Augen seines Vaters noch erleben können.