Norderstedt. Während der Corona-Pandemie platzen mancherorts die Campingplätze aus allen Nähten. Was dahinter stecken könnte.

Wer, sagen wir mal, vor 20 Jahren seine Ferien im Zelt auf einem Campingplatz verbrachte, und das auch noch als Deutscher in Deutschland, wurde oft mitleidig belächelt. Das galt sozusagen als Gegenteil von glamourös. Urlaub unter Spießern, Platzregeln, die Mittagsruhezeiten vorschrieben. Nirgendwo ein Palmenstrand, und nach 22 Uhr war die Schranke zu. Natürlich gab es Zeltplätze und notorische Camper. Aber die waren irgendwie „von gestern“ und eher etwas peinlich. Campingurlaub, sowas war zuletzt in Mode, als im Radio noch Rudi Schuricke die rote Sonne bei Capri im Meer versenkte. Und ein Medienthema war Camping schon mal gar nicht.

Heute laufen auf jedem TV-Sender Reality-Formate und Reportagen über Camping. Es geht wahlweise um den Alltag von Platzbetreibern, die trendigsten Wohnmobile oder das Liebesleben der Dauercamper zwischen Grill und Porta Potti. In der TV-Krimireihe „Die Toten vom Bodensee“ lebt der ehekrisengeschüttelte Kommissar Micha Oberländer quasi in seinem Camper-Van.

Bettina Tietjen quasselt über Campingplätze

NDR-Talkerin Bettina Tietjen quasselt sich mit Gästen vor ihrem privaten Wohnmobil in Serie über die Campingplätze Norddeutschlands. Und diese Plätze sind vor allem eines: voll. Camping boomte bereits vor Corona wieder, die Pandemie befeuerte diesen Trend dann extrem. Gert Petzold, Vorsitzender des Verbandes der Campingwirtschaft in Schleswig-Holstein, meldet ausgebuchte Plätze bis in die letzten Oktobertage hinein. Und für dieses Jahr ungefähr fünf Millionen Übernachtungen auf den 134 Campingplätzen, die im Verband organisiert sind.

Ob diese vielen Menschen, die sich bei ihrer Entscheidung für den Erwerb eines Reisemobils nebst Platzbuchung vermutlich vom oft propagierten, Naturnähe und grenzenlose Freiheit verheißenden Camping-Image verführen lassen, wirklich auch langfristig dabeibleiben, wenn die Pandemie mal vorbei ist?

Campingplätze platzen aus den Nähten

Mancherorts platzen die Campingplätze derart aus den Nähten, dass die Betreiber auf benachbarte Großparkplätze als Stellplatz ausweichen, berichtet Herr Petzold. Das ist natürlich ein Knaller-Urlaub: der Durchschnitts-Stückpreis aller diesjährig in Deutschland verkauften Neu-Wohnmobile liegt mittlerweile bei ca. 71.000 Euro. Für diese stolze Summe parkt man dann Wand an Wand mit den Wohndosen anderer auf einer Asphaltwüste, für die man auch noch Gebühren löhnt. Man könnte durchaus zur Erkenntnis gelangen, Naturnähe und grenzenlose Freiheit sähen anders aus. Immerhin lernt man seine Feriennachbarn von intimster Seite kennen. Dafür muss man nicht mal miteinander sprechen, man hört ja alles, was die erzählen. Wohnmobilwände sind dünn, ich weiß das, ich war jahrelang mit so einem Teil unterwegs. Man hört die Nachbarn schnarchen. Die Spülung der Bordtoilette hört man auch. Ebenfalls nicht immer geräuschfrei verläuft die Toilettenbenutzung an sich, was die Romantik einer Campingnacht empfindlich stört. Obwohl „naturnah“ in diesem Fall schon das treffende Prädikat wäre.