Norderstedt. „Wattbewerb“: Photovoltaik in der Wohnungsbranche, im Gewerbe oder auf städtischen Gebäuden soll verdoppelt werden.
Privat ist die Energiewende für André Podszus längst Alltag. Nicht nur, dass sich auf seinem Haus seit 2019 eine Photovoltaikanlage befindet und der Solarstrom tagsüber das E-Auto auftankt. Als Mitinitiator der „Aktion Bürgerenergie Norderstedt“ beraten er und Martin Oster ehrenamtlich und unverbindlich Haushalte, die Interesse an vergleichbaren zukunftsweisenden Installationen haben. Und als sie von dem bundesweiten „Wattbewerb“ hörten, dachten sie, das könne ja etwas für Norderstedt sein. Es geht um eine Herausforderung für Städte, im Sinne des Klimaschutzes die installierte Leistung von Photovoltaik zu verdoppeln. Sobald eine von 132 teilnehmenden Kommunen das geschafft hat, ist sie Siegerin.
Die Stadt hat viele ungenutzte Dachflächen mit Potenzial
„Eine schöne Sache, um das Thema in den Fokus zu rücken“, findet Podszus. Bei den Grünen stieß er auf offene Ohren, die Fraktion brachte den Vorschlag in den Stadtwerkeausschuss, der die Stadtwerke mit der – kostenlosen – Teilnahme beauftragte. Einmal monatlich muss Norderstedt einen Statusbericht senden. Momentan sieht es noch etwas mau aus, die Stadt ist auf Platz 96 mit einem „Watt Peak“ von 107 – diese Einheit gilt als Vergleichswert von Solarmodulen unterschiedlicher Hersteller, es geht um die Nennleistung der installierten Anlagen.
Längst ist der Umstieg auf erneuerbare Energien gesellschaftlicher Konsens. Der Wettbewerb soll die Bevölkerung motivieren, mitzumachen. „Norderstedt verfügt über ein erhebliches Potenzial ungenutzter Dachflächen, die wir mit moderner Photovoltaik-Technik zur Stromerzeugung nutzen möchten“, sagt Nico Schellmann, Werkleiter für Netze und Technik bei den Stadtwerken. „Außerdem wollen wir Solarthermie auf Freiflächen installieren, um den Anteil regenerativer Energie in der Fernwärmeversorgung zu steigern.“
Adlershorst erwartet mehr „Drive“ aus Berlin
Die „Aktion Bürgerenergie“ möchte ihren Teil dazu beitragen, sie kooperiert schon seit letztem Jahr mit dem städtischen Versorger. „Wir haben viel Luft nach oben“, sagt André Podzus. Er prognostiziert: „In fünf Jahren werden wir bei Dacherneuerungen ohne Photovoltaik nicht auskommen. Es müssen Regelungen getroffen werden für Wohnungseigentümer- und Mietergemeinschaften.“ Um Rat fragen ganz unterschiedliche Menschen, ob nun ältere Paare, junge Familien oder solche, die einfach in etwas Neues investieren möchten – manche wollen Energiekosten sparen, andere sind Idealisten. „Aber wir empfehlen keine Betriebe oder Marken, das ist immer hersteller- oder installateursabhängig.“
Was in jüngerer Vergangenheit allerdings zum Problem geworden ist: „Die Branche ist nicht groß genug.“ Größere Auftraggeber sind im Vorteil. Etwa die Wohnungswirtschaft – wie in Norderstedt die Adlershorst-Baugenossenschaft. Der Vorstandsvorsitzende Uwe Wirries erwartet durch eine mögliche „Ampel“-Bundesregierung erhebliche Impulse. „Wir werden einen ganz anderen Drive reinbekommen. Mit den Stadtwerken denken wir bereits darüber nach, wie wir Heizungsanlagen CO²-frei gestalten können. Wir müssen handeln. Es gibt keinen Neubau, bei dem wir nicht über Photovoltaik auf dem Dach sprechen. Und die Mieter erwarten das natürlich auch.“
Solaranlagen auf Neubauten verpflichtend
Ein wichtiger Punkt: Strom, der erzeugt wird, soll auch in dem Quartier verbraucht werden. Also der „Mieterstrom“. Aber, so Wirries, „der fällt unter das Erneuerbare-Energien-Gesetz.“ Die EEG-Umlage muss also etwa an einen Netzbetreiber gezahlt werden. „Und wir müssen sicherstellen, dass immer Strom geliefert wird.“ Da setzt die Branche auf flexiblere Gesetze und neue Speichertechnologien.
Dass Stadt und Politik in Norderstedt keinesfalls untätig sind, zeigt ein aktuelles Beispiel. Als der Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr kürzlich über ein neues Gewerbegebiet in Friedrichsgabe beriet, meldete sich Marc Muckelberg, Fraktionschef der Grünen. „Mindestens 30 Prozent der Dachflächen sind für solare Energienutzung zu verwenden“, beantragte er – und bekam breite Zustimmung. Auch in Wohngebieten seien Dachbegrünung und Photovoltaik oft schon Teil der Konzepte, so Muckelberg. „Bei der Grünen Heyde ist das bei jedem Dach vorgeschrieben, auch im Gebiet Sieben Eichen.“
Die „Ampel“ in Berlin könnte das beschleunigen – gesetzlich und mit Förderpaketen. Das am Freitag präsentierte Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP liest sich eindeutig: „Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für die Solarenergie genutzt werden. Bei gewerblichen Neubauten soll dies verpflichtend, bei privaten Neubauten soll es die Regel werden“, heißt es darin. Und: „Bürokratische Hürden werden wir abbauen und Wege eröffnen, um private Bauherren finanziell nicht zu überfordern. Wir sehen darin auch ein Konjunkturprogramm für Mittelstand und Handwerk.“
wattbewerb.de: Die Aktion Bürgerenergie (buergerenergie-norderstedt.de) sucht zur Mitarbeit Personen, die bereits eine gewisse Erfahrung mit Photovoltaik am Eigenheim haben.