Kreis Segeberg. Das Abendblatt hat sich wieder auf Spurensuche im Kreis Segeberg begeben und interessante Geschichten entdeckt.
Der Bunker macht nicht viel her. Die Neonröhre erleuchtet einen schlichten Raum, dessen ehemals weiße Wände längst deutliche Schmutzspuren aufweisen. Drei gemauerte Wände, eine Wand aus Naturstein – das ist der Kalkberg, an den sich dieser kleine Raum schmiegt. Er wurde einst von den Segeberger Nationalsozialisten gebaut, damit sich zumindest einige Bürger vor Fliegerbomben in Sicherheit hätten bringen können.
Bunker schützt Schauspieler vor Hitze
Jetzt bietet er den Darstellern der Karl-May-Spiele Schutz. Nicht vor irgendwelchen Angriffen, sondern vor der Hitze: Wenn die Sonne auf den Kalkberg scheint, kann es in der Arena am Nachmittag schon mal bis zu 50 Grad heiß werden. Das ist ohnehin kaum auszuhalten, aber wenn die Darsteller mit voller Kostümmontur ausgestattet sind, kann es ganz schnell unerträglich werden.
Der alte Bunker ist dann oft die letzte Rettung: Hier herrscht eine stets gleichbleibend kühle Temperatur. „Da können die Darsteller während der laufenden Vorstellung schnell mal durchlüften und durchatmen“, sagt Michael Stamp. Als Autor und Mediensprecher der Karl-May-Spiele kennt er diesen Schutzraum natürlich sehr gut, für die Zuschauer aber liegt er im Verborgenen: Er gehört zu den Geheimnissen jenseits der Bühne.
Im Bunker wurden in den 50er-Jahren Waffen gelagert
Der Raum hatte in der Anfangszeit der Karl-May-Spiele noch eine besondere Bedeutung. Daran erinnert sich der Segeberger Heimatforscher Hans-Werner Baurycza: „Hier wurden die Waffen der Karl-May-Spiele gelagert.“ Derartige Waffen, die natürlich nur mit Platzpatronen eingesetzt wurden, waren zu Beginn der 1950er-Jahre keine Selbstverständlichkeit. Baurycza weiß, dass damals eine Genehmigung der britischen Militärbehörden nötig war, um überhaupt welche geliefert zu bekommen – obwohl der Besatzungsstatus in Schleswig-Holstein bereits 1949 endete. Er selbst ist als kleiner Junge noch im Kalkberg-Stadion umhergestrolcht, um die Hülsen der Platzpatronen einzusammeln und bei den Verantwortlichen der Karl-May-Spiele abzuliefern.
Während der Aufführungen scheinen Cowboys, Indianer, Gangster und friedliebendes Volk von allen Seiten auf die Bühne zu kommen. Auftritte hier, Auftritte dort, vorne, hinten und oben. Damit das auch auf die Sekunde genau funktioniert, haben die Bühnenbildner schon vor vielen Jahren ein ausgeklügeltes System an Geheimgängen, versteckten Öffnungen und verdeckten Aufenthaltsräumen konzipiert und gebaut.
Geheimes Tunnelsystem hinter der Kalkberg-Bühne
Wenn zum Beispiel Old Shatterhand oberhalb der Bühne verschwindet und wenig später unten wieder auftaucht, dann ist er in der Zwischenzeit einen langen, schwach beleuchteten Gang hinter den Kulissen entlanggelaufen. Während dieser Zeit ist er zwar vom Bühneninformationssystem abgekoppelt, trotzdem erscheint er in genau der richtigen Sekunde wieder auf der Bühne. Wie kann das angehen?
Michael Stamp schmunzelt und zeigt auf eine Lampe, die so unspektakulär aussieht wie eine profane Kellerleuchte. Das ist sie vermutlich auch, aber sie hat eine besondere Funktion: Wenn der jeweilige Darsteller auf die Bühne muss, beginnt sie zu blinken. Das ist das Zeichen, das vom Regieturm hinter den Zuschauertribünen kommt. Dort wird das Geschehen auf der Bühne ganz genau beobachtet, und wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, fängt die Lampe per Knopfdruck an, Signale zu geben – der Schauspieler stürmt ohne Stichwort auf die Bühne und kann in das Geschehen eingreifen. Keine Sekunde zu früh, keine Sekunde zu spät. Simple Technik, enorme Wirkung.
Stinktier schläft hinter der Bühne
Einige Meter weiter steht an einer Biegung des Geheimganges eine Tonne, schräg darüber hängt ein Schild mit einer schon verblassenden Aufschrift: „Bitte nicht stören, schlafendes Stinktier.“ Das stammt noch von der letzten Inszenierung aus dem Jahre 2019. „Unter Geiern“ wurde damals gespielt, und das Stinktier gehörte zu den tierischen Stars. Weil es zu den nachtaktiven Tieren gehört, verschlummerte es die Vorstellung in dieser Tonne. Vor seinem Auftritt wurde es von einer für die Tiere zuständigen Bühnenassistentin gegriffen und dem Schauspieler vor dem Auftritt in den Arm gedrückt.
Nach dem Auftritt zurück in die Tonne und weiterschlafen – so lief es von Juni bis September. „Wir haben das Schild angebracht, damit niemand versehentlich eine Cola-Dose oder etwas anderes in die Tonne wirft und das Tier erschreckt“, sagt Michael Stamp. Das Stinktier hat die Karl-May-Saison gut überstanden, zumal die Tonne natürlich nur ein kurzfristiger Aufenthaltsort war. Nach den Vorstellungen kam es zurück in sein eigentliches, wesentlich gemütlicheres und artgerechteres Quartier.
Verantwortliche wollen sich nicht auf die Technik verlassen
Besucher der Karl-May-Spiele haben genau vor Augen, wo Winnetou und Old Shatterhand mit ihren Pferden verschwinden, wenn sie von der Bühne reiten: Durch eine Felsspalte im Hintergrund, die sich wie von Zauberhand im richtigen Moment öffnet und gleich danach wieder schließt. Was ist das Geheimnis?
Keine Zauberhand, sondern die Hände eines Bühnenmitarbeiters, der das Bühnengeschehen durch einen Sehschlitz in der künstlich künstlichen Felswand verfolgt und den Felsspalt exakt so öffnet, dass Pferd und Reiter hindurch können. Das erfordert eine gewisse Routine und viel Fingerspitzengefühl, aber die Karl-May-Produzenten wollen sich in dieser Hinsicht nicht auf die Technik verlassen. Michael Stamp erklärt es: „Natürlich könnte man das Öffnen und Schließen vom Regieturm aus steuern, aber wenn der Strom mal ausfallen sollte, prallen die Pferde gegen die Wand.“
Der sonst an dieser Stelle oft bevölkerte Bühnenhinterraum, muss in diesem Moment geräumt sein, damit die Zuschauer keinen Schauspieler mit einer Bockwurst in der Hand sehen, der möglicherweise auf der Bühne kurz vorher unter Qualen von den Gangstern gepiesackt wurde. Denn hinter dem Felsenvorhang geht es direkt zur Kantine.
Ein Gabelstapler-Motor treibt die Kalkberg-Lok an
Jahraus, jahrein steht die Karl-May-Lokomotive einsam rechts oberhalb der Freilichtbühne. Oft, aber nicht immer, wird sie während der Aufführungen spektakulär in Szene gesetzt. Dann rattert sie unter Volldampf über die Gleise, macht sich mit heiserem Pfeifen bemerkbar und explodiert, wenn es ins jeweilige Stück passt.
Das Geheimnis dahinter: Die 2007 vom damaligen Bühnenbauer Ulrich Schröder konzipierte Lokomotive wurde aus Aluminium gebaut und ist vermutlich leichter als die Schienen, auf denen sie steht. Der Dampf wird mit der Nebelmaschine hergestellt, die Geräusche kommen elektronisch aus dem Regieturm. Die Lok selbst bewegt sich geräuschlos und wird mit einem Gabelstapler-Motor angetrieben, damit sie die wenigen Meter auf den Gleisen zurücklegen kann. Im Führerhaus sitzt dann meistens Edelkomparse Christoph Bobe, der seit 1985 zum Stammpersonal der Karl-May-Spiele gehört und schon in die verschiedensten kleinen Rollen geschlüpft ist. Damals war er 15 Jahre alt. Bühnenbauer Schröder ist 2010 verstorben.
Hinter die Kulissen der Karl-May-Spiele blicken
Es gibt also viele kleine und große Geheimnisse hinter den Kulissen der Karl-May-Spiele. Manche, aber nicht alle, werden bei den Führungen hinter die Kulissen gezeigt. Bis zum 16. Oktober gibt es noch die Möglichkeit, einen Blick auf die Hinterbühne zu werfen und sich dabei erklären zu lassen, wie die Karl-May-Spiele funktionieren. Die Tickets können über die Internetseite der Spiele (www.karl-may-spiele.de) erworben werden.
Das Kalkberg-Theater liegt mitten in Bad Segeberg am Kalkbergplatz. Die Teilnahme an Führungen ist kostenpflichtig, es gibt aber die Möglichkeit, einen Blick von oben auf die Hinterbühne zu werfen. Von der Aussichtsplattform des Kalkbergs haben jederzeit Besucher:innen einen guten und kostenlosen Einblick.