Bad Segeberg. Eine Ausstellung in der Synagoge der Kreisstadt führt von den Anfängen im Jahr 1739 bis heute. Die Details.

Seit 1739 leben Juden in Segeberg (Bad darf sich die Kommune erst seit 1924 nennen). Ende des 18. Jahrhunderts richtete die kleine jüdische Gemeinde einen Betsaal in einem Haus an der Lübecker Straße 2 ein. 1842 konnte dort die erste Synagoge Segebergs eingeweiht werden. Es entwickelte sich ein eigenständiges jüdisches Leben in der Stadt, ein jüdisches Leben, das durch viele jüdische Geschäfte in der christlichen Mehrheitsgesellschaft präsent war.

Axel Winkler sprach auch mit Shoa-Überlebenden

Bis die braunen Machthaber auch Bad Segeberg übernahmen und alles daran setzten, die kleine Kurstadt „judenfrei“ zu machen. Erst 2002 begann sich mit Gründung der neuen Liberalen Jüdischen Gemeinde wieder jüdisches Leben in Bad Segeberg zu etablieren. Mit viel Erfolg, aber auch mit erneuten Anfeindungen von Rechts.

Die jüdische Familie Siegfried, Anna, Selly, Julius, Paula, Auguste Baruch.
Die jüdische Familie Siegfried, Anna, Selly, Julius, Paula, Auguste Baruch. © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Die ganze jüdische Geschichte blättert jetzt die Ausstellung „Jüdisches Leben einst und heute in Bad Segeberg“ in der Synagoge Mishkan Ha’Zafon, der Synagoge des Nordens, am Jean Labowsky Weg, Ecke Kurhausstraße auf. Sie wird am Sonntag, 19. September, 15 Uhr, eröffnet. Der Segeberg-Experte Axel Winkler hat die Geschichte der jüdischen Gemeinde, der Wirtschaft, der Synagoge bis zu den wichtigen jüdischen Familien in jahrelanger Arbeit erforscht, hat Fotografien und Dokumente gesammelt, konnte mit Schoa-Überlebenden in Israel, Großbritannien und den USA und mit ihren Kindern und Enkeln sprechen.

Herausgekommen ist eine Ausstellung, die detailreich den Werdegang der vom NS-Regime ausgelöschten ersten jüdischen Gemeinde erzählt und auch einen guten Einblick in die heutige Gemeinde gibt, die nächstes Jahr ihr 20-jähriges Bestehen feiern kann. Die Ausstellung mit mehr als 30 Text- und Foto-Tafeln ist auch ein Beitrag zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.

Ausstellung im Jüdischen Gemeindezentrum

Sie erstreckt sich über die unteren Räume des Jüdischen Gemeindezentrums und ist leseintensiv. Im vorderen Bereich zeigen die Foto-Text-Tafeln die Jüdische Gemeinde Segeberg vor dem Holocaust. Im Mittelgang wird das Leben Jean Labowskys thematisiert. Die britische Militärregierung setzte den Schoa-Überlebenden als ersten Stadtdirektor Segebergs nach der Befreiung Deutschlands vom NS-Terror ein.

Im ehemaligen Kindergarten erzählt die Ausstellung das neue jüdische Leben, beginnend mit dem Ausbau der alten Lohmühle, die die Liberale Jüdische Gemeinde für einen symbolischen Wert von einer D-Mark von der Stadt erhielt und mit viel Eigenleistung und noch mehr Spenden zur heutigen Synagoge ausbaute und einrichtete.

Im ersten Stock liegt der Betsaal, in dem Frauen und Männer nach liberal-jüdischer Position nicht getrennt voneinander beten, sondern gemeinsam. Gegenüber ist eine Bibliothek eingerichtet. Die Küche im Erdgeschoss ist koscher und in einen roten für fleischliche und einen blauen für milchige Speisen unterteilt. Im Untergeschoss konnte sogar eine Mikwe, das rituale Tauchbad, eingerichtet werden. Es ist die einzige funktionsfähige Mikwe in Schleswig-Holstein.

Juden und Nichtjuden sollen zueinander finden

Auch dem Künstler Ervin Bossanyi widmet sich die Ausstellung.
Auch dem Künstler Ervin Bossanyi widmet sich die Ausstellung. © Archiv Axel Winkler | Archiv Axel Winkler

„Mit dieser Ausstellung wollen wir das heutige und gestrige jüdische Leben in Bad Segeberg transparent machen“, sagt Torben Miehle, Sprecher der Jüdischen Gemeinde, der Axel Winkler bei der Gestaltung der Ausstellung unterstützt hat. „Ich möchte, dass auch die Jüdische Gemeinde vor dem Holocaust wahrgenommen wird, dass die Segeberger erkennen, was hier an jüdischem Leben vorhanden war, und was tatsächlich geschehen ist“, sagt Axel Winkler. Er hofft, dass durch seine Wissensvermittlung über die Vergangenheit jüdischen Lebens in der Kreis- und Kurstadt Juden und Nichtjuden mit anderen Umgangsformen wieder zueinander finden.

Winkler ordnete die Foto-Text-Tafeln zu Themenbereichen wie jüdische Familien, darunter die Familien Baruch, Levy, Levin und Löwenstein. Weitere Tafeln widmen sich der Kunst und Kultur bis 1939 und Persönlichkeiten wie dem Rabbiner Joseph Carlebach, der jüdischen Frauenrechtlerin Sidonie Werner, die das Kinderheim an der Bismarckallee gründete, und dem jüdischen Künstler Ervin Bossanyi, der unter anderem die „Gänseliesel“ und Reliefs an der Meierei in Bad Segeberg arbeitete.

Neue Holocaust-Mahnmal wird im November eingeweiht

Die heutige Gemeinde präsentiert sich in einer Fotoauswahl von der Grundsteinlegung über den ersten Gottesdienst in der neuen Synagoge bis zu Purim-, Sukkot- und Chanukka-Feiern.

Axel Winkler zeigt in seinen Texten auch Versäumnisse der Stadt bei der Aufarbeitung ihrer jüdischen Vergangenheit auf. Jahrelang vernachlässigte die Stadt die Gedenkstätte der ehemaligen, in der Reichs-Pogromnacht geschändeten Synagoge an der Lübecker Straße gegenüber dem Rathaus.

Erst als die ersten Stolpersteine verlegt wurden, für die Axel Winkler und Heino Ullrich, Vorsitzender des Fördervereins der Jüdischen Gemeinde, die Daten und Fakten recherchierten, fand ein Umdenken statt. Am 9. November, dem 83. Jahrestag der Reichs-Pogromnacht, wird am Ort der alten Synagoge an der Lübecker Straße 2 mit einem Stahl-Nachbau der ehemaligen Fassade ein neues Holocaust-Mahnmal eingeweiht.