Kaltenkirchen. Im neuen Lehrgang für Multiplikatoren sind in Kaltenkirchen noch Plätze frei. Die Teilnahme ist kostenlos.
Warum tut ein junger Mensch sich das an? Warum beschäftigt sich eine 21-Jährige mit Vernichtungskrieg und Völkermord, Diktatur und Terror? Lena Lindemann aus Bad Segeberg studiert im dritten Semester Geschichte, hat sich schon als Jugendliche auf Reisen mit dem Gedenken an die Millionen Opfer des Nationalsozialismus beschäftigt und in diesem Sommer in der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen eine Ausbildung als Multiplikatorin absolviert. Damit darf die Studentin Führungen auf dem Gelände übernehmen und pädagogische Angebote, zum Beispiel für Schulklassen, anbieten.
Lena Lindemann könnte neben dem Studium auch in einer Kneipe arbeiten oder im Supermarkt an der Kasse sitzen, doch sie möchte „Guide“ in der Gedenkstätte werden, in der aus historischen Gründen niemand „Führer“ sagt.
Die Antwort auf die Frage nach dem Warum kommt umgehend: weil immer noch Menschen diskriminiert werden, weil immer noch Antisemitismus ein gesellschaftliches Phänomen ist. „Und weil die Gesellschaft sich verändern muss“, sagt die 21-Jährige.
Lena Lindemann gehört zu den vielen Teilnehmern des Projekts „Erinnerung ins Land tragen!“ der KZ-Gedenkstätte. Das Projekt ist eines von 32 bundesweit, die seit September 2020 vom Bund mit Mitteln aus dem Förderprogramm „Jugend erinnert“ finanziert werden. Mitarbeiter von Gedenkstätten und Lehrer, Studenten und Sozialpädagogen – sie alle kommen als Multiplikatoren infrage und können damit in Gedenkstätten pädagogisch arbeiten.
„Es geht um die Vermittlung einer Haltung und von Verantwortlichkeiten.“
Für die nächsten Veranstaltungen sind noch Plätze frei. „Gedenkstättenpädagogik und Antisemitismus“ lautet das Thema der Wochenendworkshops am 11. und 12., 25. und 26. September sowie am 9. und 10. Oktober.
„Es ist wichtig, Methoden zu erlernen, um Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verknüpfen“, sagt Marc Czichy, Leiter der Gedenkstätte in Kaltenkirchen. Bei der Ausbildung gehe es beispielsweise darum zu erlernen, wie ein Guide eine Gruppe Erwachsener anspricht oder wie sie die Inhalte einer zehnten Klasse nahebringt. Dabei gehe es nicht nur um das Unterrichten von historischem Wissen. „Über allem stehen die Menschenrechte“, so der Historiker. „Es geht um die Vermittlung einer Haltung und von Verantwortlichkeiten.“
Mit der Ausbildung der Multiplikatoren wollen die Gedenkstätte in Kaltenkirchen und auch die anderen Einrichtungen in Schleswig-Holstein ein immer drängenderes Problem lösen. „Es fehlt den Gedenkstätten an gut ausgebildeten Guides“, sagt Czichy. Wo vor Jahren noch die Ehrenamtler über das Gelände geführt haben, die die Gedenkstätten gegründet haben, ist jetzt der Einsatz von ausgebildetem Nachwuchs notwendig.
„Die Ausbildung erfolgt nach wissenschaftlichen Standards“, sagt Czichy. Federführend in Kaltenkirchen arbeitet daran die Politikwissenschaftlerin Freya Kurek, die das Konzept für die Multiplikatorenarbeit entwickelt hat. „Wir haben hier Standards entwickelt, für die es keine Vorlage gab“, sagte sie, als sie im vergangenen Jahr das Projekt übernommen hat.
Was langfristig aus dem Projekt wird, ist unklar
Zur Professionalisierung der Gedenkstättenarbeit gehört für Czichy auch, dass die Arbeit von Guides wie Lena Lindemann bezahlt wird. Aus dem Projekt „Erinnerung ins Land tragen“, hat die Gedenkstätte dafür Geld abgezweigt, aus dem auch Fahrtkosten übernommen werden.
Czichy bezeichnet das Ausbildungsprojekt als riesige Chance für die Gedenkstätten und hofft auf einen Pool von Guides, die sich engagieren. Doch eine Frage ist ungeklärt: Was wird aus dem Projekt, wenn es nach zweijähriger Förderung durch den Bund ausläuft? „Für dieses und das kommende Jahr stehen noch Mittel bereit“, sagt der Gedenkstättenleiter, der weiß, dass die Ausbildung kaum Sinn macht, wenn die Guides danach nicht arbeiten können. Czichy hofft, dass das Land künftig Kosten übernimmt. Wichtige Fürsprecher hat er auf seiner Seite, darunter den Landesbeauftragten für politische Bildung, die Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten und die Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten.
Auch Lena Lindemann hofft, dass sich ihre Arbeit langfristig lohnen wird. „Hier in der Gedenkstätte sind die Themen greifbar und zum Anfassen“, sagt sie.