Borstel. Fachkrankenhaus soll Ende des Jahres schließen – weil es unrentabel ist. Was die Patienten an der Klinik schätzen.
Mit Schwung nimmt Monika Pingel (79) auf dem Behandlungsstuhl im Obergeschoss der Medizinischen Klinik des Forschungszentrums Borstel Platz. Alle sechs Wochen fährt sie mit ihrem Mann Arthur (79) in die Lungenfachklinik zur Immuntherapie. Heute bekommt sie ihre Infusion.
Die Stimmung ist gedrückt, manche haben gekündigt
Monika Pingel hat Lungenkrebs. Das haben Ärzte der Fachklinik im Jahr 2018 festgestellt. Seitdem wird sie in Borstel sehr erfolgreich mit einer Immuntherapie medizinisch versorgt. Zunächst fuhr sie von ihrem Wohnort Hüttblek aus alle drei Wochen in die Klinik – jetzt muss sie ,,nur“ noch alle sechs Wochen hin. ,,Ich fühle mich heute gesund“, sagt Monika Pingel. ,,Bis auf meinen kleinen ,Pumuckl‘“, wie sie ihre Erkrankung nennt.
Doch zum Jahresende wird die Medizinische Klinik des Forschungszentrums Borstel geschlossen. Weil sie nicht rentabel arbeitet. Das bedeutet: 81 Betten für die hoch spezialisierte Behandlung von Lungenkrankheiten fallen weg. Von den 2700 Patienten, die dort jährlich stationär behandelt werden, haben 170 Tuberkulose. 4500 Menschen werden ambulant versorgt. 220 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Klinik sind betroffen. Die ersten haben schon gekündigt, die Stimmung im Hause ist gedrückt.
Patienten schätzen das freundliche Personal
Monika Pingel und ihr Mann können es nicht verstehen, dass man eine in Norddeutschland einmalige Einrichtung wie die Klinik des Leibniz Lungenzentrums nach 70 Jahren schließt. Noch dazu mitten in der Corona-Pandemie. Sie fühlen sich in der kleinen Klinik bestens aufgehoben – schätzen das freundliche Personal, die persönliche Ansprache und die kurzen Wege etwa zur Lungenfunktionsprüfung oder zum Röntgen. Wo sie hingehen sollen, wenn es das Haus nicht mehr gibt, wissen sie noch nicht.
,,Wir kämpfen für diese Klinik. Es ist uns ein Anliegen, dass sie erhalten wird“, sagt Arthur Pingel. Die persönliche Atmosphäre, das enge Vertrauensverhältnis zu ihren Ärzten, die fachliche Expertise – das alles zusammen trage zum Heilungserfolg seiner Frau bei.
Klinik in Borstel wird Ende des Jahres schließen
Mit Briefen an den Petitionsausschuss und an den Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein haben sich die Pingels schon frühzeitig für den Erhalt ,,ihrer“ Klinik eingesetzt. Die Antworten machten zunächst Hoffnung: ,,Der Petitionsausschuss unterstützt das Engagement des Wissenschaftsministeriums für den Erhalt der Klinik“, heißt es in einem Brief vom Februar an das Ehepaar.
,,Die gegenwärtige Pandemie verdeutlicht in der Tat die Notwendigkeit einer leistungsfähigen Gesundheitsversorgung und tragfähiger Klinik-Kapazitäten“, heißt es in einem Schreiben vom April an die Pingels. Aber inzwischen steht längst fest, dass die Klinik Ende des Jahres schließen wird. Doch die Pingels wollen nicht aufgeben: In dieser Woche wandten sie sich erneut an Gesundheitsminister Heiner Garg, sich für die Klinik im Kreis Segeberg einzusetzen.
Personal verlässt Borsteler Klinik bereits
,,Was sollen wir denn tun? Wo sollen wir hin, wenn diese Klinik kaputt gemacht wird?“, fragt Arthur Pingel. Unterdessen sind bereits die ersten Ärztinnen und Ärzte der Borsteler Lungenklinik gegangen – einer ins Gesundheitsamt, zwei in umliegende Krankenhäuser, zwei Kolleginnen werden in Praxen wechseln. Nur ein Kollege wird nach Kiel an das UKSH in die Pneumologie gehen. Gut möglich, dass das Haus damit sogar früher schließen muss als Ende des Jahres.
,,Wir fahren auf Sicht. Wir fühlen uns einerseits verpflichtet, den Betrieb für unsere Patienten solange wie möglich aufrecht zu erhalten, aber wir wollen dabei auch die gute Medizin fortführen und unserer Verantwortung unseren Patientinnen und Patienten gegenüber gerecht bleiben“, sagt Barbara Kalsdorf, Oberärztin und stellvertretende medizinische Direktorin der pneumologischen Praxis in Borstel.
Sie kann es immer noch nicht fassen, dass man die Klinik dicht macht. ,,Die Exzellenz, die persönliche Medizin und die Warmherzigkeit, die wir hier haben, findet man in den großen Kliniken nur schwerlich. Das Team wird gesprengt, Pflegekräfte und Ärzte verteilen sich in alle Himmelsrichtungen“, sagt die Oberärztin, die seit mehr als 20 Jahren in Borstel tätig ist.
Jährliches Defizit von einer Million Euro
Kleine Krankenhäuser seien politisch nicht mehr erwünscht. So müssen kleine Kreiskrankenhäuser oder eben auch eine Spezialklinik wie Borstel Abgaben für die Notfallpauschale in den Gesundheitsfond leisten, weil sie nicht die gesamte Medizin wie zum Beispiel die Neurologie in ihrer Notfallaufnahme abdecken können. ,,Präzisionsmedizin, wie sie bei uns in Borstel angewendet wird, hat ihren Preis. Eine Infusion, wie sie in der onkologischen Immuntherapie angewendet wird, kostet so viel wie das Monatsgehalt einer Krankenschwester. Die onkologischen Patienten profitieren von dieser Therapie und gewinnen viel Lebenszeit und Lebensqualität. Als Gesellschaft sollte es uns das wert sein.“
Um das jährliche Defizit der Klinik von zuletzt einer Million Euro abzufangen, habe es Ideen gegeben. ,,Bei einem Etat von 1,6 Milliarden Euro für das UKSH hätten wir am Standort in Borstel für das UKSH Kiel die Entwöhnung von der Langzeitbeatmung, die Rehabilitation für Long-Covid 19 oder auch die Therapie bei multiresistenter Tuberkulose sehr gut übernehmen können. Es war eine politische Entscheidung. Sie tut weh. Unseren Mitarbeitern und den Patienten. Die Gesundheitspolitik lässt die Patienten im Stich.“
Gebrechliche Patienten müssen weite Wege fahren
70 Prozent der Patienten in Borstel kommen aus der Umgebung, also Kreis Segeberg, Storman und Hamburg. Diese Patienten werden in Zukunft längere Fahrtwege in Kauf nehmen. ,,Viele Patienten sind gebrechlich. Mit dem Taxi an das UKSH nach Kiel zu fahren, das zahlt ihnen keine Krankenkasse. Es ist absurd“, sagt die Ärztin. Ihren Patienten sagt sie, dass sie sich nach ihrem jeweiligen Krankheitsbild gegebenenfalls in einem universitären Krankenhaus oder Großhansdorf vorstellen sollen. ,,Für die kontinuierliche Versorgung wie etwa für Frau Pingel bedeutet das jedoch, dass sie und ihr Mann 40 bis 50 Kilometer Fahrt in Kauf nehmen müssen.“
Wenn Borstel wegfällt, gibt es weder im Kreis Segeberg noch in Stormarn eine pneumologische Versorgung. ,,Die Segeberger Kliniken wollen jetzt eine Pneumologie aufbauen, das ist die beste Anlaufstelle, um zukünftig hier ansässige Patienten mit Lungenkrankheiten stationär zu behandeln“, sagt die Ärztin.
Monika Pingel hat ihre anderthalbstündige Infusion erhalten. Sie fühlt sich gut. ,,Sie und ihre Mitarbeiter sind mir richtig ans Herz gewachsen. Für mich sind sie wie meine eigene Familie“, sagt sie zu der Oberärztin. Barbara Kalsdorf schließt Monika Pingel zum Abschied für einen Augenblick in ihre Arme.