Norderstedt. Abschiedsfeier: Karin Puhlmann hat als Kinderdorfmutter in mehr als 20 Jahren 25 Kinder betreut – jetzt geht sie in Rente.
Karin Puhlmann hat 25 Kinder und elf Enkelkinder. Und fast alle kamen, um mit ihrer Mutter und Großmutter Abschied von ihrem Zuhause im SOS-Kinderdorf Harksheide zu feiern. Die Kinderdorfmutter ist 61 Jahre alt und geht fünf Jahre vor ihrer Rente in die sogenannte Entpflichtung von ihrer Aufgabe als Kinderdorfmutter.
Bei ihrer Abschiedsfeier setzte das große Erinnern an eine gemeinsame Zeit ein, die für alle – für die Kinder und die Kinderdorfmutter – eine gemeinsame Lebenszeit war. „Alle meine Kinder sind etwas geworden“, freut sich Karin Puhlmann und blickt zufrieden in die große Abschiedsrunde mit „ihren“ jungen Erwachsenen.
Klare Grenzen setzen, trotzdem Freiheiten lassen
„Sie war eine gute Mutter für mich“, sagt Susanne Wölkchen. Die 28-Jährige kam mit fünf Jahren ins SOS Kinderdorf und verließ das Zuhause bei Karin Puhlmann als 16-Jährige. Sie hat mittlerweile eine fünfjährige Tochter und macht gerade eine Umschulung zur Gesundheits- und Pflegedienst-Assistentin.
„Sie war manchmal streng, vor allem, wenn man nicht das machte, was sie wollte, denn sie hatte klare Regeln. Beispielsweise sollten wir immer pünktlich und ordentlich sein. Sie setzte uns Grenzen, aber ließ uns auch die Freiheit, damit wir uns entfalten konnten“, erinnert sich Jacqueline Springer. Die 24-Jährige absolviert zurzeit eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten.
„Sie hat viele Ausflüge mit uns gemacht, beispielsweise auf einen Ponyhof an der Ostsee, in den Wildpark Schwarze Berge, an die Nordsee, zu ihren Eltern nach Berlin, nach Helgoland und Amrum“, sagt die 28-jährige Tatjana Steffens, die sich zur Pflegefachfrau ausbilden lässt.
Puhlmann war die Dienstälteste Kinderdorfmutter
Im Jahr 1998 begann Karin Puhlmann als Kinderdorfmutter im SOS-Kinderdorf, nachdem sie vorher ein Praktikum als Familienhelferin absolviert hatte und eine Kinderdorfmutter unterstützte. Ihre ersten Kinder waren Miguel und Nathalie, die allerdings früh wieder zu ihren Eltern zurückgingen: „Ich habe aber immer Kontakt zu ihnen gehalten, denn ich wollte der Leuchtturm der Kinder sein, und sie sollten bei Problemen immer zu mir kommen können“, sagt Karin Puhlmann.
Viele Eltern seien nicht in der Lage, ihre Kinder zu betreuen und zu erziehen. Das Kindeswohl sei oft durch Gewalt, Alkohol- und Drogenkonsum gefährdet gewesen. Einige Kinder seien auch nur kurz bei ihr im Kinderhaus gewesen. Zurzeit gebe es im SOS-Kinderdorf Harksheide sieben Kinderdorf-Familien, sie sei die dienstälteste Mutter gewesen.
Dabei hat Karin Puhlmann, die aus Brandenburg kommt, einen ganz anderen Beruf studiert – Pflanzenzüchtung. Doch nach der Wende wurde die Pflanzenzucht-Station geschlossen, und sie musste sich neu orientieren. „Ich sollte in die Verwaltung nach Frankfurt/Oder gehen, doch Verwaltung war nicht mein Ding“, sagt Karin Puhlmann.
Schöne Erinnerungen an die Ausflüge mit den Kindern
Als sie eine Personalwerbung der SOS-Kinderdörfer las, bewarb sie sich. Prompt kam das Angebot, Kinderdorfmutter in Lütjenburg, Worpswede oder Norderstedt-Harksheide zu werden. Ihre Wahl fiel auf Harksheide, und so begann sie im März 1995 ihr Praktikum. Sie war für die Wäsche zuständig, kochte und half den Kindern bei den Hausaufgaben. Zudem lernte sie Erzieherin als berufsbegleitende Maßnahme, die Finanzierung übernahm das SOS-Kinderdorf.
Ihre schönsten Erlebnisse als Kinderdorfmutter waren die Ausflüge mit ihren Kindern, wenn ihre Schützlinge Erfolg in der Schule hatten und sie durch wieder Freude am Leben gewannen. Beispielsweise Susanne, die Weihnachten immer doof fand, und das Fest erst durch sie kennenlernte. „Jedes Kind hatte immer seine Sofaecke, und dort lagen zu Weihnachten die Geschenke. Als Susanne das entdeckte, hat sie vor Freude geweint“, erinnert sich ihre Kinderdorfmutter.
Stress gab es während der Pubertät der Kinder, dann konnte es schon mal laut werden im Kinderdorfhaus. „Die Kinder bekamen immer ihre Grenzen gesetzt, denn sie probierten ja auch aus, wie weit sie gehen konnten“, sagt Karin Puhlmann.
Bis zu acht Kinder leben in einer Kinderdorffamilie
Traurig war für sie, wenn Kinder ihre SOS-Kinderdorffamilie verließen und sie ahnte, dass sie bei den Eltern keine Stabilität haben würden. Oft aber besuchen Eltern auch ihre Kinder im Kinderdorf, damit diese wissen, woher sie kommen und den Kontakt zu ihren Familien nicht ganz verlieren.
Bis zu acht Kinder leben in einer Kinderdorffamilie. Unterstützt werden die Kinderdorfmütter von Praktikanten, Erziehern und weiteren Mitarbeitern im Dorf. „Wenn neue Kinder in die Gruppe kommen, muss sich immer wieder alles zurechtruckeln, das kann schon mal stressig werden“, weiß Karin Puhlmann. Das SOS-Kinderdorf besteht insgesamt aus sieben Familien, drei Kinderwohngruppen und einer Jugendwohngruppe.
Die 61-Jährige ist nicht die einzige, die das SOS-Kinderdorf verlässt. Ende August geht Diplom-Sozialpädagoge Manfred Thurau, der auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, ebenfalls in Rente. Eine Nachfolgerin hat er bereits gefunden. „Ich werde aber weiterhin die Fußballmannschaft im Dorf trainieren und betreuen“, sagt Thurau.
Und Karin Puhlmann? „Ich ziehe um nach Stenderup an der Ostsee auf einen Ponyhof, den ich mit meinen Kindern immer besucht habe. Ich will dort ehrenamtlich arbeiten.“