Kreis Segeberg. Testphase des Erwachsenen-Sozialdienst erfolgreich. Doch Politiker vertagen Entscheidung über dauerhaftes Angebot.

Das Restaurant ist wegen Corona geschlossen, der Minijob ist weg, die Wohnung bald auch, das Geld reicht nicht. Was nun? Eine Frage, die sich auch die Witwe stellt, deren Mann nach 40 Jahren Ehe plötzlich gestorben ist. Sie fühlt sich allein, die Trauer raubt ihr die Kraft, um die Formalitäten zu erledigen. Oder der gehbehinderte Senior, der Krücken, Rollator oder gar einen Rollstuhl braucht, aber nicht weiß, wie und wo er die Hilfsmittel bekommen kann.

In solchen Fällen hilft der Erwachsenen-Sozialdienst (ESD) des Kreises Segeberg. Seit 2019 berät das Team Menschen in Not – kostenlos und unabhängig, denn der Sozialdienst ist bei der Kreisverwaltung angedockt.

Testlauf erfolgreich, Projekt soll fortgeführt werden

Noch handelt es sich um einen Testlauf, der Ende des Jahres endet, aber so erfolgreich war, dass das Projekt fortgeführt und auf das gesamte Kreisgebiet ausgedehnt werden soll. Bisher profitieren nur die Bürger im Nordosten des Kreises von der professionellen Unterstützung, rund 92.000 Menschen, die in Bad Segeberg Wahlstedt oder in den Amtsbereichen Trave-Land, Leezen, Itzstedt, Boostedt-Rickling und Bornhöved leben. Das entspricht in etwa einem Drittel der Kreisbevölkerung.

„Wir haben mehr als 500 Menschen beraten und damit mehr als gedacht. Und das zeigt: Der Bedarf ist da“, sagt Katja Lohmeier, zuständige Fachdienstleiterin in der Kreisverwaltung. Zum ESD-Team gehören Kerstin Schwarzloh, Annina Budnick und Dörte Meyer, alle auf Teilzeitbasis mit insgesamt 2,3 Stellen und sozialpädagogisch ausgebildet. „Eine hohe Fachlichkeit ist schon nötig, um die richtige Hilfestellung geben zu können und zu wissen, wer beim jeweiligen Problem weiterhelfen kann“, sagt Lohmeier. Der Sozialdienst ist erste Anlaufstelle, kann selbst helfen oder verweist an spezialisierte Beratungsstellen.

Auch umgekehrt funktioniert der Weg. Die Auswertung der „xit GmbH forschen. planen. beraten“ aus Nürnberg nach einem Jahr hat ergeben, dass sich von den 252 Hilfesuchenden ein Viertel aus eigenem Antrieb gemeldet hat. 50 Klienten wurden über einen anderen Fachdienst des Kreises vermittelt, 37 vom Jobcenter, 25 von den Ordnungs- und Sozialämtern des Kreises. 2020 hat das Team 162 neue und 70 alte Fälle bearbeitet.

Ein großes Thema ist der Umgang mit Ämtern

Die Altersspanne ist genau so breit wie die Themenpalette. 18-Jährige suchten Rat, aber auch 90-Jährige. Die meisten Anfragen kamen und kommen, weil es Probleme im Umgang mit Ämtern und Behörden gibt. So hilft das Team beim Ausfüllen von Anträgen auf Arbeitslosengeld II, Grundsicherung oder Wohngeld. Doch zu den Klienten zählen nicht nur Menschen mit schmalem Budget, rund die Hälfte lebt in gesicherten Verhältnissen, hat einen Job, ist durch eine Ausnahmesituation aus der Balance geraten.

Die Pandemie hat zu einem Rückgang der Anfragen geführt und die Ursachen verschoben. Rangierten 2019 noch Wohnungsangelegenheiten auf Platz zwei der Beratungsskala, waren es im Vorjahr psychische Probleme wie Einsamkeit. Doch auch da konnte der Sozialdienst helfen und hat den Betroffenen Kontakte zur örtlichen Kirchengemeinde vermittelt. Auch körperliche Erkrankungen und finanzielle Schwierigkeiten tauchen im Hilfsprofil auf, Sucht hingegen spielt kaum eine Rolle.

Die meisten Gespräche führt das Team am Telefon, vor allem während des Lockdowns lief viel über diesen Weg. Auch per E-Mail wurden Probleme gelöst, und die Beraterinnen kommen auch nach Hause. „Manchmal hatte das Team ganz schnell eine Lösung, manchmal waren auch mehrere Treffen nötig“, sagt die Fachdienstleiterin.

ESD könnte pro Jahr 2,6 Millionen Euro einsparen

Die Resonanz auf das Angebot, mit dem der Kreis unter den Landkreisen bundesweit zu den Vorreitern zählt, ist positiv. Alle Klienten haben laut Auswertung angegeben, dass sie „bei den freundlichen und verbindlichen Mitarbeiterinnen des ESD die Hilfe bekommen haben, die sie brauchen“. Neun von zehn würden den Sozialdienst weiterempfehlen.

Katja Lohmeier, Kerstin Schwarzloh, Annina Budnick und Dörte Meyer (von links) beraten Menschen in Not.
Katja Lohmeier, Kerstin Schwarzloh, Annina Budnick und Dörte Meyer (von links) beraten Menschen in Not. © Kreis Segeberg | Kreisverwaltung Segeberg

Die Hilfe hat nicht nur eine soziale Komponente, sondern auch eine wirtschaftliche. „Was wir in die Prävention investieren, spart auf Dauer Folgekosten, die um ein Vielfaches höher sind“, sagt Katja Lohmeier. Werden Betroffene frühzeitig beraten, lassen sich oft drohende Obdachlosigkeit, Überschuldung, eine schwerere Pflegebedürftigkeit oder eine rechtliche Betreuung vermeiden. Die Experten haben das anhand von in Deutschland gängigen Fallpauschalen ausgerechnet. Das Ergebnis: Der ESD könne bei einer Klientenzahl von knapp 200 langfristig gut 2,6 Millionen Euro im Jahr einsparen.

Sozialdienst als kommunale Daseinsvorsorge

Auch dadurch sieht sich Fachdienstleiterin Lohmeier bestätigt: „Ein solches Angebot wie der ESD ist ein Auftrag der kommunalen Daseinsvorsorge, den sich eine Gesellschaft ethisch und moralisch leisten sollte.“ Die Analyse habe ergeben, dass der Erwachsenen-Sozialdienst erhebliche positive Wirkungen für die Bürger, deren soziales Umfeld sowie gesamtgesellschaftlich im Kreisgebiet bietet.

Durch die demografische Entwicklung, den Anstieg des Armutsrisikos sowie die Zunahme der psychischen Belastungen in der Gesellschaft werde es zu einer höheren Nachfrage kommen. Als Folge der Pandemie sei zu befürchten, dass der Bedarf an Beratung bei psychosozialen Fragestellungen noch stärker ansteigen wird.

Kreispolitiker scheuen vor den hohen Kosten zurück

Daher sollte der Sozialdienst unbefristet fortgesetzt und auf den gesamten Kreis ausgeweitet werden. Das würde bedeuten, dass die jetzigen 2,3 Stellen entfristet und weitere vier Vollzeitstellen eingerichtet werden. Für den ESD ergäben sich damit Gesamtkosten von 505.890 Euro pro Jahr. Zwar stand der Beschluss schon im Sozial- und Hauptausschuss sowie im Kreistag auf der Tagesordnung, doch bisher sind die Kreispolitiker vor den Kosten zurückgescheut und die Entscheidung vertagt.

Sie haben die Verwaltung beauftragt zu ermitteln, wie hoch der Bedarf für den ESD sein kann, vor allem in den Städten und Gemeinden, in denen der Dienst bisher nicht aktiv war. Zudem soll die Kreisverwaltung eine Übersicht über die bereits vorhandenen sozialen Angebote erstellen.