Norderstedt. Tierheim in Henstedt-Ulzburg spricht von „Fundunterschlagung“ und hat das Norderstedter Ordnungsamt eingeschaltet.

Als Björn Frank mit dem Auto über die Landstraße in Richtung Bönningstedt fährt, entdeckt seine Freundin ein weißes Kaninchen am Straßenrand. „Wildkaninchen sind nicht weiß. Wir müssen anhalten“, sagt sie. Zu seiner Überraschung findet das Paar auf dem verlassenen Landstreifen gleich drei Kaninchen. Sie müssen ausgesetzt worden sein, denkt es. Die Sommerferien haben gerade angefangen. Der 21-Jährige will die Tiere retten, handelt und bringt sie zu seinen Eltern nach Norderstedt. Nun hat das Ordnungsamt ein Verfahren gegen die Familie Frank eingeleitet.

Fundtiere müssen Tierheim gemeldet werden

„Wir dachten, dass wir etwas Gutes tun“, sagt René Frank. Der Familienrat tagte und beschloss, den vermeintlich herrenlosen Kaninchen ein neues Zuhause zu geben. Der 54-Jährige baute den Holzschuppen im Garten um. Dort drinnen stehen nun zwei Ställe, auf dem Rasen haben die Tiere weiteren Auslauf. „Wir sind mit den Kaninchen zur Tierärztin gegangen und haben sie durchchecken lassen. Dabei wurde festgestellt, dass eines der Tiere seit 20 Tagen schwanger ist“, berichtet die Familie. Am 29. Tag sind sieben Jungtiere zur Welt gekommen.

Weil die Familie nicht alle beherbergen kann, hat sie ein Inserat bei Ebay Kleinanzeigen geschaltet: „Kaninchen Babys abzugeben!“ In der Anzeige beschreiben die Franks die Geschichte rund um den Fund. Daraufhin meldete sich das Tierheim Henstedt-Ulzburg bei ihnen.

Denn: Bei gefundenen Tieren handelt es sich formal um eine Fundsache, die dem Tierheim – das in solchen Fällen als „Fundbüro“ fungiert – gemeldet werden muss. Dort wird untersucht, ob das Tier möglicherweise einen Chip mit den Kontaktdaten seines Besitzers unter der Haut trägt. Mittels Fotos wird das Herrchen oder Frauchen über das Internet gesucht. Sollte sich nach einem halben Jahr niemand gemeldet haben, gehören die Tiere dem Finder.

Für die Kaninchen geht die Familie auf den Wochenmarkt

Das Tierheim moniert, dass der umgebaute Schuppen nicht die vorgeschriebene Fläche von mindestens drei Quadratmetern pro Tier bietet.
Das Tierheim moniert, dass der umgebaute Schuppen nicht die vorgeschriebene Fläche von mindestens drei Quadratmetern pro Tier bietet. © Annabell Behrmann | Annabell Behrmann

Für Familie Frank schien es offensichtlich, dass jemand die Kaninchen ausgesetzt haben musste. „Kaninchen hoppeln nicht so weit weg. In einem Umfeld von drei Kilometern zur Landstraße steht kein Wohnhaus – und die Ferien haben gerade angefangen“, sagt Sonja Frank. „So viele Zufälle auf einmal kann es gar nicht geben“, meint Ehemann René. Die Norderstedter haben den drei Kaninchen bereits Namen gegeben: Klopfer, Mucki und Flocke. Auf dem Wochenmarkt besorgen sie nun regelmäßig extra Grünzeug für die Tiere. „Vorher waren wir nie auf dem Wochenmarkt.“

Als nun aber eine Mitarbeiterin des Tierheims Henstedt-Ulzburg die Kaninchen bei Familie Frank besichtigte, stellte sie fest, dass die Hasen nicht ausreichend Platz im nächtlichen Unterschlupf hätten, wie es die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz vorgibt. Demnach sollte pro Kaninchen eine Grundfläche von drei Quadratmetern zur Verfügung stehen. Im Fall der Franks bietet der umgebaute Holzschuppen eine Fläche von knapp unter fünf Quadratmetern, etwas über sieben sollten es aber sein.

Tiere werden laut Tierheim nicht artgerecht gehalten

„Die Tiere werden nicht artgerecht gehalten“, sagt Tierheimleiterin Katja Vogel. Vorerst möchte das Tierheim Henstedt-Ulzburg die drei Kaninchen plus Jungtiere bei sich im 30 Quadratmeter großen Gehege aufnehmen – bis die Franks ihre Unterbringung aufgerüstet haben. „Wir wollen den Leuten nichts Schlechtes. Für uns ist aber jedes Tier wichtig.“ Die Mitarbeiter des Tierheims sind vorsichtig. Zu viel Leid haben sie schon gesehen. Besonders über Ebay Kleinanzeigen werden oft schwer kranke Tiere für wenig Geld angeboten. Deswegen durchsuchen die Tierschützer aus Henstedt-Ulzburg regelmäßig die Online-Plattform.

Sowohl dem Tierheim als auch der Familie Frank geht es um das Tierwohl. Die Norderstedter haben in bester Absicht gehandelt. Sie gingen davon aus, dass die Hasen herrenlos sind und deswegen nicht als Fundtiere gelten. Aus diesem Grund weigerten sie sich, die Kaninchen an das Tierheim herauszugeben. Dem widerspricht Leiterin Katja Vogel. „Auch herrenlose Tiere müssen gemeldet werden“, sagt sie. „Und wer will beurteilen, ob die Tiere ausgesetzt worden oder weggelaufen sind?“

Nach Corona-Lockdowns laufen Tierheime voll

Das Tierheim hat das Ordnungsamt Norderstedt nun wegen Fundunterschlagung eingeschaltet. Bis zum 21. Juli haben die Franks Zeit, sich zu dem Fall zu äußern und nachzuweisen, warum sie die Kaninchen doch artgerecht halten. Möglicherweise müssen sie auf Anweisung des Ordnungsamtes die Unterbringung weiter nachrüsten.

„Wir haben nichts dagegen, wenn das Ordnungsamt mit einer Tierärztin vorbeikommt, um sich die Lage vor Ort anzuschauen. Wir möchten ja, dass es den Tieren gut geht“, sagt Sonja Frank. Das sei ihre ursprüngliche Intention gewesen. Für sie steht aber fest: „Sollte sich der Besitzer der Kaninchen melden, sind wir die Letzten, die die Tiere nicht rausgeben würden.“

Unterdessen läuft das Tierheim in Henstedt-Ulzburg voll. Während der Corona-Lockdowns haben sich viele Menschen ein Haustier zugelegt. Seitdem aber wieder mehr Freizeitaktivitäten möglich sind, werden vor allem Internetkäufe und Tiere, die aus dem Ausland vermittelt wurden, in umliegenden Tierheimen abgegeben. „Das ist furchtbar. Wir sind proppevoll und haben eine lange Warteliste“, berichtet Katja Vogel.