Norderstedt. Landesarchivar sieht in der Stadt Norderstedt große Defizite bei der Bewahrung der eigenen Geschichte und wichtiger Dokumente.
Es ist veraltet. Es ist ungeordnet. Es fehlt akut an Ausstattung. Es mangelt an Personal. Das Landesarchiv hat am Norderstedter Stadtarchiv einiges auszusetzen. Schleswig-Holsteins oberster Archivar Ole Fischer vom Landesarchiv Schleswig-Holstein hebt aber nicht den rügenden Zeigefinger. Sondern bietet an, aus dem Ordner-, Schrank- und Schubladen-Sammelsurium an verschiedenen Orten der Stadt ein in sich geschlossenes, aktives und vor allem funktionierendes Stadtarchiv zu machen.
Kulturamtsleiter Powitz bat den Landesarchivar um Rat
Ins Rollen gebracht hat die gründliche Untersuchung des Stadtarchivs der neue Kultur- und Bildungsamtsleiter Dieter Powitz. Er bat Ole Fischer vom Landesarchiv um Rat – die Stadt schloss mit ihm einen archivfachlichen Beratungsvertrag.
Die Kritik umfasst nicht nur das bestehende mangelhafte Archiv – das ja ohnehin in naher Zukunft ersetzt werden soll, denn das Archiv soll seine neue Heimat im geplanten Bildungshaus in Garstedt bekommen. Auch die Planungen des Archivs für das neue Bildungshaus entsprechen offensichtlich nicht dem, was ein Stadtarchiv darstellen soll.
Der Landesarchivar, so Powitz, habe diese Planungen in einer 20-seitigen Dokumentation festgelegt. Jetzt würden die Innenarchitekten des Bildungshauses, das am Standort der Bücherei Garstedt in Nachbarschaft zum Herold-Center entstehen soll, die Integration des Stadtarchivs in das Bildungshaus nach Fischers Plänen überarbeiten.
Archive „wichtiger Teil des kulturellen Lebens“
„Archivierung umfasst die Aufgabe, archivwürdige Unterlagen nach fachlichen Gesichtspunkten zu erfassen, zu übernehmen, als Archivgut dauernd zu verwahren, zu sichern, zu erschließen, aufzubereiten und für die Benutzung bereitzustellen“, heißt es in der Fischer-Dokumentation nach Paragraf 3, Absatz 4, des Landesarchiv-Gesetzes Schleswig-Holstein.
Die Archivierung beinhaltet, dass eine Akte von ihrer ersten Niederschrift in der zuständigen Behörde gelagert wird. Anschließend entscheidet ein Archivar, ob diese Akte archivwürdig ist. Oder geschreddert werden kann.
Im Archiv wird die Akte verzeichnet, klimatechnisch sicher aufbewahrt und kann auf Anfrage benutzt werden. „Archive sind und bleiben ein wichtiger Teil des kulturellen Lebens. Primär sind sie aber Einrichtungen, die in zentrale Verwaltungsprozesse eingebunden sind und einen wesentlichen Anteil an der Aufrechterhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien haben“, heißt es in der Dokumentation.
Mangelndes Bewusstsein in den Ämtern des Rathauses
Diese und weitere Grundsätze wurden von der Norderstedter Verwaltung bislang nur wenig umgesetzt. So konstatiert der Bericht, dass Akten-Übernahmen aus der Stadtverwaltung ins Archiv eher selten sind, und dass die Stadtverwaltung ihre Unterlagen dem Archiv nicht anbieten, sondern ohne jede Rücksprache vernichten würde.
Das aber sei nicht erlaubt. Eine rechtlich obligatorische Kooperation zwischen Stadtarchiv und Stadtverwaltung würde kaum stattfinden. Daher sei beim Archivieren ein grundsätzliches Umdenken der gesamten Verwaltung notwendig, denn das Bewusstsein für die Funktionen eines Stadtarchivs sei offenbar in der Verwaltung wenig bekannt. Viele Archiv-Arbeiten würden zudem von Ehrenamtlern übernommen.
Die bisherigen Archivräume in Norderstedt würden den vorgeschriebenen Bedingungen keineswegs entsprechen, von einer Digitalisierung der Unterlagen ganz zu schweigen. Es existiert weder eine Bibliothek noch ein Lesesaal noch Arbeitsplätze für die nachfragenden Bürgerinnen und Bürger. Denn das im Archiv gelagerte Material darf die Räumlichkeiten nicht verlassen. Das gelte für Dokumente der Ahnenforschung ebenso wie für jene aus den Themenbereichen Stadtkultur, Stadtgründung, Schul-, Wohnungs- und Straßenbau.
Stadtarchiv soll mehr Personal bekommen
In Sachen historische Öffentlichkeitsarbeit würde das Stadtarchiv indes gute Arbeit leisten, attestierte der Landesarchivar.
Ole Fischer empfiehlt in seiner Dokumentation, dass das Stadtarchiv für Rechtssicherheit sorgen, die Digitalisierung vorantreiben, an der Modernisierung der gesamten Verwaltung mitwirken und sich an der Erforschung der Stadtgeschichte intensiv beteiligen solle, um die Bindung der Bürgerinnen und Bürger an ihre Stadt entscheidend zu festigen.
Für diese Aufgaben müsste das Personal aufgestockt werden. Eine Stellenausschreibung soll erfolgen, wenn die Politik den Empfehlungen des Landesarchivs folgt und einen entsprechenden Haushalt beschließt.