Norderstedt. Tagesaufenthaltsstätte (TAS) legt Pläne für Neubau vor – Spender gesucht, um Kosten von bis 1,5 Millionen Euro zu decken.
Sperrig ist der Name: Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose. Deswegen sprechen in der Stadt alle nur – abgekürzt – von der TAS, wenn es um die Einrichtung geht, die am Lütjenmoor neben dem Herold-Center von der Diakonie betrieben wird. Und die viel mehr ist als eine Tagesaufenthaltsstätte, in der man duschen, ausruhen, essen und schnacken kann.
Sie ist ein Asyl für alle in der Stadt, die aus jedem sozialen Raster gefallen sind. Sie ist der Ort, an dem jemand, der auf Norderstedter Straßen lebt, eine Hand gereicht bekommt, die ihn zurück in ein würdiges Leben ziehen kann.
Deswegen ist es eine gute Nachricht, dass die TAS nun mit der Planung ihres neuen, größeren Hauses ein gutes Stück weiter ist. Die jetzige TAS stammt aus dem Jahr 2007. „Und ist an vielen Ecken schon etwas marode“, sagt Einrichtungsleiterin Tabea Müller. Die neue TAS wird von 2022 an, leicht versetzt von der alten, aber ebenfalls am Lütjenmoor gebaut – wenn alle glatt geht.
Der Politik wurden die Pläne jetzt präsentiert. „Wir wollen die Arbeit der TAS mit dem neuen Haus auf solide Füße stellen“, sagt Müller. Der geplante zweistöckige Flachdachbau soll 400 Quadratmeter Wohnfläche haben, statt der bisher nur 144 Quadratmeter im Altbau. „Wir brauchen endlich eine anständige Küche, die den Hygienevorschriften entspricht. Und einen abschließbaren Lagerraum“, sagt Müller.
Im neuen Haus wird der Ess- und Gemeinschaftsbereich richtig groß sein und genügend Abstandsmöglichkeiten bieten. „Unsere Klientel ist eine heterogene Masse – manche wollen ausruhen, andere klönen, spielen, lesen, am PC arbeiten oder ins Internet gehen. Dafür werden wir im neuen Haus genug Räume haben, damit sich die Leute zurückziehen können.“
Etwa zwischen einer Million Euro und 1,5 Millionen Euro wird die neue TAS kosten. „Es soll ein ökologisches Haus in Holzrahmenbauweise und mit Photovoltaikanlage auf dem Dach werden“, sagt Müller. Das Geld dafür muss noch zusammenkommen.
Die Diakonie wird einen Teil übernehmen, man hofft auf Zuschüsse der Stadt und vor allem auf Spenden. „Besonders Firmen sind uns sehr willkommen. Man könnte ja einzelne Zimmer des Hauses nach den Firmenspendern benennen.“ Bis Ende des Jahres will die TAS einen Bauantrag einreichen, wenn der durchgeht, könnte von 2022 an gebaut werden.
Corona hat die Arbeit der TAS verändert und erschwert
Unterdessen geht die Arbeit mit und für die obdachlosen Männer und Frauen unvermindert weiter – und sie gestaltet sich für das Team um Tabea Müller und die 36 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer immer schwerer.
Die Corona-Pandemie hat die Lage völlig verändert. Gerade hat der Sozialausschuss der Stadtvertretung darauf reagiert und einen neuen Fünf-Jahresvertrag mit der TAS über eine finanzielle Unterstützung einstimmig beschlossen. Statt wie bisher jährlich 48.800 Euro bekommt die TAS nun 18.600 Euro mehr im Jahr, also 67.400 Euro. Tabea Müller wird nicht mehr 27 Stunden, sondern 32 Stunden die Woche vor Ort sein.
An die 12.000 Gästekontakte zählte die TAS in den vergangenen Jahren jährlich. 2020 schrumpfte das auf 6000 Kontakte – weil die TAS zeitweise geschlossen war. Das Obdachlosen-Elend spielte sich wieder zunehmend auf der Platte ab. Wenn die Obdachlosen aber nicht zur TAS kommen können, muss die TAS eben zu den Obdachlosen. „Die aufsuchende Arbeit ist natürlich viel zeitintensiver und mit viel mehr Aufwand verbunden“, sagt Müller.
Egal ob in der Stadtverwaltung, bei der Polizei oder in der Bürgerschaft – wer immer in Norderstedt Menschen in prekären Verhältnissen „auf Platte“ sehe, sie orientierungslos in Hausecken entdecke oder hilfsbedürftig am Straßenrand sitzen sehe, wende sich an die TAS.
„Um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und sie dazu zu bewegen, Hilfe überhaupt anzunehmen, ist ein persönlicher Kontakt, oft mit sehr viel Geduld und Durchhaltevermögen nötig. Wir müssen rausgehen, mit den Betroffenen sprechen, Unterstützung anbieten, Perspektiven aufzeigen, und das immer und immer wieder“, beschreibt es Müller in einem Schreiben an die Sozialdezernentin Anette Reinders.
Hinzu käme das zunehmende Problem von Obdachlosen, die pflegebedürftig auf der Straße leben. Inkontinenz und Demenz beobachtet die TAS. Die Menschen würden aber allenfalls notärztliche Behandlungen bekommen. Pflegeleistungen, Hilfsmittel oder gar stationäre Aufnahmen seien so gut wie unerreichbar für Menschen, die über Jahre keinen Krankenversicherungsschutz oder Sozialhilfebezug hatten und obendrein unter Suchterkrankungen und psychischen Problemen leiden würden.
„Die Folge ist, dass Menschen verelenden und letztlich unter extrem unwürdigen Umständen versterben, wie wir es im letzten Jahr dreimal erleben mussten“, teilt Müller mit. Zwei Personen seien in Norderstedt in ihren Zelten verstorben, ein Mann in einer öffentlichen Toilette am Busbahnhof Garstedt.
Wohnungen für Obdachlose würde die TAS gerne bauen
Perspektivisch will die TAS gerne noch viel mehr leisten – wenn die Finanzierung das möglich mache. Etwa das individuelle Begleiten von Klientinnen und Klienten. „Noch immer machen Menschen die Erfahrung, aufgrund kreativer Frisuren oder unkonventioneller Erscheinung abgewiesen und in ihren bürgerlichen Rechten beschränkt zu werden“, schreibt Müller.
So habe etwa ein „Herr A.“ in Norderstedt auch nach mehrmaligem Bitten in einer Bank keine Kontoauszüge ausgehändigt bekommen, um damit seinen Arbeitslosegeld-II-Antrag vervollständigen zu können. Erst als jemand von der TAS ihn begleitete, klappte es mit dem Ausdrucken.
Hinter dem Bemühen um die obdachlosen Menschen stehe immer das Ziel, sie von der Straße in ein würdiges Leben mit Arbeit und in den eigenen vier Wänden zu bekommen. Doch dazu braucht es zunächst die vier Wände – ein relativ aussichtsloses Unterfangen auf einem angespannten Wohnungsmarkt.
Die TAS weiß aber, dass Obdachlose erst dann die Kraft für das Angehen ihrer Probleme finden, wenn sie in einer Bleibe zur Ruhe kommen. Deswegen wolle man gemeinsam mit der Stadt Norderstedt Wohnprojekte entwickeln und biete sich dafür sogar als Bauträger an.
Spenden für den Neubau der TAS kann man unter dem Stichwort „Neubau“ auf das Konto der Einrichtung überweisen: IBAN DE 1152 0604 1063 0649 0018