Kreis Segeberg. Jährlich gibt es 9400 Frauen mit Gewalterfahrungen. Doch keine Kommune will ein Areal zur Verfügung zu stellen.

Im Kreis Segeberg besteht ein zusätzlicher Bedarf von mindestens 28 bis 49 Frauenhausplätzen. Zu diesem Ergebnis kommt eine jetzt vorgestellte Bedarfsanalyse der Kreisverwaltung. Ein zweites Frauenhaus wird dringend gebraucht, aber niemand kann sagen, wo es gebaut werden kann. Ein geeigneter Standort ist bisher nicht in Sicht. Dort, wo Frauen am häufigsten Schutz suchen, gibt es offenbar keine geeigneten Grundstücke.

Deutlich wird in der Untersuchung der Segeberger Kreisverwaltung, dass eine Vielzahl der Fälle von Gewalt gegen Frauen gerade im ländlichen Bereich nicht angezeigt wird – und zwar unabhängig von der Herkunft der Frauen. Die dafür infrage kommenden Gründe sind vielfältig. Besonders wichtig erscheint dabei dieser Punkt: Mehr noch als in der Anonymität größerer Orte bleibt das Thema Gewalt gegen Frauen in ländlichen Regionen ein Tabuthema. Zudem wird offenbar vieles unter der Decke gehalten, weil die Anonymität schwerer zu wahren ist als in städtischen Regionen, wo auch die Nachbarn oft nicht so genau hinschauen, wenn es in einer Familie Konflikte gibt.

Der Bericht der Kreisverwaltung macht den Kreispolitikern aber auch deutlich, dass der wahre Bedarf an zusätzlichen Frauenhausplätzen zurzeit nur ungenau beziffert werden kann. Diese Erhebung berücksichtigt weder den durch Corona entstandenen erhöhten Bedarf, noch die höhere durchschnittliche Verweildauer im Frauenhaus Norderstedt (106 Tage im Jahr 2020) im Vergleich zu der durchschnittlichen Verweildauer in Schleswig-Holstein insgesamt (45 Tage im Jahr 2019). Bestandteil der Analyse ist auch eine Auswertung der Situation geflüchteter Frauen und Frauen mit Migrationshintergrund im Kreis Segeberg.

395 Frauen konnten 2020 nicht aufgenommen werden

Im Frauenhaus Norderstedt bekamen im Jahre 2020 etwa 60 Prozent mehr Frauen eine Absage als im Jahr 2019: 395 Frauen konnten demnach nicht aufgenommen werden, weil keine freien Plätze vorhanden waren. Eine unbefriedigende Situation, wie die Kreispolitiker im zuständigen Sozialausschuss feststellen mussten.

Im vergangenen Jahr wurden im Norderstedter Frauenhaus 106 Frauen aufgenommen. Die Auslastung lag damit bei 101 Prozent. Das bedeutet, dass die Frauen im Kreis Segeberg durchschnittlich ungefähr doppelt so lang im Frauenhaus verbleiben wie im restlichen Schleswig-Holstein. Warum das so ist? Eine Antwort kann die Kreisverwaltung nicht geben.

Eigentlich sind alle einer Meinung: Im Kreis Segeberg müsste ein zweites Frauenhaus gebaut werden. Dieses Vorhaben erscheint aber problematisch, weil nicht klar ist, wo ein solches Haus gebaut werden könnte. Die Kreisverwaltung hat nachgefragt und ausschließlich Absagen bekommen: Städte, Ämter und Gemeinden entlang der A-7-Achse verfügen nach eigenen Angaben über keine Immobilien, die als Frauenhaus geeignet sind. Und: Keine der Kommunen des Kreises signalisiert die Bereitschaft, sich an der Finanzierung eines weiteren Frauenhauses zu beteiligen. Für die Politiker ein niederschmetterndes Ergebnis.

Ein weiteres Frauenhaus sollte nach Ansicht der Kreisverwaltung aber in einem Bereich liegen, der verkehrstechnisch gut an den Bus- oder Bahn angebunden ist, eine gewisse Anonymität sicherstellt und der im näheren Umfeld ein Hilfs- und Beratungsangebot gewährleistet. Zudem sollte der Standort in einem Gebiet liegen, in dem ausreichend Wohnungen vorhanden sind, da die betroffenen Frauen überwiegend in dem Bereich bleiben wollen, in dem sie Zuflucht gefunden haben.

Kommunen wollen sich finanziell nicht beteiligen

Wie es weitergehen soll, bleibt unklar. Eine politische Entscheidung gibt es im Kreis Segeberg noch nicht, zumal der Schleswig-Holsteinische Landkreistag eine Warnung ausgesprochen hat: Die Entscheidung, ob und wann ein neues Frauenhaus gebaut werden kann, liege beim Land Schleswig-Holstein. Konkrete Aussagen über die zukünftige Finanzierung sollten abgewartet werden.

Wie groß der Bedarf an Frauenhausplätzen ist, zeigt ein Blick in die Statistik. Es ist davon auszugehen, so heißt es in der Analyse der Segeberger Kreisverwaltung, dass im Kreis insgesamt knapp 9400 erwachsene Frauen innerhalb eines Jahres akut Partnergewalt oder sexualisierte Gewalt erfahren und theoretisch Schutz und Hilfe benötigen. Hinzu kommen diejenigen Frauen, die in der Vergangenheit Gewalt erfahren haben und nun erstmalig, wiederholt oder auch langfristig Unterstützung suchen.