Norderstedt. Stadt könnte aus dem Kreis Segeberg austreten. Doch die Prüfung, ob das sinnvoll ist, soll mehr als 500.000 Euro kosten.

Der Nexit Norderstedt raus aus dem Kreis Segeberg. Es ist alles ein wenig so wie beim großen Vorbild, dem Brexit. Wie auf der Insel stehen sich auch im Kreis Segeberg die beiden Seiten gegenüber. Hier die Befürworter des Alleingangs, Fans der Zentralisierung, die überzeugt sind, vom Potenzial der Stadtverwaltung Norderstedt, alle Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge alleinverantwortlich, effektiver und kostenextensiver leisten zu können.

Dort die Gegner des Alleingangs, Fans der Dezentralisierung, die von der Solidargemeinschaft der starken Stadt und des ländlichen Kreises überzeugt sind.

Was würde der Nexit für Norderstedt bedeuten?

In der Norderstedter Stadtvertretung denkt die Politik mehrheitlich an den Nexit, weil das Miteinander zwischen Stadt und Kreis aus ihrer Sicht zuletzt hakte – etwa bei den Themen Recyclinghof, Corona-Zahlen oder der Kontrolle des Verkehrs.

Aber – was heißt das eigentlich konkret für Norderstedt, wenn sie als fünftgrößte Stadt des Landes mit mehr als 80.000 Einwohnern den Kreis Segeberg mit derzeit 276.000 Einwohnern verlässt? Braucht die kreisfreie Stadt Norderstedt dann zum Beispiel ein eigenes Krankenhaus und eine Berufsfeuerwehr? Und was ist mit den Aufgaben, die derzeit noch der Kreis für die Stadt in vielen Amtsbereichen gegen Bezahlung erledigt: Führerscheine, Kfz-Zulassung, Sozialhilfe, Gesundheitsamt, Abfallrecht, Jugendamt, Jugendhilfe, Veterinärwesen, Ausländerbehörde, Jobcenter?

Prüfauftrag wurde von Stadtvertretung angenommen

In der Stadtvertretung Norderstedt führte diese Frage zu einem Prüfauftrag, den die Fraktionen der Grünen, CDU, SPD, Die Linke und FDP einbrachten und der am 2. März mehrheitlich gegen die vier Stimmen von AfD und Freie Wähler und Demokraten und bei Enthaltung zweier SPD-Stadtvertreter angenommen wurde. Die Stadtverwaltung muss den Nexit nun also durchrechnen, ehe sich die Politik über eine Entscheidung zum Thema verständigt.

Das Durchrechnen hat schon begonnen – mit der Ermittlung der Kosten alleine für das Durchrechnen. Und je nach Rechenweg kommt man da locker auf über 500.000 Euro – ohne Gewähr, dass dies reiche, heißt es in einer Vorlage an die Politik. Wenn das Rathaus das Durchrechnen in Eigenregie übernehmen würde, müssten vier Mitarbeiter im Rathaus 18 Monate lange Daten sammeln und diese auseinanderdividieren. Macht mindestens 420.000 Euro, hinzu kämen unkalkulierbare Kosten in den zuliefernden Fachämtern.

Nexit: Norderstedter CDU ist für einen Austritt

Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder würde die Prüfung am liebsten extern vergeben, an ein Fachunternehmen, eine Personalberatungsagentur, einen Wirtschaftsprüfer oder eine Rechtsanwaltskanzlei. Das Auftragsvolumen kann dabei derzeit nur geschätzt werden, da es keine Vergleichswerte gebe.

200.000 bis 250.000 Euro werden prognostiziert, hinzu kämen die Kosten von etwa 1,5 Stellen im Rathaus, die dauerhaft Daten zuliefern müssten. Ein entsprechendes Vergabeverfahren könnte frühestens im Juli abgeschlossen sein. Die Verwaltung gibt bei all dem Aufwand zu bedenken, dass im Rathaus durch das Binden von Kräften an den Prüfauftrag andere Arbeiten notgedrungen liegen bleiben würden.

Polemisch zugespitzt könnte man die Vorlage in etwa so übersetzen: Vergesst das mit der Prüfung der Kreisfreiheit – zu aufwendig, zu teuer und derzeit personell kaum zu leisten. Macht Roeders Rathaus also klar, dass es die Kreisfreiheit nicht will?

Klare Zahlen müssten zunächst auf den Tisch

„Frau Roeder hat eine Riesenrechnung aufgemacht. Das sehe ich nicht so. Man kann auch alles schlechtreden, wenn man es nicht haben möchte“, kommentierte CDU-Fraktionschef Peter Holle die Ergebnisse aus dem Rathaus. Holle tat dies bei einer Online-Diskussionsrunde zum Thema Nexit, zu der die CDU unlängst geladen hatte.

„Wir sind von einer Realisierung der Kreisfreiheit noch weit entfernt. Und es heißt nicht, dass wir am Ende der Prüfung sagen, dass wir kreisfrei werden wollen.“ Zunächst müssten klare Zahlen auf den Tisch. „Norderstedt ist der Hauptzahler im Kreis, hat aber nichts zu sagen. Die Umlandgemeinden sollten nicht über das Wohl der Stadt Norderstedt entscheiden“, sagt Holle.

Kreis hat Personalkosten von 60 Millionen Euro

Torsten Kowitz, Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion, warnte Norderstedt vor einer Kostenfalle. Derzeit liege die Kreisumlage für Norderstedt bei 38 Millionen Euro pro Jahr. Es ginge bei einem Alleingang um die komplette Verwaltung eines Drittels der Kreisbevölkerung.

„Da ist man schneller bei Kosten in Höhe von über 38 Millionen, als man gucken kann. Und da hat man Kreisstraßen, Infrastruktur, ÖPNV noch nicht mitberechnet.“ Kreispräsident Claus Peter Dieck sieht den Kreis als wichtige Solidargemeinschaft. „Das Denken in Regionen ist ein wichtiger Ansatz für den Kreis, die Nordgate-Achse, das sollte man nicht einfach opfern, sondern deutlich prüfen, welche Vorteile auch ein Miteinander weiterhin haben wird.“

Ex-Innenminister Hans-Joachim Grote, Norderstedts ehemaliger Oberbürgermeister, war selbst immer ein Kritiker der Kreisumlage und ist der Auffassung, dass eine Kommune immer zunächst selbst ihre Aufgaben erledigen sollte, ehe der Kreis damit befasst wird. „Damals wie heute war die Frage der Kreisfreiheit für mich keine der Separation. Norderstedt ist ohne Kooperation mit dem Kreis nicht zukunftsfähig. Es ging ausschließlich um notwendige Erledigung von Verwaltungsaufgaben“, sagte Grote in der Online-Runde.

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Er kritisierte die Personalkosten des Kreises in Höhe von knapp 60 Millionen Euro. „Sollte eine Kreisverwaltung viel Geld für Personal oder für die Dienstleistungen für den Bürger ausgeben? Verwaltung ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck.“ Eine Stadt mit 80.000 Einwohner habe andere Bedürfnisse als ein Dorf mit 2500 Einwohnern. Grote: „Mein Wunsch wäre, uns gemeinsam darauf zu verständigen, wie viel Verwaltung wir auf den Ebenen der Kommunen, Kreise und Ämter brauchen und wo wir Sach- und Personalkosten sparen können. Alle müssen bereit sein, neue Wege zu gehen.“