Kaltenkirchen. In Workshops in Kaltenkirchen will Freya Kurek die Erinnerungsarbeit in KZ-Gedenkstätten professionalisieren.

Bald sind die letzten Opfer tot. Sie werden nicht mehr berichten können, wie sie im Konzentrationslager Kaltenkirchen und den unzähligen anderen Tatorten nationalsozialistischer Verbrechen gelitten haben. Doch ihre Stimmen und ihre Geschichten sollen auch künftig gehört werden – nicht nur als Information aus der Vergangenheit, sondern auch als Mahnung. „Erinnerung ins Land tragen“, heißt ein neues Projekt in der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen, das mit einem ersten Workshop im Mai beginnt. Die Politikwissenschaftlerin Freya Kurek hat die Leitung übernommen. Ihr Ziel: Ausgebildete Multiplikatoren werden künftig über das Leben und Sterben in den Lagern berichten.

Das Projekt ist eines von 32 bundesweit, die seit September vom Bund mit Mitteln aus dem Förderprogramm „Jugend erinnert“ finanziert werden. Mitarbeiter von Gedenkstätten und Lehrer, Studenten und Sozialpädagogen – sie alle kommen als Multiplikatoren in Fragen. Als Freya Kurek in Kaltenkirchen die Projektleitung übernahm, stand sie zunächst vor der Frage, wie denn eine solche Ausbildung überhaupt aussehen könnte. Jahrzehntelang hatten in Kaltenkirchen und anderen Gedenkstätten Ehrenamtler die Besucher – zumeist sind es Schüler – über ihre Arbeit und die Geschichte des Lagers informiert. Die nötige Professionalisierung des Gedenkens und der Pädagogik ist in den Trägervereinen und der Politik unumstritten.

Freya Kurek nutzte die ersten Monate ihres Zwei-Jahres-Vertrages für die Pionierarbeit und entwarf ein Konzept, was Multiplikatoren können müssen und welches Konzept insbesondere junge Menschen anspricht. „Wir haben hier Standards entwickelt, für die es keine Vorlage gab“, sagt sie. Dabei denkt sie nicht nur an Kaltenkirchen, sondern an Gedenkstätten im ganzen Land.

Freya Kurek hat dabei einen Schwerpunkt auf die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart gelegt. Wer über Nationalsozialismus spricht, muss den heutigen Rechtsextremismus mitdenken. „Das ist eine Entwicklung, die es notwendig macht, historisch-politische Bildung zu verstärken“, sagt Freya Kurek. Damit liegt die Antwort auf eine typische Frage kritischer junger Menschen nahe, die eine NS-Gedenkstätte besuchen: „Was hat das mit mir zu tun?“ Sehr viel, denn die Werte und Menschenrechte, die die Nazis einst außer Kraft setzen, werden auch von den neuen Rechten in Frage gestellt.

Freya Kurek geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt als Konsequenz der Beschäftigung mit der NS-Zeit jungen Menschen die Frage: Wie wollen wir leben? Mit welchen Werten. Ohne eine klare Haltung der Multiplikatoren zu rechtem Gedankengut kann das Konzept nicht aufgehen. Kurek erwartet von den Teilnehmer das Einstehen für die Opfer und gegen die NS-Ideologie.

Zu den weiteren Bausteinen gehören die Digitalisierung und der Hinweis auf den lokalen Bezug. Die alten Kaltenkirchener lebten mit einem KZ vor der Haustür. „Das wissen die jungen Menschen häufig nicht“, sagt Freya Kurek. Ein ehemaliges Lager dürfe nicht neutral, sondern müsse als Tatort betrachtet werden. Auch die Vernetzung der Lager und das System, zu dem Kaltenkirchen ebenso gehörte wie Auschwitz, sei vielen Besuchern unbekannt. „Vernichtung fand auch hier statt“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Große Geschichte im Kleinen erzählen – das gehört zu ihrem Konzept. Zum Beispiel die des 15-jährigen Jungen aus Polen, der im Lager Kaltenkirchen inhaftiert war.

Die Gedenkstätte lädt zu drei Workshops im Mai, September/Oktober und Mai 2022 ein. Sie finden jeweils an drei Terminen an Wochenenden statt. Außerdem sind Summerschools in diesem und im Juli 2022 geplant. Wer teilnehmen möchte, muss sich bewerben. Die Ausbildung ist inklusive Unterkunft, Verpflegung und Material kostenlos.

Weitere Information auf der Webseite www.erinnerung-ins-land-tragen.de. Bewerbungen für den Workshop im kommenden Mai müssen bis zum 14. April vorliegen.