Sülfeld. Pastor Steffen Paar macht aus dem 800 Jahre alten Gotteshaus in einen Erlebnisraum – das gefällt nicht allen

Wie Lampions aufgereiht hängen die Gießkannen von der Decke der Sülfelder Kirche. Lämpchen sorgen dafür, dass der durchscheinende Kunststoff sie in allen Farben zum Leuchten bringt. Auf dem Boden des 800 Jahre alten Gemäuers liegt ein breiter Streifen mit Mulch. Darauf haben Besucher des Gotteshauses Zettel mit ihren Wünschen gelegt, die wachsen sollen. „Mehr Tiere“ steht dort in Kinderschrift. Viele Menschen wünschen sich Frieden.

„Ist das noch unsere Kirche?“, werden sich traditionsbewusste Kirchgänger fragen, wenn sie die Dekorationen zwischen Kirchentür und Altar das erste Mal sehen. „So muss unsere Kirche sein“, lautet die andere Reaktion. Pastor Steffen Paar, seit sechs Jahren Geistlicher in der Gemeinde zwischen Bad Segeberg und Bad Oldesloe, versteht beide Sichtweisen. Und doch hat er sich für ungewöhnliche Deko und Installationen entschieden, die in einer norddeutschen Kirche einmalig sein dürften.

Gießkannen und Mulch – sie sollen das im Frühjahr beginnende Wachstum symbolisieren. Im dunklen Monat November, als die Menschen ihrer Toten gedachten, stand ein Sarg im Kirchraum, der mit Stoffbändern geschmückt war. Darauf konnten Besucher die Namen der Menschen schreiben, die von ihnen gegangen waren.

Für den Sommer hatte der Edeka-Markt von nebenan einen Strandkorb bereit gestellt. Auch der Sand drum herum fehlte nicht. Kirchenbänke stehen in dem Gebäude schon lange nicht mehr. Reichen Altar, Kruzifix und Orgel nicht mehr aus, um die Menschen in die Kirche zu holen? Offenbar nicht. Die Resonanz auf Kunst und Deko sind enorm. Dabei geht es dem 41 Jahre alten Pastor mit dem bunten Mainzelmännchen-T-Shirt und den stylischen Schuhen nicht um die Besucherzahlen, sondern darum, die Menschen zu erreichen und zu bewegen. „Schönheit für die Seele“ – das will er schaffen. Weg von der Eindimensionalität der festen Rituale und uralten Ausstattung mit Kreuz, reichlich Gold und harter Bank hin zu einem Raum, der allen Menschen gehört, sie willkommen heißt und ihre eigene Verbindung zu Gott suchen und erfahren lässt.

Der Kirchenraum wird endlich zu einem belebten Ort

Angefangen hat Paar nach der ersten Corona-Welle vor etwa einem Jahr, als er feststellen musste, dass Baumärkte wieder öffnen konnten, die Kirchen aber geschlossen blieben. Sie boten Digital-Gottesdienste an. Dabei ist es bis heute weitgehend geblieben, es sei denn, Menschen werden getauft oder beerdigt.

Damit wollte sich der Pastor nicht abfinden, der die Kirche als einen „Raum für alle“ und „Herberge der Seele“ definiert und seitdem die Türen täglich von 7 bis 20 Uhr weit aufmacht. Mit Erfolg. „Diese Kirche ist ein belebter Ort“, sagt Steffen Paar, der sich auch über Kinder und Haustiere in seinem Gotteshaus freut, in dem niemand ehrfurchtsvoll flüstern muss.

„Hier passiert sehr viel“, sagt Paar. Die Menschen nutzen den Raum zum Abschalten, zum Nachdenken oder zum Genießen der Kunst. Eine alleinerziehende Mutter berichtete dem Pastor, sie genieße, „einfach nur da zu sein“.

Die Installation mit den Gießkannen ist die erste, die Paar nicht allein auf die Beine stellte. Eine auf Veranstaltungen spezialisierte Firma half. „Man muss schon eine Rampensau sein“, sagt der Pastor. Aber eine mit Herz. Im vergangenen Jahr fädelte er mit einer Frau 5000 Rosenblätter auf Fäden, die in der Kirche zu sehen. Dazu sang Hildegard Knef „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ aus den Lautsprechern.

„So etwas gefällt nicht jedem“, räumt Steffen Paar ein. „Einige fanden das zu verrucht.“ Auch der Strandkorb sorgte für Kritik und Sorgen, der heilige Raum verliere seine Würde. Der Pastor hält dagegen: „Ich will es nicht allen recht machen. Vielleicht sitzt Gott lieber in einem Strandkorb als auf einer unbequemen Bank.“ Ja, mancher Besucher habe sich von der Sülfelder Kirche abgewandt. Dafür sind andere hier heimisch geworden.

Manche Gläubige wenden sich ab, neue kommen hinzu

Genaue Zahlen über die Besucherzahlen kennt der Pastor nicht, aber einen Indikator für das große Interesse kann er nennen. Paar hat sich von der katholischen Kirche abgeguckt, dass Gäste gern Kerzen entzünden. Meistens sind damit Wünsche und Gebete für geliebte Menschen verbunden. Seit einem Jahr stehen auch in der Sülfelder Kirche Kerzen dafür bereit, ganz hinten links vom Altar. Inzwischen hat die Gemeinde die 10.000. Kerze dort hingelegt.

Paars Lieblingsplatz in der Kirche ist eine Art Hollywoodschaukel mit alten Sofa-Elementen: „Hier rede ich abends oft mit Gott.“ Er redet auch oft mit den Menschen, die sich die Kirche und die Deko anschauen wollen. Immer wieder geht es dabei um Kurzarbeit, Krankheit und Leid. „Die Hoffnungslosigkeit nimmt zu“, sagt der Pastor, der – wie er selbst sagt – kein Freund des billigen Trosts ist. „Ich bin ein Wegbegleiter“, sagt er. „Manchmal hilft es, die Wahrheiten gemeinsam auszuhalten.“

Auch darüber redet Paar mit Gott. Und mit seinem Mann. Auch der Pastor muss sich manchmal das Leid von der Seele reden, um dann wieder die Kirche zu öffnen. Für ein neues Gespräch, für eine neue Deko. Ab Ostern wird die Kirche einem Blütenmeer ähneln.