Henstedt-Ulzburg. Trotz Abstandsregel, Tests und Masken kommt es in Altenheimen zu Ausbrüchen. Eine Angehörige erzählt von ihrer Angst um ihren Vater

Als am 21. Januar gegen Mittag eine E-Mail der Heimleitung des Lühmann-Parks in Henstedt-Ulzburg in ihrem Postfach einging, überkam Sabine Richter (Name geändert) ein Gefühl der Ohnmacht. In der Pflegeeinrichtung, in der Richters 85 Jahre alter Vater seit etwas über einem halben Jahr untergebracht ist, hat es einen Corona-Ausbruch gegeben. 13 Bewohner und fünf Mitarbeiter sind positiv getestet worden. In den folgenden Tagen infizierten sich acht weitere Bewohner und vier Mitarbeiter. Die gesamte Einrichtung steht seitdem unter Quarantäne. Angehörige haben keinen Zugang mehr.

„Jetzt ist alles vorbei, habe ich gedacht“, sagt Richter. Ihr Vater hat sich bisher zum Glück nicht mit Covid-19 angesteckt. Ihn aber nicht mehr besuchen, ihm vor Ort nicht beistehen zu können, lässt sie verzweifeln. „Ich kann nichts machen. Mein Vater ist auf sich allein gestellt.“

Nicht nur die Hilflosigkeit quält sie. Sondern auch Fragen, die sie sich einfach nicht beantworten kann. Das Coronavirus schafft es immer wieder in Altenheime einzudringen, obwohl diese alle Maßnahmen ergreifen, um ihre besonders vulnerablen Bewohner zu schützen. Hat es einmal seinen Weg ins Innere gefunden, lässt sich die Ausbreitung nur schwer stoppen, so scheint es.

„Wie kommt das Virus trotz Schnelltests in die Einrichtungen? Wieso breitet es sich weiter aus, obwohl die Bewohner in ihren Zimmern isoliert werden?“, fragen sich neben Sabine Richter auch viele andere Menschen.

Der Lühmann-Park steht exemplarisch für andere Altenheime. Bereits seit vergangenem Oktober wendet das Seniorenzentrum Antigen-Schnelltests bei Mitarbeitern und Besuchern an, um Infektionen frühestmöglich aufzuspüren und den Eintritt des Virus zu verhindern. Auf diese Weise konnte auch die erste Infektion einer Bewohnerin Mitte Januar ermittelt werden. „Wir betreiben sehr viel Prävention, indem wir unsere Hygienekonzepte laufend anpassen und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Umgang damit schulen“, sagt Knud Riebschläger, Sprecher der Geschäftsführung der KerVita Gruppe, zu der auch der Lühmann-Park gehört. Ausbreiten konnte sich Covid-19 dennoch. Wie das Virus in die Einrichtung gelangt ist, kann der Infektionsschutz des Kreises Segeberg trotz Ermittlungen nicht nachweisen. Antigen-Schnelltests hätten auch Nachteile, sagt Knud Riebschläger. „Sie liefern zwar ein sehr viel schnelleres Ergebnis als PCR-Tests, erkennen eine Infektion aber nicht so gut im Anfangsstadium. Und sie stellen immer nur eine Momentaufnahme dar.“ Bei Personen mit Symptomen und hoher Viruslast ist die Zuverlässigkeit des Schnelltests am höchsten. Trügerisch ist jedoch: Bei Personen, die zwar infiziert sind, aber keine Symptome zeigen, kann es gut sein, dass der Antigen-Test die Ansteckung nicht nachweist.

Sabine Richters Vater lebt auf 20 Quadratmetern auf der Demenzstation. Hier ist noch kein Corona-Fall bekannt. Er selbst ist nicht dement, aber muss in einem geschützten Bereich untergebracht werden, damit er nicht wegläuft, wie es zuvor in einem anderen Heim passiert ist. Bis vor Kurzem hat der Hamburger noch allein in einer Wohnung mit Terrasse gelebt. Er war noch recht gut zu Fuß unterwegs. Dann stürzte er, zog sich einen Schädelbruch mit Gehirnblutungen zu. Der Unfall veränderte sein Leben. Seitdem ist er auf Hilfe angewiesen. „Für meinen Vater ist im letzten Jahr eine Welt zusammengebrochen“, sagt die Tochter. Nun liege er den ganzen Tag nur noch im Bett herum, weil er sein Zimmer nicht mehr verlassen dürfe. „Er hat extrem abgebaut und leidet unter Rücken- und Kopfschmerzen. Seine Blutungen könnten zurückgekehrt sein.“ Das Heim hat bereits einen Notarzt alarmiert. Ein umliegendes Krankenhaus möchte den 85-Jährigen wegen des Corona-Ausbruchs in der Pflegeeinrichtung allerdings nicht aufnehmen, sagt Richter.

Von 21 infizierten Bewohnern im Lühmann-Park sind fünf genesen. Drei von ihnen befinden sich derzeit im Krankenhaus, weitere drei sind mit oder an Covid-19 verstorben. Von den neun positiv getesteten Mitarbeitern gelten fünf inzwischen wieder als gesund. Ihre erste Impfdosis hat ein Großteil der Senioren Anfang Januar erhalten. Durch den Corona-Ausbruch ist unklar, wann und wie die zweite Impfung ablaufen soll.

Die von Corona betroffene Wohngruppe wird derzeit isoliert auf den Zimmern versorgt. „Das bedeutet, dass auch das für sie verantwortliche Personal seinen Bereich während der Arbeitszeiten nicht verlässt“, erklärt Knud Riebschläger von der KerVita Gruppe. Die Wirtschaftswege innerhalb der Einrichtung liefen bis auf Weiteres ohne persönliche Kontakte ab, um das Risiko eines Viruseintrags weiterer Wohngruppen zu minimieren. Warum sich in Altenheimen dennoch Bewohner infizieren, obwohl sie auf ihren Zimmern isoliert sind, kann der Infektionsschutz des Kreises nur mutmaßen. „Ein enger Kontakt zwischen Pflegepersonal und Bewohnerinnen und Bewohnern lässt sich in Pflegeeinrichtungen nicht vermeiden. Mindestabstände können nicht eingehalten werden“, sagt Kreissprecherin Sabrina Müller. Vor allem in Einrichtungen, in denen demente Menschen leben, sei die Umsetzung der AHA-Regeln schwer. „Die Bewohnerinnen und Bewohner verstehen beispielsweise nicht, warum sie eine Maske tragen sollen oder weil sie sich vor den Masken fürchten.“

Sabine Richter würde sich für ihren Vater wünschen, dass er zumindest zu anderen negativ getesteten Bewohnern Kontakt haben darf. „Nähe ist für die Menschen so wichtig“, sagt sie. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als mit ihrem Vater zu telefonieren und ihm auf diesem Weg weiterhin Mut zuzusprechen.

Auch die Pflegekräfte geben ihr Bestes, um die schwierige Situation zu meistern und die Senioren bei Laune zu halten. „Mit ihrer umsichtigen, professionellen Art erbringen Frau Fischer (Anm. d. Red. Doreen Fischer ist Direktorin des Lühmann-Parks) und ihr gesamtes Team unter diesen auch mental anspruchsvollen Bedingungen Höchstleistungen. Das wissen wir als Träger sehr zu schätzen“, sagt Knud Riebschläger.