Planungen für neue Starkstromtrasse gehen in nächste Phase. Kritik an Zeitpunkt während der Corona-Pandemie und des Lockdowns.
Henstedt-Ulzburg. Das Planfeststellungsverfahren für die „Ostküstenleitung“ befindet sich unmittelbar vor der Eröffnung. Der Start des formalen Genehmigungsprozesses ist für den 4. Januar 2021 vorgesehen. Damit wird eines der zentralen Infrastrukturvorhaben in Schleswig-Holstein in die nächste Phase übergehen. Die 380-Kilovolt-Stromtrasse soll Offshore-Windstrom aus Ostholstein durch die Region transportieren, dieser soll dann über die bereits bestehende Leitung entlang der Autobahn 7 in Richtung Süden weitergeleitet werden.
Für den Netzbetreiber Tennet ist der Bau wirtschaftlich, für die Landesregierung energiepolitisch von enormer Bedeutung. Darüber hinaus ist die „Ostküstenleitung“ Bestand des bundesweit gültigen Netzentwicklungsplan und des Bundesbedarfsplangesetzes. So sagte nun auch Jan-Philipp Albrecht (Bündnis 90/Die Grünen), Energiewendeminister in Kiel: „Ich freue mich, dass wir auch bei der Ostküstenleitung Schritt für Schritt vorankommen. Der Netzausbau ist die strukturelle Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende.“
Jahrelanger Protest gegen Trassenverlauf
Das Problem für den Südwesten des Kreises Segeberg: Die Region wird, so empfinden es betroffene Kommunen und auch Bürger, unverhältnismäßig durch den Verlauf belastet. Dieser orientiert sich weitestgehend an der bestehenden 220-Kilovolt-Trasse – in Henstedt-Ulzburg und Kisdorferwohld sind dazu Erdkabelkorridore vorgesehen, zum Teil im Bereich der Pinnauwiesen, also eines Biotops. Über Jahre haben sich Grundstückseigentümer, Verwaltungen, Politiker in den aufwendigen Beteiligungsverfahren, die schon 2014 begonnen hatten, hiergegen gewehrt, insbesondere eine Verlegung des Korridors weiter nördlich an die künftige A20 gefordert – hier sei im Vergleich die Bevölkerung weniger tangiert.
Tennet hat das ein weiteres Mal abgewogen, bleibt aber bei den Plänen. In einer Mitteilung heißt es, dass es vor der nun erfolgten Antragstellung „intensive Abstimmungen“ mit dem Land und der Planfeststellungsbehörde gegeben habe. „Dabei wurde auch die Prüfung der Leitungsführung an der teilweise geplanten und teilweise bereits gebauten Autobahn A20 intensiviert. Diese Korridorvariante konnte sich aber nicht durchsetzen. Im Ergebnis folgt die beantragte Leitungsführung weitestgehend der bestehenden 220-kV-Freileitung und nutzt die durch sie bereits bestehenden Vorbelastungen.“ Das Verfahren umfasst insbesondere auch ein Umspannwerk auf Henstedt-Ulzburger Gebiet nahe des Beckershofes. Dort soll die „Ostküstenleitung“ an die 380-kV-Trasse („Mittelachse“) entlang der A7 angebunden werden.
Öffentliche Auslegung und Gesprächsrunden ab 4. Januar
Sämtliche Unterlagen werden ab dem 4. Januar bis 3. Februar öffentlich ausliegen im Rathaus von Henstedt-Ulzburg, in den Amtsverwaltungen von Kaltenkirchen-Land, Kisdorf, Itzstedt, Leezen und Trave-Land, dazu bei der Gemeinde Ellerau. Online wird eine Einsicht unter ostkuestenleitung.tennet.eu sowie unter www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/E/energie/afpe.html möglich sein.
Die Menschen haben zudem die Gelegenheit, sich vor Ort zu informieren. „Wir laden die Betroffenen aus der Region ein, sich mit uns persönlich zu den Planungsunterlagen auszutauschen. Aufgrund der aktuellen Corona-Lage finden diese Gespräche unter strengen Hygienebedingungen mit maximal fünf Personen gleichzeitig statt. Jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die dann geltenden Corona-Bestimmungen dies zulassen“, sagt Mathias Fischer, Sprecher von Tennet. Eine Anmeldung sei nötig, die Hotline (0431/780 281 55) ist ab dem 28. Dezember montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr erreichbar.
Im Kreis Segeberg wird es zwei Gesprächsveranstaltungen geben – am 12. Januar (13 bis 18 Uhr) im Levo-Park in Bad Segeberg, am 13. Januar (13 bis 18 Uhr) im Kisdorfer Ulmenhof. Fischer: „Alternativ bieten wir vom 18. bis 21. Januar Bürgersprechstunden als Telefonat oder Videokonferenz an.“ Auch hier sei eine telefonische Anmeldung nötig. Bis 3. März können Bürger Hinweise und Einwände schriftlich bei den Kommunen oder beim Amt für Planfeststellung Energie abgeben.
Keine Verschiebung trotz Pandemie
Aus Sicht von Tennet und auch der Landesregierung ist hiermit die Beteiligung gesichert. Und zwar ungeachtet der Tatsache, dass man sich mitten in der Hochphase der Corona-Pandemie befindet. Auf Abendblatt-Nachfrage sagt Joschka Touré, Sprecher des Energiewendeministeriums: „Eine Einschränkung der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern trotz Pandemiebedingungen wird gerade dadurch vermieden, dass die maßgebliche Veröffentlichung über das Internet erfolgt, wo jederzeit und nicht nur zu Öffnungszeiten der Rathäuser Einsicht genommen werden kann.“ Im Mai sei ein bundesweit gültiges „Gesetz zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Planungs- und Genehmigungsverfahren während der Covid-19-Pandemie“ beschlossen worden. Und wer die Pläne lieber in Augenschein nehmen wolle, könne, so Touré, dies in den Verwaltungen tun.
Pandemie engt Spielraum für Beratungen ein
Eine Verschiebung stand also nicht zur Debatte. In Henstedt-Ulzburg wird das kritisiert. Die Gemeinde hat zwei Landtagsabgeordnete – Ole-Christopher Plambeck (CDU) und Stephan Holowaty (FDP) –, die sich beide gegen den beabsichtigen Verlauf der Trasse stellen. „Die Gremien der Gemeinde müssen dazu tagen können, auch der Planungs- und Bauausschuss“, sagt Holowaty, der Vorsitzender dieses Gremiums ist. Aus seiner Sicht ist die Zeit sehr knapp. Grundsätzlich gibt es in Henstedt-Ulzburg eine mehrheitliche Bereitschaft, im Zweifelsfall gegen einen Planfeststellungsbeschluss vor dem Bundesverwaltungsgericht zu klagen, hierzu lässt sich die Gemeinde seit längerer Zeit von einer Kieler Rechtsprofessorin beraten. Holowaty: „Es gibt Leute, die wollen auf jeden Fall klagen. Und es gibt jene, die je nach Erfolgsaussicht klagen wollen.“ Es geht darum, ob das sogenannte „Schutzgut Mensch“ ausreichend abgewogen worden ist. Die Tennet-Planer haben das stets beteuert, aus ihrer Sicht wäre eine Trasse entlang der A20 komplizierter zu realisieren – und dazu teurer.
Gemeinde erwägt Klage
Ole-Christopher Plambeck hätte das Thema gerne erst dann auf der Tagesordnung gehabt, wenn die Corona-Situation weniger dramatisch ist. „Es wäre besser gewesen, alles um drei Monate zu verschieben. Ich gehe davon aus, dass ein gewisser Druck vorhanden ist. Aber alle Betroffenen müssen genug Zeit haben, um sich abzustimmen. Und das geht besser, wenn man sich sehen kann. Wir haben einen Lockdown. Das hat mit einer öffentlichen Auslegung in normalen Zeiten nichts zu tun. Einige Bürger haben Hemmungen, zu den öffentlichen Veranstaltungen zu gehen.“ Allerdings habe die Tennet eine gesetzliche Aufgabe, die Planungen durchzuführen. Die Landespolitik habe hier keine Einflussmöglichkeit, so Plambeck. Er und Holowaty wollen sich Anfang Januar mit Henstedt-Ulzburgs Bürgermeisterin Ulrike Schmidt und Vertretern der Fraktionen zusammensetzen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.