Norderstedt . Corona stellt Firmen vor Herausforderungen. Unternehmen in Norderstedt kommen unterschiedlich durch die Krise.
„Die Situation ist dramatisch, die Corona-Krise bedroht Existenzen “, sagt Birgit Wieczorek, Vorsitzende im „Bund der Selbständigen Nord“ (BDS) mit rund 200 Mitgliedern. Sie rechnet für das nächste Jahr mit Insolvenzen, schon jetzt seien bei vielen die Ersparnisse aufgebraucht, die Umsätze deutlich eingebrochen. Doch während vor allem Soloselbstständige und Familienbetriebe ums Überleben kämpfen, sind die größeren Unternehmen in Norderstedt bisher glimpflich durch die Zeit der Einschränkungen gekommen. Das ergab eine Umfrage des Hamburger Abendblatts.
Auch die Entwicklungsgesellschaft Norderstedt (EGNO) befragt die Norderstedter Unternehmen, wobei der Blick deutlich nach vorn gerichtet ist (www.egno.de/umfrage). „Uns interessiert die Prognose, die Frage, wie die Betriebe die nächsten zwölf Monate beurteilen, und wie wir helfen können“, sagt EGNO-Sprecher Keno Kramer. Sind Informationen zu Fördermitteln nötig? Wird der Austausch mit anderen Unternehmen gewünscht oder eine individuelle Beratung? Das sind Fragen, auf die Norderstedts Wirtschaftsförderer bis zum Umfrageende am Freitag, 4. Dezember, möglichst viele Antworten erwarten.
Große Probleme hat vor allem die Messe- und Eventbranche
„Die Situation stellt sich je nach Branche sehr unterschiedlich dar. Einige Unternehmen, zum Beispiel im IT-Sektor, kommen gut durch die Krise und können sich über gefüllte Auftragsbücher freuen. Andere Betriebe haben auch perspektivisch keine Aussicht auf Umsätze“, sagt Justus Olesch, Leiter der gemeinsamen Geschäftsstelle Norderstedt der Industrie- und Handelskammer Lübeck und Hamburg. Das sei vor allem in der Event- und Messebranche der Fall.
Wie hoch der Anteil an Kurzarbeit ist, lasse sich erst zeitverzögert ermitteln. „Im April lag die Zahl bei etwas mehr als 1800 Unternehmen und bei mehr als 12.800 abgerechneten Kurzarbeitenden im Kreis Segeberg. Im Mai bei etwa 1650 Unternehmen“, sagt Olesch. Momentan lasse sich nur schwer vorhersagen, ob es im nächsten Jahr zu überdurchschnittlich vielen Insolvenzen kommen wird. „Klar ist, dass unsere Unternehmen kämpfen, kreativ sind und versuchen, alles zu tun, um durch diese schwere Zeit zu kommen. Klar ist aber auch, dass es nicht alle schaffen werden“, sagt der IHK-Sprecher.
Einige Unternehmen profitieren in der Krise von Verkehrsanbindung
Im Kammerbezirk seien viele starke Industriebetriebe angesiedelt, etwa im Bereich der Medizintechnik, die bisher gut durch die Krise gekommen seien – oder sogar ihren Umsatz steigern konnten. Viele profitierten von der guten Verkehrsanbindung, besonders entlang der Autobahn 7.
Zu den Gewinnern zählt Schülke und Mayr. „Wir haben bereits zu Beginn der Corona-Pandemie eine stark erhöhte Nachfrage nach Produkten zur Hände- und Flächendesinfektion verzeichnet. Aktuell stellen wir erneut einen steigenden Trend bei der Nachfrage nach diesen Produkten fest“, sagt May-Britt Conradi, Sprecherin von Schülke und Mayr. Das Norderstedter Unternehmen mit rund 800 Beschäftigten habe wegen des enormen Bedarfs zeitweise zusätzliche Schichten in der Produktion eingeführt. Es lasse sich nicht vorhersagen, ob die Nachfrage so hoch bleibt. Die Frage sei, ob die Menschen die Gewohnheit, sich die Hände zu desinfizieren, beibehalten, wenn Covid-19 der Geschichte angehört.
Andere große Unternehmen in Norderstedt haben die Pandemie bisher ebenfalls relativ gut hinter sich gebracht. „Jungheinrich wird gestärkt aus der Krise hervorgehen“, lautete vor zwei Wochen die Bilanz von Finanzvorstand Volker Hues. „Stapler baut man nicht von zu Hause – deshalb war Homeoffice für uns keine Option. Es ist dem herausragenden Verantwortungsbewusstsein der Kolleginnen und Kollegen auch im privaten Bereich zu verdanken, dass wir als Werk bisher so gut und sicher durch die Krise gekommen sind und so auch unseren 1000. Li-Ionen Schubmaststapler bauen konnten“, sagt Nils Sander, Leiter des Norderstedter Werks, das mit rund 1500 Mitarbeitern zu den größten Standorten des Konzerns gehört.
Aufträge sind abgearbeitet, Aufkommen ist rückläufig
Als „ausreichend gut“ bezeichnet Dominic Giesel, Sprecher der Condair GmbH, die Auftragslage. Daher habe das Unternehmen, das 140 Mitarbeiter beschäftigt und Systeme zur Luftbefeuchtung produziert, die in Büro- und Produktionsgebäuden vor der Übertragung von Infektionskrankheiten schützen können, auf Kurzarbeit verzichten können. Die Umsätze seien im Vergleich zum Vorjahr leicht zurückgegangen, der Verlust habe zum Teil ausgeglichen werden können.
Auch bei Johnson & Johnson war Kurzarbeit kein Thema. Bei Norderstedts größtem Arbeitgeber stellen rund 1700 Beschäftigte jährlich rund 90 Millionen medizintechnische Produkte her, vorwiegend chirurgisches Nahtmaterial und Nadeln. Die Triumph-Adler GmbH schließt das erste Halbjahr trotz der Coronakrise positiv ab. Mit einem Umsatz von 119,4 Millionen Euro blieb das Norderstedter Unternehmen zwar hinter den Zahlen des Vorjahres zurück. „Wegen frühzeitig ergriffener Maßnahmen ist es jedoch gelungen, zum Halbjahresende ein positives Ergebnis vorzuweisen“, teilt der Spezialist für moderne Bürokommunikation mit. Prognosen für das zweite Halbjahr seien schwierig, dennoch hofft Geschäftsführer Christopher Rheidt, dass der Aufwärtstrend trotz des Teil-Lockdowns anhält.
„Uns hat die Corona-Krise von Mitte März bis Mitte Mai quasi in eine Schockstarre versetzt“, sagt Michael Grenz, kaufmännischer Leiter bei HPS – das Norderstedter Unternehmen mit 83 Mitarbeitern produziert Schaltschränke und Steuerungsanlagen für die Energieerzeugung. Diese Zeit musste der Betrieb mit Kurzarbeit überbrücken. Doch in den Folgemonaten boomte das Geschäft geradezu, sodass das Vorjahresergebnis deutlich übertroffen werde. Aber: Der Ausblick ist düster. Die Aufträge seien abgearbeitet, das Aufkommen rückläufig. „Ich fürchte, für uns beginnt die Krise erst so richtig im Februar“, sagt Grenz. Dennoch werde das Unternehmen weiter ausbilden.
Viele Mitarbeiter fallen wegen Krankheit aus
Eine positive Bilanz zieht Jens Gottschalk, Chef des gleichnamigen Norderstedter Fachbetriebs für Sanitär- und Heizungsinstallation: „Wir sind ohne Kurzarbeit und Fördermittel durch das Jahr gekommen.“ Fraglich sei, ob das so bleibt. Insgesamt meldet das Handwerk zum Teil kräftige Umsatzausfälle, Aufträge würden weiterhin storniert. „Wir gehen davon aus, dass viele Ausbaubetriebe aktuell von der bis Jahresende geringeren Mehrwertsteuer profitieren. Viele Privatkunden hätten Reparaturen und Baumaßnahmen in Auftrag gegeben“, sagt Anja Schomakers von der Handwerkskammer Lübeck. Wie sich die Situation entwickle, hänge auch davon ab, ob ausreichend Mitarbeiter einsatzbereit sind. „Durch das anhaltend hohe Infektionsgeschehen waren in den letzten vier Wochen wieder 29 Prozent der Betriebe – und damit mehr als im Mai (20 Prozent) – von pandemiebedingten Mitarbeiterausfällen betroffen“, sagt Schomakers.
Der „Bund der Selbständigen Nord“ fühlt sich von der Bundesregierung im Stich gelassen: „Mit der bisherigen Art der Förderung lässt die Regierung die kleinen und mittleren Unternehmen im Regen stehen“, sagt die Vorsitzende Birgit Wieczorek. Erst mit der aktuellen Regelung, bei der für November 70 Prozent des Umsatzes des Vorjahresmonats erstattet werden, greife das Förderprogramm. Bis dahin wurden nur die Fixkosten wie Miete oder Stromkosten erstattet. „Diese Ausgaben sind aber bei vielen niedrig. Was die Existenz gefährdet, sind die fehlenden Umsätze.“ Daher hofft die Norderstedterin, dass die jetzige Förderpraxis auch bei einem längeren Teil-Lockdown bestehen bleibt.