Norderstedt. Mitten in der Pandemie wurde die „Neue Akademie Der Darstellenden Künste“ gegründet – eine Antwort auf insolvente „Copa“.
Auf die Frage, ob sie auch nur eine Sekunde lang den Glauben an ihr Projekt aufgegeben hat, schüttelt Simone Voicu-Pohl mit dem Kopf, lächelt und antwortet mit einem klaren „Nein!“. Natürlich habe es Momente gegeben, in denen sie ins Grübeln geriet. Zum Beispiel im Frühjahr, als Corona ausbrach. Zu diesem Zeitpunkt hatte die 51-Jährige schon über Monate hinweg Klinken geputzt, um Gelder für eine neue Musicalschule in Norderstedt aufzutreiben. „‚O Gott‘, habe ich gedacht. Die Kulturbranche kämpft ums Überleben – und ich will ausgerechnet jetzt eine neue Schule für junge Künstler eröffnen...“
Doch dann erinnerte sich die Musical-Fachfrau, wie greifbar nah sie ihrem Ziel war. Die Finanzierung stand bereits. Nur Räumlichkeiten fehlten noch. „Der Gedanke war unerträglich, dass die Schule an fehlenden Räumen scheitern könnte“, sagt Voicu-Pohl. Mit ihrer Hartnäckigkeit, eine Eigenschaft, die man in der Branche lernt, schickte die ausgebildete Opernsängerin immer wieder E-Mails an die Norderstedter Stadtverwaltung und bat um Unterstützung auf der Suche nach Räumen. Nach einem Kampf, der fast ein Jahr andauerte, eröffnete sie am 10. August, mitten in der Pandemie, die „Neue Akademie Der Darstellenden Künste“.
Institut Copa scheitert, weil das Geld fehlte
Die Gründung der Schule hat eine Vorgeschichte, über die Simone Voicu-Pohl am liebsten nicht mehr sprechen möchte. Ohne dieses dunkle Kapitel würde die neue Akademie allerdings nicht existieren. Mit großen Ambitionen begannen im Januar 2019 20 Musical- und Tanzpädagogikschüler ihre Ausbildung am hochgelobten neuen Musicalinstitut Conservatory of Performing Arts (Copa) in Norderstedt.
Doch mangels Geldgeber ist das Projekt krachend gescheitert. Die Einlagen der Gesellschafter, die Kulturstiftung und die Ballettschule Musci, in Höhe von jeweils 25.000 Euro waren nach wenigen Monaten aufgebraucht. Das Copa stellte seinen Betrieb ein und meldete Insolvenz an. Die Schüler, die aus ganz Deutschland nach Norderstedt gekommen waren und für ihren Traum angefangene Studien abbrachen und Freunde zurückließen, standen plötzlich ohne Perspektive da.
„Es kann nicht sein, dass man junge Menschen einfach auf die Straße setzt“, sagt Simone Voicu-Pohl, die damals Schulleiterin des Copa war. Dieser Gedanke trieb sie das letzte Jahr an und brachte sie dazu, trotz aller Widrigkeiten nicht aufzugeben. „Niemand hat damit gerechnet, dass wir es schaffen.“ Das lag vor allem daran, dass bereits das Copa an der Finanzierung gescheitert war.
Sechs Schülerinnen lernen an der Akademie
Doch die Musicaldarstellerin, die unter anderem bei „Tanz der Vampire“ mitspielte, sammelte 80.000 Euro durch Crowdfunding und Spenden von Firmen und Privatpersonen ein. Mit diesem Geld sind die restlichen zweieinhalb Jahre Ausbildung – ein halbes Jahr wird den Schülern vom Copa angerechnet – gesichert. Hinzu kommt ein monatliches Schuldgeld von 300 Euro. Voicu-Pohl arbeitet als Geschäftsführerin ehrenamtlich.
Sechs Schülerinnen werden an der „Neuen Akademie Der Darstellenden Künste“ in Gesang, Tanz und Schauspiel ausgebildet. Ein Jahr lang haben sie gezittert und gehofft, ihre angefangene Ausbildung fortsetzen zu dürfen. Mit Nebenjobs hielten sie sich in dieser Zeit über Wasser. „Die letzten Monate waren ein ständiges Auf und Ab“, berichtet Marina Schubert. „Selbst wenn wir aufgegeben haben, war Simone immer da. Ohne sie wären wir nicht hier“, sagt Ann-Kathrin Veit.
Die 23-Jährige hatte sich bereits bei einer Musicalschule im niederländischen Tilburg beworben, sogar eine Zusage bekommen – aber abgelehnt. „Ich habe von Anfang an gewusst, dass ich nach Norderstedt zurück muss, wenn es weitergeht“, sagt sie. Sieben ehemalige Copa-Musicalschüler haben die Aufnahmeprüfungen in Osnabrück, Tilburg, Wien und London bestanden und einen neuen Weg eingeschlagen. Die früheren Tanzpädagogikschüler beenden ihre Ausbildung bei der Ballettschule Musci in Norderstedt.
Neue Akademie nutzt Räume der Horst-Embacher-Schule
Die „Neue Akademie Der Darstellenden Künste“ nutzt vier Räume der leerstehenden Horst-Embacher-Schule am Aurikelstieg für ihren Unterricht. An diesem Ort hatte sich damals auch das Copa („Der Name steht nun auf dem Index für verbotene Wörter!“) eingemietet. Das hieß für die Stadtverwaltung aber nicht, dass sie auch der neuen Akademie diese Räumlichkeit zur Verfügung stellen würde. Denn eigentlich soll die alte Grundschule schon lange abgerissen werden. „Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich ziemlich enttäuscht war, wie wenig Unterstützung wir von Seiten der Politik bekommen haben“, sagt Voicu-Pohl. Nach ihrer Auffassung interessierte sich die Stadt viel zu wenig für das Schicksal der jungen Menschen.
Nachdem Simone Voicu-Pohl immer wieder um einen Termin bei der Stadt gebeten hatte, unerbittlich nachhakte, gab die Verwaltung im Juni doch noch die Zusage für die Räume. Gegen eine Gebühr darf die Musical-Akademie sie nun nutzen. Der Vertrag läuft bis Ende 2021 und enthält ein dreimonatiges Kündigungsrecht, falls der Abriss der Horst-Embacher-Schule doch im nächsten Jahr beginnen soll. Bei einer Kündigung würde das Norderstedter Tanzzentrum „Die 3“ einspringen.
Musicalbranche leidet unter Corona-Pandemie
„Die Schule ist eine Bereicherung für die Stadt Norderstedt und ganz Norddeutschland“, findet Simone Voicu-Pohl. Obwohl Hamburg nach New York und London die drittgrößte Musicalmetropole der Welt ist, gibt es im Norden lediglich private Schulen mit hohen Studiengebühren. Voicu-Pohl möchte in Zukunft noch mehr jungen Menschen eine gute Ausbildung im modernen Musiktheater ermöglichen – am liebsten komplett ohne Schulgeld.
Die Gründung der neuen Musicalschule zählt zu den wenigen positiven Geschichten, die während der Corona-Krise geschrieben wurden. Ausgerechnet in einer Branche, die mit am meisten um ihr Überleben kämpft. Nicht nur für die Schüler, sondern auch für die Dozenten ist die Existenz der Akademie ein Lichtblick. Musicaldarstellerin Anna Thorén sind während der Pandemie drei Produktionen weggebrochen. „Mein Job steht still. Das ist ein Horror für uns Künstler. Wir kennen nur das Leben, achtmal in der Woche auf der Bühne zu stehen“, sagt die 43-Jährige, die im Frühjahr noch im Musical „Mamma Mia“ in Berlin mitspielte. „Ich bin froh, dass ich hier unterrichten kann. Es ist ein Happy End für uns alle.“