Norderstedt/Hamburg. Die dreifache Paralympicssiegerin Kirsten Bruhn hat mit Norderstedter Volker Ernst an der ersten inklusiven Segel-WM auf der Alster teilgenommen.
Wenn Kirsten Bruhn im Segelboot sitzt, passt sich der Grad ihrer Aufregung der Windstärke an. „Je mehr Wind über das Wasser pfeift, desto aufgeregter bin ich.“ Dann müsse man schneller reagieren und sehr konzentriert sein. Am Dienstagmorgen vor den letzten Regatten der inklusiven Segel-Weltmeisterschaft war ihr Puls dementsprechend niedrig. Über die Hamburger Außenalster wehte nur eine leichte Brise, die Boote nahmen schwer an Fahrt auf. „Wir waren so langsam, da hätten uns die Enten anschubsen können“, scherzte Bruhn. Und dennoch: An der Weltpremiere der ersten Inklusions-WM im Segeln teilnehmen zu dürfen, war der 50-Jährigen eine Ehre. „Das ist ein Novum, das kann man sich gar nicht oft genug vor Augen halten. Ich bin sehr stolz, dabei gewesen zu sein.“
Die Stimmung beim Wettkampf war besonders und von großem Zusammenhalt geprägt. Menschen mit und ohne Behinderung segelten von Sonntag bis Dienstag in Zweier-Teams um den Sieg. Sie saßen in speziell angefertigten Inklusionsbooten vom Typ Far East SV 14. Diese können zwar zur Seite kippen, aber nicht kentern. Zudem können die Segler mit Gurten festgeschnallt werden. Die Handicaps der Teilnehmer hätten unterschiedlicher nicht sein können: Einigen fehlen Beine oder Arme, andere sind gehörlos oder kleinwüchsig, leiden an Multipler Sklerose oder kamen mit Down-Syndrom zur Welt.
Kirsten Bruhn ist seit ihrem 21. Lebensjahr auf einen Rollstuhl angewiesen. Als sie mit ihrem damaligen Freund Urlaub auf der griechischen Insel Kos machte, verletzte sie sich bei einem Motorradunfall schwer. Die niederschmetternde Diagnose, die ihr die Ärzte überbrachten: inkomplette Querschnittslähmung. Doch Bruhn, die schon immer leidenschaftliche Schwimmerin war, ließ sich nicht hängen. Durch ihren Ehrgeiz und ihre Lebensfreude wurde sie eines der bekanntesten Gesichter des Behindertensports. Dreimal erschwamm Bruhn Gold bei den Paralympischen Spielen. Sechsmal wurde sie Weltmeisterin, achtmal Europameisterin, 104-mal Deutsche Meisterin.
Bei der Inklusions-WM segelte Bruhn gemeinsam mit Volker Ernst. Der 66 Jahre alte Norderstedter ist zweiter Vorsitzender des Norddeutschen Regatta Vereins (NRV), der die Wettkämpfe ausgerichtet hat. Ernst ist dem Segelsport schon vor 50 Jahren verfallen, hat bereits den Atlantik überquert. Bruhn ist Segel-Neuling. Aber Wasser ist ihr Element. Das Duo trat Ende August zum ersten Mal beim Helgahard-Cup auf der Alster an – und wurde bei der inklusiven Regatta prompt Zweiter. „Wir haben uns eingegroovt“, sagte Ernst. „Volker hat so lange auf mich eingeredet, dass er mich nicht mehr los wird“, sagte Bruhn und lachte.
Bruhn und Ernst haben so viel Freude am gemeinsamen Segeln, dass sie beschlossen, sich für die WM anzumelden. Da der internationale Wettbewerb zum ersten Mal stattfand, musste man sich nicht qualifizieren. 17 Segel-Teams aus fünf verschiedenen Nationen reisten nach Hamburg an. Es gab noch mehr Anmeldungen, doch wegen der Corona-Krise mussten Sportler aus Israel, Dänemark oder den Niederlanden absagen. Weltklasse-Segler waren trotzdem dabei. Wie etwa Paralympics-Sieger Heiko Kröger, dem der linke Unterarm fehlt. Mit Clemens Kraus vom Wassersportverein Lausitzer Seenland gewann der 54-Jährige für seinen Heimatclub NRV die WM-Premiere. Bruhn und Ernst ersegelten sich den zwölften Platz. „Dass wir nicht auf dem Treppchen landen, war mir bei der Konkurrenz klar“, sagte Ernst. Für ihn war es eine spannende Erfahrung, gegen so viele Spitzensegler anzutreten. Kirsten Bruhn will definitiv weiter segeln, sich vielleicht sogar mal allein, ohne Ernst als Skipper, ins Boot wagen. „Mit jedem Mal auf dem Wasser sind mir die Dinge weniger fremd und ich bekomme ein Gefühl für den Wind.“
„Ich bin gerührt von den Geschichten, die wir hier erlebt haben“, sagte Sven Jürgensen, der sich beim NRV stark für den Behinderten-Bereich einsetzt. Jürgensen war es auch, der die WM nach Hamburg geholt hat. „Ich hoffe, dass die Veranstaltung andere Vereine inspiriert hat, sich auch zu engagieren.“ Sein Ziel ist es, die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr wieder auszutragen. „Wir wollen die Menschen zusammenbringen.“