Norderstedt. Die Corona-Pandemie hat den Zirkus schwer erwischt. Zum ersten Mal seit dem Lockdown gastieren die Schausteller wieder.
Die Anstrengungen der vergangenen Wochen sind Zirkusdirektor Jakob Quaiser und seiner Frau Sonja ins Gesicht geschrieben. „Es lässt sich nur schwer in Worte fassen, was wir durchgemacht haben“, sagen sie. Seit 50 Jahren dreht sich im Leben der Quaisers alles um ihren Zirkus. Sie betreiben ihn mittlerweile in der sechsten Generation.
Die Manege ist Lebensmittelpunkt und Existenzsicherung zugleich für die zehnköpfige Familie aus Wrist im Kreis Steinburg. Doch die Corona-Krise stellte das Leben, wie die Quaisers es bisher kannten, auf den Kopf. Die Akrobaten, die Kinder des Ehepaars, trainierten zwar weiterhin vier Stunden täglich. Doch wofür, das war ihnen nicht mehr klar. Auftritte waren keine in Sicht.
Zirkus in Not: Geschäft mit Schulen komplett eingebrochen
Seit gut 16 Jahren verdient der „Circus Quaiser“ sein Geld größtenteils mit Schulkooperationen. Die Schüler studieren mit professionellen Artisten Kunststücke und Showeinlagen ein und treten am Ende einer Projektwoche als Clowns oder Akrobaten in der Manege vor Eltern und Freunden auf. Nach nur zwei Schulprojekten in diesem Jahr kam der Lockdown. Das Geschäft ist den Quaisers komplett weggebrochen. Alle Schulen haben die Zusammenarbeit abgesagt. „Wir sind in ein Loch gefallen. Das war eine ganz schlimme Zeit. Wir wussten weder vor noch zurück und waren zu Hause wie gefangen“, sagt Jakob Quaiser.
Die Zirkusfamilie, die immer gut gewirtschaftet hatte, bangte plötzlich um ihre Existenz. Vom Staat hat sie lediglich 3000 Euro Corona-Soforthilfe erhalten, aus einem Fond für Schausteller in Schleswig-Holstein bekam sie weitere 1600 Euro. Eine Überbrückungshilfe wurde abgelehnt. 4600 Euro sind jedoch viel zu wenig, um über mehrere Monate eine zehnköpfige Familie zu ernähren.
„Also musste unsere Lebensversicherung dran glauben“, berichtet Sonja Quaiser. Dem Ehepaar blieb nichts anderes übrig, als sich ihre Altersvorsorge vorzeitig auszahlen zu lassen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Schließlich müssen gegen Ende des Jahres auch noch sämtliche Versicherungen bezahlt werden. „Da kommen locker um die 20.000 Euro zusammen“, sagen die Quaisers.
Vor einem Supermarkt in ihrer Heimatstadt Wrist haben sie gebrannte Mandeln und andere Süßigkeit verkauft, um sich selbst etwas zu essen leisten zu können. Von der schwachen Unterstützung des Staates ist die Zirkusfamilie bitter enttäuscht. „Wir haben immer unsere Steuern gezahlt, uns nie etwas zuschulden kommen lassen. Und nun lässt man uns so hängen“, sagt Sonja Quaiser.
Nach sieben Monaten Zwangspause eine erste Aufführung
Einen Lichtblick gibt es dennoch für die Quaisers. Anfang Oktober durften sie zum ersten Mal nach sieben Monaten Zwangspause wieder vor Publikum in ihrem Zirkus auftreten. Auf der großen Wiese an der Ulzburger Straße in Norderstedt ragt ein buntes Zelt in die Höhe, Lichter blinken im Dunkeln. So etwas haben die Norderstedter schon lange nicht mehr in ihrer Stadt gesehen. Bis Sonntag, 18. Oktober, gastiert der „Circus Quaiser“ noch hier. „Wir hatten Lampenfieber ohne Ende. Als hätten wir noch nie in der Manege gestanden“, sagt Jakob Quaiser über den ersten Auftritt nach der langen Pause. „Wir sind dankbar, dass die Stadt uns ein Gastspiel ermöglicht hat.“ Norderstedt hat erheblich weniger Gebühren als normal verlangt.
Der Zirkus lebt von März bis November von Schulprojekten in Norddeutschland. Während der Wintermonate treten die Artisten in anderen, größeren Zirkussen auf und verdienen dort ihr Geld. „Bis jetzt hat noch keine Schule für das nächste Jahr abgesagt“, sagt Sonja Quaiser und fügt noch ein „toi, toi, toi“ hinzu. Sollte die Pandemie allerdings andauern, wird der „Circus Quaiser“ wieder vermehrt eigene Vorstellungen anbieten. Bis jetzt treten die Quaisers lediglich einmal im Jahr für ein paar Wochen in den Sommerferien in Planten un Blomen in Hamburg auf. Dieses Jahr musste die Show auf der Freilichtbühne statt im Zirkuszelt stattfinden.
Abstandsregeln gelten auch im Zirkuszelt
Coronabedingt sind im Zelt derzeit nur 140 statt 400 Zuschauer erlaubt. Die Auslastung liegt im Schnitt bei 50 bis 70 Zuschauern. „Keiner muss mit einem schlechten Gewissen im Zirkus sitzen. Wir haben an alles gedacht, und das Gesundheitsamt hat unser Hygienekonzept abgesegnet“, betont Sonja Quaiser. In dieser Zeit, in der so viele schlechte Nachrichten auf die Menschen einprasseln würden, sei Zirkus umso wichtiger, um ein wenig Leichtigkeit zurückzugewinnen. „Man muss auch an die Kinder denken. Sie jubeln und lachen, wenn sie die Clowns sehen“, sagt Sonja Quaiser.
Das Geld, das die Zirkusfamilie jetzt in Norderstedt einnimmt, muss für den Winter reichen. Weitere Gastspiele in anderen Städten sind nicht geplant. Die Akrobaten werden trotzdem weitertrainieren. „Wir brauchen das. Wir sind durch und durch Artisten“, sagt Henry Quaiser (27), der bei seiner Show an einer Stange bis unter die Zirkuskuppel klettert und dort gefährliche Handstände wagt. „Es ist so schön, in der Manege zu stehen und den Applaus der Zuschauer zu hören“, sagt auch Luftakrobatin Celina Frank (21). Die Quaisers werden weiterkämpfen. Für sie ist ihr geliebter Zirkus jede Anstrengung wert.
„Circus Quaiser“ gastiert noch bis Sonntag, 18. Oktober, an der Ulzburger Straße 186 in Norderstedt. Die Vorstellungen sind von Mittwoch bis Freitag täglich um 16 Uhr, Sonnabend 14 und 17 Uhr sowie Sonntag 11 und 15 Uhr. Logenkarten können reserviert werden und sind zu 22 Euro für Erwachsene und 18 Euro für Kinder erhältlich. Karten für alle anderen Ränge gibt es an der Tageskasse zu 18 und 14 Euro. Mehr Infos unter Telefon 0171/24 13 139.