Tangstedt/Norderstedt. Das Alten- und Pflegeheim Haus Sommer in Tangstedt muss schließen. 30 betagte Senioren müssen nach Norderstedt umziehen.
Er saß gerade beim Frühstück, zwei Scheiben Graubrot mit Käse und einem Pott Kaffee, als er es zum ersten Mal hörte. Zuerst schien es nur ein Gerücht zu sein, Flurfunk. Etwas, das jemand aufgeschnappt hatte. Aber so richtig glauben, konnte er das nicht. Doch im Laufe des Vormittags wurde das Gerücht zum Fakt: Das Altenheim Tangstedt schließt zum 30 November, die Bewohner müssen ausziehen, die ersten schon ab dem 5. Oktober. 30 alte Menschen brauchen ein neues Zuhause. Auch Helmut Meier.
Herr Meier heißt eigentlich anders. Doch er möchte nicht, dass sein richtiger Name in der Zeitung steht, dass über ihn berichtet wird. Die Situation ist schwierig gerade, findet er. Helmut Meier ist erst vor ein paar Monaten in das Haus Sommer eingezogen, hat sich gerade eingelebt, ein paar Kontakte geschlossen.
Die langjährige Betreiberin wurde insolvent – ihr fehlten Fachkräfte für mehr Umsatz
Jetzt schon wieder von vorne anzufangen, in einem neuen Heim, mit neuen Pflegern, in einer neuen Umgebung, acht Kilometer von Tangstedt entfernt – davor hat er Angst. Sein ganzes Leben lang wohnt er schon hier im Dorf. Als er in ein Heim musste, hat er sich bewusst für das in Tangstedt entschieden. Hier wegzugehen, schien ihm undenkbar – damals. Jetzt hat er keine Wahl mehr. „Eine Fortführung des Betriebes des Alten- und Pflegeheims Haus Sommer ist leider unmöglich“, sagt Insolvenzverwalter Jens Hamdorf.
Seit die bisherige Betreiberin Monika Kundy am 23. Juli einen Insolvenzantrag stellen musste, ist er für die Geschäfte zuständig. Seitdem hat er sich intensiv bemüht, eine Lösung zur Rettung des finanziell angeschlagenen Hauses Sommer zu finden und einen neuen Betreiber gesucht. Ohne Erfolg. Niemand will das insolvente Haus übernehmen.
Das Problem: Der Betrieb ist auf etwa eineinhalb Jahre begrenzt. Denn das Alten- und Pflegeheim Sommer ist im Februar verkauft worden und soll abgerissen werden. Wie berichtet hat die Gesellschaft für Wohnkonzepte(GWK) aus Seelze in der Region Hannover das 3000 Quadratmetergroße Areal mit dem alten Gebäude aus den 1960er-Jahren erworben und plant dort einen großen Neubau. Die Zahl der Bettenplätze soll sich von derzeit zirka 40 auf 90 mehr als verdoppeln.
Für die Senioren ist der Umzug ein schwerer Schlag
Bisher war geplant, den Neubau in zwei Abschnitten zu errichten, damit die bisherigen Bewohner dort wohnen bleiben können. Für das neue Haus gibt es bereits einen Betreiber, die Fontiva Betriebs GmbH aus Potsdam. Diese wird den Betrieb jedoch erst nach dem Umbau übernehmen. Eine Fortführung des derzeitigen Betriebes sei für das Unternehmen nicht wirtschaftlich, heißt es.
„Ich habe den Eindruck, hier geht es nur noch um Geld und nicht mehr um die Menschen“, ärgert sich Henning Zabel, dessen Onkel ebenfalls von der Schließung betroffen ist und umziehen muss. Vor ein paar Tagen hat Zabel das Kündigungsschreiben bekommen. Sein Onkel soll, wie die meisten, in das Haus zum Steertpogg an der Ulzburger Straße in Norderstedt umziehen. Für Zabel eine Katastrophe: „Für jemanden wie meinen Onkel, der Tangstedt nie verlassen hat, ist Norderstedt eine Großstadt.“ Bisher hat ihn sein Onkel fast jeden Tag besucht. Den Weg von Tangstedt nach Wilstedt hat er alleine geschafft, mit dem Fahrrad. Ob das von Norderstedt aus auch klappen wird, vor allem in der Herbst- und Winterzeit? Zabel hofft es. Sehr.
Der Insolvenzverwalter versuchte alles, um den Umzug zu verhindern
Dass ein Alten- und Pflegeheim Insolvenz anmelden muss, ist keine Seltenheit. Dass es schließen muss schon. Nach Angaben der Heimaufsicht im Kreis Stormarn ist das erst der zweite Fall in den vergangenen drei Jahren.
Insolvenzverwalter Hamdorf hat sich in den letzten Jahren um viele zahlungsunfähige Senioren-Einrichtungen kümmern müssen. Fast alle davon konnte er retten. Dass der Rettungsversuch diesmal gescheitert ist, bedauert er sehr. „Ich wünschte, wir hätte eine andere Lösung gefunden und die alten Menschen könnten in ihrer gewohnten Umgebung bleiben“, so Hamdorf, der mehrmals das Gespräch mit dem neuen Eigentümer, der Gesellschaft für Wohnkonzepte, gesucht hat, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Ohne Erfolg.
Der künftige Investor bekam keine Pacht – also kündigte er
Inzwischen hat die GWK den Pachtvertrag mit dem Haus Sommer gekündigt. Fristlos. „Als wir die Immobilie gekauft haben, haben wir auch den laufenden Pachtvertrag übernommen. Da jedoch von Anfang an keine Pacht bezahlt wurde, haben wir jetzt keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als den Pachtvertrag zu kündigen“, sagt GWK-Geschäftsführer Torsten Schulz.
Es sei lediglich im Juli eine Einmalzahlung in Höhe von 5000 Euro geflossen. Den Grund dafür erklärt Insolvenzverwalter Hamdorf: „Da das Haus Sommer in der Vergangenheit wegen des Fachkräftemangels nicht genug Pflegekräfte hatte, konnten nicht alle Betten belegt werden – und wichtige Einnahmen fehlten.“ Infolgedessen sei die vorherige Betreiberin nicht in der Lage gewesen, die Pacht nach dem Verkauf an die GWK zu errichten.
Unterdessen wurde für alle 30 Bewohner aus Tangstedt ein neuer Heimplatz gefunden – etwa 90 Prozent werden wie Herr Meier im Haus zum Steertpogg in Norderstedt untergebracht, wo es genug freie Plätze gab.
Die Umbaupläne für das Haus Sommer liegen erst einmal auf Eis. Die für den Neubau nötige Änderung des Bebauungsplans konnte bisher nicht von den Kommunalpolitikern beschlossen werden. In der letzten Sitzung der Tangstedter Gemeindevertretung war es zu einem Patt gekommen.
Herr Meier hat bereits angefangen, seine Sachen zu packen.