Norderstedt. Die Taucher der DLRG sind immer in Bereitschaft für den Ernstfall. Dafür brauchen sie eine gute Ausbildung, starke Nerven und manchmal viel Mut.

Irgendwann musste es passieren, dessen ist sich Einsatztaucher Leif-Erik Finck immer bewusst gewesen. Der 13. August ist ein warmer Sommertag, das Naturbad Beckersberg in Henstedt-Ulzburg entsprechend gut besucht. Ein 14-jähriger Junge aus Norderstedt ist mit Freunden in dem öffentlichen Gewässer. Plötzlich verschwindet er. Der Nachmittag verläuft dramatisch, eine Rettungsschwimmerin sucht vergeblich, die alarmierten Taucher der DLRG gehen in den See.

Sie finden den Jugendlichen. Doch die Reanimation kommt zu spät, ein Notarzt kann nur noch den Tod feststellen. Knapp zwei Wochen später kommt die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis, das kein Fremdverschulden vorgelegen hat. Der Junge war Nichtschwimmer. „Ich hatte ein bisschen Angst vor dem ersten Mal“, sagt Finck. „Wir haben getan, was wir tun mussten.“ Henstedt-Ulzburg sei sein erster „scharfer Einsatz gewesen“, sagt Finck. Der 20 Jahre alte Student aus Kaltenkirchen gehört zum Tauch-Einsatzteam der DLRG. In der Region arbeiten hier die Gliederungen aus Kaltenkirchen, Norderstedt und Bad Bramstedt eng zusammen. Die Truppe wird gerufen, wenn Menschen in Gewässern vermisst werden.

Wenn Finck der Rookie ist, dann ist Hauke von Essen der Routinier. Das Tauchen begleitet ihn sein halbes Leben. „Früher war ich bereits Rettungsschwimmer. Das überschneidet sich. 1990 habe ich mit dem Tauchen angefangen, 1993 mit der Ausbildung. Damals hieß es noch Rettungstaucher.“ Damals ertrank ein Mensch im See des heutigen Freizeitparks Kaltenkirchen. „Wir haben die Person herausgeholt, hatten da schon die Sporttauchgruppe. Und haben uns dann überlegt, uns professioneller aufzustellen.“ Also sich fortzubilden, zu qualifizieren. Ab 1995 ist er Tauchlehrer, bildet schließlich bundesweit Anwärter aus.

Einsätze kommen am Wochenende – oder nachts

Wie oft er selbst im Einsatz war, kann er gar nicht mehr beziffern. Grundsätzlich verläuft die Alarmierung wie bei der Feuerwehr über die Leitstelle. In der Melde-App „Divera“ vermerkt man seine Verfügbarkeit. Kommt ein Notruf, gibt der Taucher an, in welchem Zeitraum er vor Ort sein könnte. Eine gesetzliche Hilfsfrist besteht indes nicht. „In 90 Prozent der Fälle sind die Einsätze an Wochenenden oder nachts.“ Im Naturbad Beckersberg waren die Taucher relativ schnell vor Ort, denn die Stammwache ist nur ein paar Kilometer weit entfernt in Kaltenkirchen. „Wir ziehen uns im Auto oder vor Ort um. Aber wir sollten nie hektisch sein.“ In Henstedt-Ulzburg begegnete von Essen beim ersten Tauchgang nur einem Wels, er bewegte sich dann an eine andere Stelle. „Ich bin zweimal hin und her, dann hatte ich ihn gefunden. Der Junge war 50 Minuten im Wasser.“

Der 53-Jährige, der beruflich Geschäftsführer eines Herstellers für Reinigungsmittel ist, spricht relativ nüchtern über den Tag. „Wir können unter Wasser nichts sehen, wissen nicht, was auf uns zukommt. Das ist nicht jedermanns Sache, da muss man herangeführt werden. Und man muss eine gewisse psychische Festigkeit haben, wenn man sich mit Armen und Beinen orientiert und dann plötzlich im Bruchteil einer Sekunde eine Person vor mir auftaucht.“

Leider habe er noch nie eine Person lebend aus dem Wasser retten können. „Das Leben zu retten, steht an erster Stelle. Aber mir ist wichtig, dass sich die Angehörigen verabschieden können. Nichts ist schlimmer als die Ungewissheit.“ Manchmal sei es aber so, dass Wasserleichen erst nach längerer Zeit zum Vorschein kommen. „Bei Flüssen ist es das Problem der Strömung. Selbst, wenn wir die mit Hilfe des Wasser-Schifffahrtsamts berechnen.“

Einsatztaucher Leif-Erik Finck (20) aus Kaltenkirchen.
Einsatztaucher Leif-Erik Finck (20) aus Kaltenkirchen. © Christopher Herbst | Christopher Herbst

Mindestens einmal pro Monat trainieren die Rettungstaucher – mal an der Schirnau in Kaltenkirchen, oder, wie an diesem Tag, im Norderstedter Stadtpark. Leif-Erik Finck ist unter Wasser, er kommuniziert über eine Telefonleitung mit den Kollegen über den Restdruck seiner Sauerstoffflaschen. Er atmet komprimierte Luft. Der Verbrauch variiert, erklärt Hauke von Essen. „Bei einem normalen Sporttaucher rechnet man mit 20 bis 25 Liter Verbrauch pro Minute. Bei einem Einsatz kann es vier- bis fünfmal so hoch sein durch die Geschwindigkeit, den Stress. Dadurch reduziert sich die Tauchzeit. Ich schaffe locker 2000 Liter in einer Viertelstunde.“

Zum Tagesgeschäft zählen auch Fernsehdrehs

Getaucht wird mit Vollgesichtsmaske, so bleibt die Luftzufuhr auch bei einem Unfall bestehen. „Wir müssen mindestens zehn Tauchgänge pro Jahr mit zusammen mindestens 300 Minuten nachweisen. Die Einsätze rechnet man mit.“ Das Tagesgeschäft seien aber Veranstaltungsabsicherungen, etwa bei der Norderstedter Sportwoche oder dem Drachenbootrennen, hin und wieder auch bei Fernsehdrehs am Wasser.

Manchmal ist eine stundenlange Suche auch auf einen Fehlalarm zurückzuführen. Das gab es Mitte August, wenige Tage nach dem Drama von Henstedt-Ulzburg, am Muggesfelder See bei Nehms. Drohnen, ein 3-D-Sonar, Suchhunde waren im Einsatz, nachdem am Strand Kleidungsstücke gefunden worden waren. „Wir haben versucht, alle Optionen auszuspielen. Und nach vier Stunden kam die Ehefrau: Mein Mann ist zuhause. Aber jeder Fehlalarm ist erfolgreich, denn es ist keiner untergegangen.“

Hauke von Essen (53) hat schon unzählige Einsätze bewältigt.
Hauke von Essen (53) hat schon unzählige Einsätze bewältigt. © Christopher Herbst | Christopher Herbst

Die zweijährige Ausbildung zum Rettungstaucher ist umfangreich: Rettungsschwimmer-Qualifikationen sind selbstverständlich, dazu ein Schnorcheltauchabzeichen, und dann die Hauptausbildung über zwei Jahre. Eine Altersobergrenze gibt es nicht, entscheidend ist die körperliche Fitness. Die Ausbildung ist ab 16 Jahren möglich, im Ernstfall eingesetzt werden dürfen aber nur Erwachsene. Auch wegen der mentalen Belastung.

Leif-Erik Finck hat das nun erstmals erlebt. In der Nachbesprechung hatte er keine Probleme. „Aber das könnte noch zuschlagen“, weiß er. Wer möchte, kann eine Psychosoziale Notfallversorgung erhalten. „Das geht auch privat, das muss man nicht kommunizieren“, sagt Hauke von Essen. „Es wird Leif sicher noch ein Leben lang verfolgen, dass er sich an die erste Person erinnern kann. Aber das meiste verdrängt man.“