Norderstedt. Hat Norderstedts Oberbürgermeisterin Christina Roeder der Politik brisante Prüfberichte über Unregelmäßigkeiten vorenthalten?

In dieser Affäre geht es um sehr leckeres Bier aus Norderstedt, Bargeld unbekannten Ursprungs, das angeblich im Tresor entdeckt wurde, irrtümliche Überweisungen in die Karibik und Rechnungsprüfer, die brisante Berichte verfasst haben, die kaum einer zu lesen bekam.

Die Hauptrollen in der Affäre haben Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder und der im Mai für die Öffentlichkeit überraschend abgetretene Geschäftsführer der Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH (MeNo), Rajas Thiele-Stechemesser, der Chef und Macher hinter der Erfolgsstory des städtischen Brauhauses Hopfenliebe, der „TriBühne“ und des Kulturwerkes am See.

Was an Informationen zu der Affäre bis heute öffentlich wurde, stammt aus gezielten Indiskretionen, anonym und hinter vorgehaltener Hand geäußert, allerdings von Personen, die mitten im Geschehen stehen und Kenntnis der Hintergründe haben. Offiziell sagen weder der zuständige Aufsichtsrat der MeNo, noch die Verwaltungsleiterin im Rathaus oder Ex-MeNo-Chef Thiele etwas dazu. Sven Boysen vom „Stadtmagazin“ veröffentlichte die brisanten Details am Donnerstag als Erster. Recherchen des Abendblattes ergaben deckungsgleiche Ergebnisse.

Doch von vorne: Als der beliebte und erfolgreiche Biersommelier und Hopfenliebe-Macher Rajas Thiele-Stechemesser im Mai nach 14 Jahren die MeNo-Geschäftsführung hinschmiss, war die Verwunderung groß. Er wolle neue Projekte entwickeln, gab Thiele-Stechemesser an. Oberbürgermeisterin Roeder wünschte alles Gute und dankte ihm für all seine tollen Ideen, die in der Stadt umgesetzt wurden.

Wie jetzt die Gerüchte besagen, soll dem MeNo-Chef der Abgang im zuständigen Aufsichtsrat auf Vorschlag der Vorsitzenden Roeder zumindest finanziell leicht gemacht worden sein: Man beschloss, den Vertrag des MeNo-Chefs zum Jahresende 2020 zu beenden. Trotz Abgang im Mai soll er also derzeit noch in Lohn und Brot stehen.

Bizarre Überweisung in die Karibik und Bargeld im Tresor

Was die Oberbürgermeisterin ihren Aufsichtsratskollegen – allesamt ehrenamtliche Laien der Kommunalpolitik – dabei vorenthalten haben soll, seien Berichte des Rechnungsprüfungsamtes, berichten Personen aus gut unterrichteten Kreisen. Dieses unabhängig arbeitende Amt im Rathaus nimmt das Geschäftsgebaren der Stadt und ihrer Gesellschaften unter die Lupe.

Und es soll dem Vernehmen nach bei der MeNo fündig geworden sein. Die Buchhaltung der städtischen Gesellschaft könnte zumindest mangelhaft gewesen sein. Die dünne Hinweislage lässt derzeit keine andere Einschätzung zu. Von Bargeld sei in den Prüfberichten angeblich die Rede, das im Tresor der MeNo gefunden wurde und bislang aus unbekannten Gründen noch nicht den Weg in die offizielle Buchhaltung gefunden habe. Von bizarren Fehlbuchungen in Höhe von 40.000 Euro auf ein Konto „in der Karibik“ wird gerüchtehalber berichtet.

Inwiefern aus dieser Gemengelage am Ende der Vorwurf der Steuerhinterziehung und Untreue erwachsen kann, ob Steuergeld vergeudet wurde und längst eine Steuerselbstanzeige der MeNo hätte ergehen müssen, ob also strafrechtliches Fehlverhalten vorliegt, ob bewusst oder unbewusst – all das muss eine juristische und transparente Aufarbeitung noch ergeben.

Im Aufsichtsrat soll das Vertrauen zur OB bröckeln

Zum jetzigen Zeitpunkt werten aber offenbar viele Aufsichtsratsmitglieder der MeNo die Prüfungsberichte als so schwerwiegend ein, dass sie ihre Entscheidung vom Mai gerne revidieren würden. „Wenn das bekannt gewesen wäre, hätte eine fristlose Kündigung in Betracht kommen müssen. Dann hätte Thiele-Stechemesser nur noch seinen Schreibtisch räumen dürfen“, sagt ein Mitglied des Aufsichtsrates. Stattdessen überweise die Stadt bis Ende 2020 Gehalt, angeblich jährlich ein Betrag in sechsstelliger Höhe.

Im Aufsichtsrat der MeNo sitzen neben der Oberbürgermeisterin derzeit die CDU-Stadtvertreter Gunnar Becker, Sabine Fahl und Peter Gloger, die SPD-Stadtvertreter Sybille Hahn und Emil Stender, Tobias Mährlein von der FDP, Christine Bilger von den Linken, die Grüne Kornelia Wangelin, Joachim Welk von der WiN und Christian Waldheim von der AfD. Dem Vernehmen nach haben bereits mindestens fünf Ratsmitglieder der Oberbürgermeisterin das Vertrauen entzogen.

Die Politik und Roeder können nicht mehr miteinander

Dass sich Kommunalpolitik und Roeder nicht mehr grün sind, das konnte jeder in der jüngsten Stadtvertretersitzung erleben, als die Verwaltung nur mit Ach und Krach und unter parteiübergreifender Schelte ihren Nachtragshaushalt durchbekam. Der Kernvorwurf: Die Verwaltung unterrichtet die Politik nur lückenhaft oder zu spät. Die Oberbürgermeisterin ignoriere die Politik als Gestalter in der kommunalen Selbstverwaltung und versuche stattdessen, ihre Agenda wenig transparent durchzudrücken.

Seinen Höhepunkt fand dieses Zerwürfnis am Montag, als CDU-Fraktionschef Peter Holle als Vorsitzender des Hauptausschusses die Sitzung beendete, ehe sie wirklich begonnen hatte. Grund: In der letzten Sitzung hatte man die Verwaltung laut Holle per Beschluss aufgefordert, alle Berichte des Rechnungsprüfungsamtes und die Aufsichtsratsprotokolle zur Causa MeNo vorzulegen – doch das unterblieb, und Holle brach die Sitzung als nicht form- und fristgerecht ab. „Ich wollte damit auch ein Zeichen setzen. Es kann so nicht weitergehen mit der Zusammenarbeit“, sagt Holle.

Andere Fraktionen begrüßten dieses Zeichen, Kritik bekommt Holle von der SPD. „Die CDU bemängelt in aller Regelmäßigkeit eine vermeintliche Intransparenz seitens der Oberbürgermeisterin“, sagt die SPD-Fraktionschefin Katrin Fedrowitz. In der Sitzung hätte ein Bericht Roeders zur Situation der MeNo angestanden, und das hätte zu jener geforderten Transparenz beigetragen. Der Ausschussvorsitzende habe aber keine Diskussion des Ausschusses über den Abbruch der Sitzung zugelassen, sagt Fedrowitz. „Auch eine juristische Stellungnahme der Verwaltung wurde seinerseits nicht zugelassen. So verhindert er aktiv die Arbeit der Kommunalpolitik.“

Roeder schweigt und verweist auf die rechtliche Situation

Roeder äußerte sich am Donnerstag nicht zu den Vorwürfen. Sie bezögen sich auf Vorgänge aus nicht öffentlichen Sitzungen des Hauptausschusses und des MeNo-Aufsichtsrates. Deswegen dürfe sie sich schon rein rechtlich dazu nicht äußern. Die Verwaltung hat aber angekündigt, das Vorgehen des Ausschussvorsitzenden Holle formal zu prüfen. Aus Sicht des Rathauses dürfe ein Teil eines Aufsichtsratsprotokolls der MeNo aus Gründen des Daten- und Personalrechts nicht öffentlich gemacht werden. Nach Auffassung der Verwaltung, darf weder die Oberbürgermeisterin noch ein Mitglied des Aufsichtsrates solche Unterlagen weitergeben.

Was die Verwaltung zurückhält, wurde nun in der Gerüchteküche aufgekocht. Der daraus entstandene Brei schmeckt so schlecht, dass sich angeblich unter den Stadtvertretern immer mehr finden, die über eine Abwahl der Oberbürgermeisterin nachdenken. Die Hopfenliebe-Affäre hat also das Potenzial, das Rathaus derart zu erschüttern, dass die Rathausspitze abbricht.