Henstedt-Ulzburg. Die 31 Jahre alte Henstedt-Ulzburgerin ist auf eine Stammzellspende angewiesen. Öffentliche Typisierungen sind aktuell nicht möglich.

Stress, Ärger und Frust verfliegen bei Anja, wenn sie auf dem Surfboard steht. Startbereit wartet es nahezu täglich festgezurrt auf dem Autodach, damit es möglichst schnell nach Feierabend aus der Hamburger City zum Oortenkatensee gehen kann. So war es auch am 30. Mai dieses Jahres. „Ich war gerade dabei, am Ufer den Neoprenanzug anzuziehen, als mein Handy klingelte“, erinnert sich die 31-Jährige. Ein Anruf ihres Hausarztes, der ihr ein paar Stunden zuvor Blut abgenommen hatte – vorsorglich, weil sich Anja so „maddelig“ fühlte. Seine Ansage war unmissverständlich: „Ihr Zustand ist lebensbedrohlich. Fahren Sie sofort in eine Klinik.“

Freunde begleiteten Anja ins UKE nach Eppendorf. Sie erhielt sofort eine Bluttransfusion. Nach einer Knochenmarkpunktion folgte die furchtbare Diagnose: Blutkrebs.

Anja wurde für zwei Monate in Einzelzimmer isoliert

„Ich hatte anfangs an ein Magengeschwür gedacht, aber das hier war so unwirklich. Ich wollte nur weg – nach Hause“, erzählt die Henstedt-Ulzburgerin. Doch das war aufgrund der dramatisch schlechten Blutwerte unmöglich. Die junge Frau wurde für zwei Monate in einem Einzelzimmer isoliert. Keine Besuche, kein Ausgang. „Ich wurde praktisch weggesperrt“, sagt Anja, „nichts war wie vorher.“ In den kommenden Wochen erhielt sie fünf Chemotherapien, 15 Bluttransfusionen, drei Knochenmarkpunktionen und die Gewissheit, dass sie einen Stammzellspender braucht, um die heimtückische Krankheit überleben zu können. Wie bei Anja wird weltweit alle 35 Sekunden bei einem Menschen Blutkrebs diagnostiziert, in Deutschland alle 15 Minuten.

Die schlanke Blondine ist optimistisch – auch als klar ist, dass die Familienmitglieder nicht als Spender infrage kommen, weil ihre genetischen Merkmale nicht zu denen von Anja passen. Enttäuschung, Ärger und Frust sind groß, doch Aufgeben ist keine Option. „Das ist meine Welle des Lebens, auf der ich nun surfe“, gibt sich die passionierte Wassersportlerin kämpferisch.

Mit Familie und Freunden setzt sie alle Hebel in Bewegung, um ihren genetischen Zwilling, ihren Lebensretter, zu finden, ohne den ihr höchstens noch zwei Jahre bleiben. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) wurden im weiten Umkreis von Henstedt-Ulzburg, Norderstedt und Hamburg Hunderte Plakate geklebt und Tausende Flugblätter verteilt. Auch Social-Media-Kanäle wie „Anja Will Leben“ bei Facebook und „Leuko_Fighting“ bei Instagram sollen helfen, möglichst viele Menschen für eine unbürokratische Registrierung zu gewinnen.

Sogar im Fahrgast-TV der Hamburger Hochbahn, Anjas Arbeitgeber seit neun Jahren, läuft der visualisierte Aufruf. „Bei so einem Schicksalsschlag zählt jede Unterstützung. Da stellte sich nicht die Frage ob, sondern wo und wie schnell wir agieren – im Mitarbeiterportal, auf unserer Website, im Blog, auf Social Media. Wenn es um das Leben einer Kollegin geht, zieht die Hochbahn-Familie an einem Strang“, betont Hochbahn-Sprecherin Constanze Dinse.

Öffentliche Typisierungen finden zurzeit nicht statt

Die üblichen öffentlichen Typisierungen können in Corona-Zeiten nicht stattfinden. Stattdessen setzt die DKMS auf Online-Registrierung und Do-it-yourself-Test für einen einfachen Wangenabstrich zu Hause (siehe Info-Kasten unten).

Auch wenn es buchstäblich die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist, ist Anja zuversichtlich, zumal sie alle Therapien bisher erstaunlich gut vertragen hat – sogar die langen, blonden Haare sind nicht ausgefallen. Seit Anfang der Woche ist sie wieder im UKA – auf unbestimmte Zeit. Besuche sind weiterhin tabu, Kontakt gibt es nur online und per Handy. „Immerhin habe ich auf Wunsch ein Ergometer ins Zimmer bekommen, auf dem ich mich fit halten kann. Ich bin glücklich, dass es mir noch so gut geht, dass ich die Kraft habe, die ganze Aktion zu machen. Ich weiß, dass andere Patienten es nicht können, weil sie und ihre Familien zu schwach sind. Und Kinder erst recht nicht, die auch auf eine Stammzellenspende warten. Es ist nicht leicht, nach so einem Schicksalsschlag an die Öffentlichkeit zu gehen, aber ich gebe alles, mein Projekt mit Erfolg umzusetzen: das Leben zu finden“, sagt die willensstarke Henstedt-Ulzburgerin.

Schließlich hat sie mit Anfang 30 noch viel vor: eine Familie gründen, Kinder haben, ein Häuschen und Garten mit Platz für Blumen und Wildbienen, das Imkern lernen, Reisen zu den Naturschönheiten Madagaskars und in den Schmelztiegel Singapur – und an erster Stelle möchte sie ihr bislang sorgloses Leben zurück – und einfach wieder surfen gehen.

So registrieren Sie sich bei der DKMS

Die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) wurde im Jahr 1991 in Tübingen gegründet und ist eine internationale gemeinnützige Organisation, die sich dem Kampf gegen Blutkrebs verschrieben hat.

Ihr Ziel ist, möglichst vielen Patientinnen und Patienten mit lebensrettenden Stammzelltransplantationen eine zweite Lebenschance zu ermöglichen.

Außer in Deutschland ist die DKMS in den USA, Polen, Großbritannien, Chile und Indien aktiv. Insgesamt sind mehr als 10,2 Millionen Lebensspender registriert – darunter in Deutschland 6,7 Millionen.

Bisher wurden erfolgreich 87.244 Stammzellspenden vermittelt– etwa 75 Prozent der DKMS-Stammzelltransporte gehen derzeit von Deutschland aus.

Potenzielle Spender müssen zwischen 17 und 55 Jahre alt sein und dürfen keine chronische Krankheit haben. Nach der Online-Registrierung unter www.dkms.de wird ein Test-Set mit Wattestäbchen zugeschickt, mit denen ein Abstrich von der Wangenschleimhaut genommen wird. Daraus werden im Labor die Gewebemerkmale analysiert. Die Daten werden pseudonymisiert an das Zentrale Knochenmarkspender-Register in Ulm übermittelt und stehen weltweit für Patientenanfragen zur Verfügung.

Eine Stammzellspende erfolgt in 80 Prozent der Fälle ambulant in Form der peripheren Blutentnahme und nur zu 20 Prozent unter Narkose über eine Knochenmarkentnahme aus dem Beckenkamm.

Infos auf www.dkms.de/ein-leben-fuer-anja