Kreis Segeberg. Vier Männer und eine Frau haben sich bei der SPD für den Wahlkreis Segeberg-Stormarn-Mitte beworben. Eine Kandidatur überrascht.
Jens Kahlsdorf? Jens Kahlsdorf! Er ist die vielleicht größte Überraschung im Wahltableau der Kreis-SPD für die Findung eines Kandidaten oder einer Kandidatin, der oder die von den Genossen im kommenden Jahr ins Rennen um das Bundestagsmandat im Wahlkreis 008 Segeberg-Stormarn-Mitte geschickt wird.
Kahlsdorf, ehemaliger CDU-Stadtvertreter, ist jetzt Genosse. Er trat im Januar in die SPD ein, wie er in seiner Bewerbung schreibt. „Ich tat das ganz bewusst, weil ich ein Zeichen setzen will, dass die ehemals großen Volksparteien auch heute eine Daseinsberechtigung haben und ich einer etwaigen Entwicklung wie in der Weimarer Republik vor 100 Jahren aktiv entgegentreten möchte.“
Ein ehemaliger CDU-Mann und Oberbürgermeisterkandidat
Der 60-jährige Industriekaufmann und Werbeagenturbetreiber saß mal für die CDU im Norderstedter Stadtparlament, ehe er sich 2003 mit den Parteikollegen verkrachte, die ihn daraufhin politisch kalt stellten. Kahlsdorf trat aus der CDU aus und machte zwischen 2003 und 2008 als parteiloser Stadtvertreter weiter Politik. Zuletzt hatte er 2017 erfolglos versucht, Oberbürgermeister in Norderstedt zu werden. Nun will der Gründer des Alster Business Clubs, eines laut Kahlsdorf „branchen-übergreifenden Wirtschaftsnetzwerks aus derzeit rund 1150 Unternehmern, Managern und Führungskräften aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik“ für die Genossen im Bundestag und an der Seite von Ralf Stegner für das bedingungslose Grundeinkommen streiten. Damit hofft er sogar Stimmen aus dem „unternehmerischen Lager“ wieder zurückzugewinnen für die SPD. „Da viele gerade jetzt durch die Corona-Pandemie bemerkt haben, dass sie, wenn ihr Geschäft nicht läuft, im D-Zug-Tempo direkt zu Hartz IV durchgereicht werden, obwohl sie jahrzehntelang Sozialabgaben gezahlt haben.“
Kahlsdorf stößt im Bewerberfeld auf weitere drei Männer und nur eine Frau. Obwohl also der Gender-Proporz bei der Kandidatenkür unerfüllt bleibt, zeigt sich die SPD-Kreisvorsitzende zufrieden: „Das ist ein interessantes Spektrum an Persönlichkeiten und wir haben eine echte Auswahl“, sagt Katrin Fedrowitz. Bis zum 2. August waren alle Mitglieder im Wahlkreis, der den größten Teil des Kreises Segeberg und etwa die Hälfte Stormarns umfasst, aufgefordert, ihren Hut in den Ring zu werfen. „Wir haben landesweit ein transparentes Verfahren vereinbart, das gleiche Chancen für alle gewährleistet“, sagt Stormarns SPD-Kreisvorsitzender Tobias von Pein. Die Bewerberin und die Bewerber haben jetzt zwölf Wochen Zeit, um für sich und ihr politisches Programm zu werben.
Mit Tobias Schloo geht neben Kahlsdorf der zweite Norderstedter ins Rennen. Er hatte als erster seine Ambitionen auf die Bundestagskandidatur erklärt (wir berichteten). Der 27-jährige Betriebswirt kann auf politische Erfahrungen als Stadtvertreter in seiner Heimatstadt verweisen. Er ist als Genosse aufgewachsen, mit 16 Jahren Mitglied geworden und engagiert sich seither in seinem Norderstedter Ortsverein. Mit Themen wie dem schnellen Netzausbau bis aufs platte Land und dem Grundrecht auf bezahlbaren Wohnraum möchte er die Genossen von sich überzeugen. „Gemeinsam mit euch möchte ich dafür sorgen, dass der Wahlkreis Segeberg-Stormarn-Mitte, der seit dem Abschied von Franz Thönnes ohne Vertretung der SPD ist, wieder sozialdemokratisch in Berlin vertreten wird“, schreibt er.
Ein Unternehmer, der für die Gerechtigkeit kämpfen will
Mitbewerber Tobias Weil aus Ellerau gehört mit 48 Jahren einer anderen Generation an. Der selbstständige Kaufmann ist Inhaber und Geschäftsführer einer Firma für Fotozubehör und Immobilienmakler. Lange war der gebürtige Gießener CDU-Mitglied. Doch 2018 trat er in die SPD ein und engagierte sich im Ellerauer Ortsverein in der Kommunalpolitik. Als Unternehmer habe er zur SPD gefunden, weil „die SPD anders als andere Parteien nicht primär und ausschließlich das Wohl der globalen Konzerne im Blick“ habe und sich „am Wohle vieler“ orientiere. Herzensthema für ihn ist die Gerechtigkeit, das „Recht auf Arbeit zum Wohl des Einzelnen und der Gemeinschaft“. Weil will das Leben und Arbeiten der Menschen verbessern und den Entstehungsgründen für soziale Spaltungen, unfairen Arbeitsmarktstrukturen und Ungerechtigkeiten in der Entlohnung sowie im Steuersystem entgegenwirken. „Das treibt mich an!“
Miriam Huppermann ist die einzige Frau im Bewerberkreis. Die 35-Jährige arbeitet freiberuflich als Dozentin für private Sicherheitskräfte. Sie ist Co-Vorsitzende des SPD-Ortsvereins in der Kreisstadt Bad Oldesloe und gebürtige Henstedt-Ulzburgerin. In Berlin würde sie sich der Inneren Sicherheit widmen. „Es gilt Ziele festzulegen, beispielsweise wie viel Privatisierung wir in dem Bereich der Sicherheit wollen, wie die Ausbildungsanforderungen aussehen, aber auch welche Aufgaben wir an Sicherheitskräfte stellen“, schreibt sie in ihrer Bewerbung. Für sie ist das Thema eng verknüpft mit dem Begriff Freiheit. „Ohne einen sicheren Raum kann Freiheit nicht von Bestand sein – egal ob Meinungsäußerung oder Handlungsfreiheit, auch das ist Teil sozialer Gerechtigkeit.“
Ebenso wie Kahlsdorf hat sich auch der dritte Norderstedter im Bewerberfeld erst ganz kurz vor dem Ende der Bewerbungsfrist gemeldet: Bengt Bergt ist freigestellter Betriebsratsvorsitzender eines Windenergieunternehmens. Der 38-Jährige wurde in Luckenwalde geboren, lebt seit 2018 in Norderstedt. Er sei ein „wehrhafter Sozialdemokrat mit tiefverwurzelter antifaschistischer Einstellung“, der als Arbeitnehmervertreter mit Führungsverantwortung
und Gewerkschafter ein Verfechter von Diplomatie und Einigung ist, der aber den Kampf nicht scheue. „Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich als recht neu Zugezogener nicht die optimalen Voraussetzungen mitbringe und eher Außenseiter bin“, schreibt Bergt. „Was ich aber bieten kann sind Herzblut, Präsenz, demokratisches Verständnis und Engagement – auch aus meiner Historie heraus, in einem Landesteil aufgewachsen zu sein, der erst eine junge demokratische Geschichte hat und noch immer mit viel Druck von rechts kämpft.“
Corona verlegt den Wahlkampf in den virtuellen Raum
Die Genossen haben also in der Tat ein vielfältiges Angebot an Profilen und müssen nun entscheiden, welches davon am ehesten geeignet ist, um den Amtsinhaber, den langgedienten CDU-Bundestagsabgeordneten Gero Storjohann aus Seth, herauszufordern. Die Corona-Krise bringt dabei erhebliche Einschränkungen für das weitere Auswahlverfahren mit sich. „Auf die üblichen Vorstellungsrunden müssen wir leider verzichten“, bedauert Katrin Fedrowitz. Dafür wird es drei Videokonferenzen geben, auf denen sich die Bewerberin und die Bewerber den kritischen Fragen aus dem Kreis der SPD-Mitglieder stellen müssen. Die Entscheidung, welcher Name im Herbst 2021 für die SPD auf dem Stimmzettel steht, wird allerdings ganz traditionell von einer Delegiertenversammlung getroffen. Das ist vom Wahlgesetz so vorgeschrieben.