Norderstedt. Die Autorin Christa Heise-Batt hat die Norderstedter Kulturszene mitgeprägt – aber das ist nur eine Episode ihre aufregenden Lebens.

In Christa Heise-Batts Arbeitszimmer findet man an den Wänden kaum noch einen freien Fleck. Die Tapete ist gepflastert mit Plakaten von Lesungen, die sie im Laufe ihres Lebens gehalten hat. Und das waren so einige. „Mindestens 150 Stück“, schätzt sie und zählt ein paar Orte auf. Unter anderem hat die 83-Jährige schon im Ohnsorg-Theater und bei der Toepfer-Stiftung gelesen. Natürlich auf Plattdeutsch, ihrer geliebten Kindersprache.

In dieser verfasste sie auch ihre Bücher. Heise-Batt wuchs auf dem platten Land in Dithmarschen auf. Später zog es sie in die weite Welt hinaus, dann nach Norderstedt. Wenn sie sich jetzt so umblickt in ihrem heimischen Büro, all die Erinnerungen an den Wänden betrachtet, dann spürt sie eine tiefe Dankbarkeit: „Ist das nicht ein reiches Leben?“

Als 6-Jährige hatte sie bereits den „Faust“ verschlungen

Als Kind war Heise-Batt eine Außenseiterin, weil sie anders war als die anderen. Mit neun Monaten konnte sie bereits laufen und sprechen, mit vier Jahren hatte sie sich das Lesen selbst beigebracht. „Ich saß immer bei Papa auf dem Schoß, wenn er die Zeitung gelesen hat. Und auf einmal konnte ich auch lesen“, erzählt sie. Als das Mädchen mit sechs Jahren in die Schule kam, hatte es bereits „Faust“ von Goethe verschlungen.

Doch anders zu sein, bedeutete während ihrer Kindheit, zu Zeiten des Nationalsozialismus, nichts Gutes. Die „kleine Heise“ war Linkshänderin. Um ihr diese Unart auszutreiben, band ein Lehrer ihre linke Hand am Tischbein fest, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als mit Rechts zu schreiben. „Das war eine schlimme Zeit“, sagt Heise-Batt. Bis heute schreibt sie mit der rechten Hand.

Nach der Schule studierte sie Spanisch, Französisch und Englisch in Hamburg. Plattdeutsch sprach sie nicht mehr, das war in der Stadt verpönt. Heise-Batt fing in einer Exportfirma an der Langen Reihe an zu arbeiten und reiste mit 25 Jahren zum ersten Mal als Fremdsprachenkorrespondentin nach Südamerika. Was heute für eine junge Frau nichts Ungewöhnliches mehr ist, erforderte 1962 großen Mut. Und davon hatte die Exportkauffrau jede Menge. Ursprünglich sollte sie die Reise nach Übersee zusammen mit ihrem Chef antreten. Doch dieser wurde herzkrank. „Wissen Sie was“, sagte Heise-Batt dann zu ihm, „ich kann auch alleine fliegen.“ Ohne sich noch einmal umzudrehen, stieg sie als einzige Frau in den Flieger nach Amerika.

Sie wollte raus aus dem Dorf und die Welt entdecken

„Von Lütt an wusste ich genau, was ich will“, sagt Heise-Batt. Sie wollte raus aus Wohlde, dem kleinen Dorf, in dem sie alles und jeden kannte. Sie wollte studieren. Die Welt entdecken. „Ich komme aus einer Seefahrerfamilie“, begründet sie ihren Drang in die Ferne. Jeweils für fünf Monate schickte ihre Firma sie in einem Zeitraum von 17 Jahren immer wieder durch Mittel- und Südamerika, um sich dort mit Vertretern zu treffen und Arzneimittel zu verkaufen. Sie blieb nie länger als zwei Wochen an einem Ort. Sie bereiste Argentinien, Brasilien, Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Nicaragua. Damals gefährliche Länder. „Was wichtig für mein ganzes Leben war: Ich hatte nie Angst“, sagt Heise-Batt. Und das strahle man aus. So einige Male ist sie dem Tod nur knapp entkommen. In Kap Hoorn, im Süden Chiles, erwischte sie während des Putsches gegen Präsident Salvador Allende den letzten Flieger und flüchtete nach Bolivien. „Von da aus konnte ich telefonieren und Bescheid sagen, dass ich noch am Leben war“, erzählt Heise-Batt. Als ein Erdbeben Managua in Nicaragua auslöschte, gelang ihr ebenfalls die Rettung in letzter Sekunde mit dem Flugzeug. „Ich weiß noch, wie der Kapitän damals durchsagte: ‚Wir haben großes Glück, wir sind der letzte Flieger, der Managua verlassen hat – die Stadt gibt es nicht mehr.‘“

Einmal wurde es ihr zumindest ein wenig mulmig zumute. Da schmiss sie ein Taxifahrer auf dem Weg nach Santa Ana in El Salvador mitten in einer Kaffeeplantage aus dem Auto, weil er mehr Geld haben wollte. Was solle sie denn jetzt bloß machen, dachte sie damals. „Aber es nützte ja nichts, wenn ich geheult hätte.“ Also zog Heise-Batt ihre Schuhe aus und marschierte barfuß zu einem Bauernhaus, das sie während der Fahrt entdeckt hatte. Nach einer Stunde kam sie an. Die Bewohner versorgten die Fremde mit Wasser und brachten sie auf einem Ochsenwagen nach Santa Ana. „Auf der vierstündigen Fahrt sang ich plattdeutsche Lieder“, erinnert sich Heise-Batt und beginnt zu singen. „Die Menschen waren so herzlich.“

Wenn es etwas gibt, dass die Norderstedterin auf ihren Reisen gelernt hat, dann ist es Toleranz. „Gegenüber anderen Hautfarben, Religionen oder Kulturen. Das hilft mir heute ganz besonders. Ich erinnere mich immer daran, wie mich die Menschen in Mittel- und Südamerika als Fremdling behandelt haben.“ Auf ihren Reisen hat sie auch zurück zur niederdeutschen Sprache gefunden. Als ihr in Chile der Blinddarm herausoperiert wurde, schnackte sie während des Aufwachens plötzlich wieder Platt. „Ich musste erst auf die andere Seite der Erde fahren, um zu lernen, wo meine Wurzeln sind.“ Von da an genierte sie sich nicht mehr, ihre Kindersprache zu sprechen.

Im Gegenteil. Sie begann sogar auf Plattdeutsch zu schreiben. Heise-Batts erstes Buch „Dörch de Johrestieden“ erschien 1989. Sie gründete die Plattdütsche Bühn in Tangstedt, entdeckte ihre Leidenschaft zum Theaterspielen. Durch ihren Nachbarn Ernst Bader lernte sie Persönlichkeiten wie Charles Aznavour, Freddy Quinn und Nana Mouskouri kennen. Sie hielt nicht nur Lesungen im Ohnsorg-Theater, sondern vor allem in Norderstedts Stadtbüchereien und Kirchen. Sie las für Senioren, Todkranke und Schüler. Christa Heise-Batt hat die Kulturszene in Norderstedt, ihrer Heimat seit 1965, maßgeblich geprägt.

Seit 35 Jahren engagiert sie sich im Vorstand des literarischen Kabaretts „Die Wendeltreppe“. Die Autorin setzt sich für so viele Projekte ehrenamtlich ein, dass sie minutenlang brauchen würde, um sie alle aufzuzählen. Für ihr Engagement bekam Heise-Batt von der Stadt Norderstedt 1997 den ersten Kulturpreis verliehen. „Ich habe damals angefangen zu weinen“, weiß sie noch. Es folgte der Borsla-Preis für niederdeutsche Sprache und Literatur. Von der Stadt Hamburg erhielt sie 2015 die Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes. „Meine Mutter hat früher mit mir und meiner Schwester die Menschen im Dorf besucht, denen es nicht so gut ging. Wir haben ihnen Suppe gebracht und ihnen vorgesungen. Für uns war das völlig normal.“ Nicht immer nur gab es Hochphasen in Heise-Batts Leben. Gleich mehrmals erkrankte sie an Krebs. „Die Ärzte sagten zu mir: Wenn ich nicht so fröhlich und optimistisch wäre, wäre ich nicht mehr hier.“ Aber das ist sie. Und wie. Sie liebt es nach wie vor unter Menschen zu sein. Ihnen vorzulesen. Sie hofft, dass sie es noch lange kann. Ihre Makula im Auge ist unheilbar beschädigt. Links kann sie nur noch Hell und Dunkel voneinander unterscheiden. Rechts hat sie gerade ihre 35. Spritze ins Auge bekommen, um ihre Sehkraft so lange wie möglich zu erhalten. „Ich darf gar nicht daran denken, wenn ich nicht mehr lesen könnte.“

Stattdessen denkt sie als Optimistin lieber über ihr hochinteressantes Leben nach. „Hier ist alles gespeichert“, sagt Heise-Batt und zeigt auf ihren Kopf. „Ich danke jeden Abend dem lieben Gott.“

Seit 65 in Norderstedt Persönlichkeiten lernte sie kennen Ich bin so dankbar. Ich danke jeden Abend Gott.