Norderstedt. Die dreifache Paralympicssiegerin Kirsten Bruhn geht Ende August mit Volker Ernst aus Norderstedt beim Helgahard-Cup an den Start.
„Das Boot ist sicher!“, sagt Volker Ernst, als er den skeptischen Blick von Kirsten Bruhn sieht. „Das haben sie bei der Titanic auch gedacht“, entgegnet sie und lacht. Die 50-Jährige fährt mit ihrem Rollstuhl an die Kante des Bootstegs. Hinter ihr liegt das Clubhaus des Norddeutschen Regatta Vereins (NRV), vor ihr die wunderschöne Weite der Alster. „Uns kann nichts passieren. Ansonsten kannst du ja schwimmen“, sagt Ernst. Dann klettert Bruhn aus ihrem Rollstuhl und setzt sich auf den vorderen Platz im Boot. „Alles klar!“, ruft sie und die beiden segeln davon.
Der 66 Jahre alte Volker Ernst aus Norderstedt startet gemeinsam mit Kirsten Bruhn, der dreifachen Paralympicssiegerin im Schwimmen, beim diesjährigen Helgahard-Cup vom 21. bis zum 23. August. Zum allerersten Mal wird es bei einem Segelwettbewerb auf einer Bahn auch eine inklusive Regatta geben. Eine gehandicapte Person segelt mit einer ohne Handicap im Mixed. „Wir finden es ganz normal, dass Leute mit einer Einschränkung am gesellschaftlichen Leben teilhaben können“, sagt Ernst, der selbst eine Tochter (30) mit Behinderung hat.
Bruhn und Peters trainieren das erste Mal zusammen. Die Schwimmerin ist zuvor in ihrem Leben erst einmal gesegelt. Und daran hat sie keine guten Erinnerungen. „Vor vier Jahren hatte ich einen Unfall auf dem Wasser“, erzählt sie. Auf dem Einfelder See bei Neumünster nahm ein anderes Segelboot ihrem die Vorfahrt. Es geriet in Schräglage und der eigene Skipper fiel auf sie drauf. „Ich hatte extreme Hämatome.“
Doch mit Volker Ernst hat Bruhn einen erfahrenen Segler an ihrer Seite. „Ich segle schon seit 50 Jahren“, erzählt der zweite Vorsitzende des NRV. Sogar den Atlantik hat er schon überquert.
Komplett reibungslos läuft das erste Training aber nicht ab. Auch Ernst saß noch nie zuvor in einem der speziell für das Inklusionssegeln konzipierten Boote vom Typ Far East SV 14. Dabei handelt es sich um einen sehr stabilen Zweisitzer. Dem NRV gehören sechs Stück dieser Sorte. Sie sind gerade erst in Hamburg eingetroffen. Eines kostet 8900 Euro. „Das Boot ist schwierig zu steuern. Manchmal fährt es einfach hin, wo es will“, sagt Ernst. Aber seine Partnerin mache sich gut. „Kirsten versteht schnell, an welchem Seil sie ziehen muss. Wir bekommen das gut hin.“
Kirsten Bruhn stellte 65 Welt- und 76 Europarekorde auf
Das Duo tritt beim Helgahard-Cup schließlich nicht nur an, um Spaß zu haben. Am liebsten will es gewinnen. „Für heute bin ich zufrieden und dankbar. Aber ich bin sehr ehrgeizig und möchte Volker nicht enttäuschen“, sagt Bruhn, die mit Ernsts Ehefrau befreundet ist. „Es geht immer um Leben und Tod“, scherzt dieser. Gegen bis zu zehn inklusive Teams werden die gebürtige Eutinerin und der Norderstedter Ende August antreten. Segler aus Israel und Italien mussten wegen der Corona-Pandemie ihre Teilnahme bereits absagen.
Auf dem Wasser zu sein, bedeutet für Bruhn „Freiheit und Glückseligkeit“, wie sie sagt. Wasser war schon immer ihr Element. Im Alter von zehn Jahren begann sie mit dem Leistungsschwimmen. Schwimmhallen wurden zu ihrem zweiten Zuhause. Als Bruhn jedoch 1991 mit ihrem damaligen Freund Urlaub auf der griechischen Insel Kos machte, geriet ihre Welt aus den Fugen. Bei einem Motorradunfall verletzte sich die damals 21-Jährige schwer. Die niederschmetternde Diagnose: inkomplette Querschnittslähmung. Sie konnte ihre Beine nicht mehr bewegen, ist seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen. Doch ihr geliebtes Schwimmen wollte sie einfach nicht aufgeben – und fasste den Mut, sich wieder zu Wettkämpfen anzumelden. Nur halt für Menschen mit Behinderung.
Bruhn legte eine beeindruckende Karriere hin. Sie wurde zu einem der bekanntesten Gesichter des Behindertensports. Sie wurde 3-malige Paralympicssiegerin, 6-malige Weltmeisterin, 8-malige Europameisterin, 104-malige Deutsche Meisterin und stellte 65 Welt- und 76 Europarekorde auf.
Der NRV, einer der ältesten Segelvereine Deutschlands, ist sehr engagiert, um die Inklusion im Segelsport voranzutreiben. „Wir haben schon lange Segler mit Behinderung in unserem Verein, wie beispielsweise Paralympicssieger Heiko Kröger“, sagt Sven Jürgensen, der sich beim NRV diesem wichtigen Thema angenommen hat. „Außerdem gibt es bei uns viele Senioren mit Handicap, die mit zunehmendem Alter schlechter sehen können oder an Rollatoren gehen müssen. Sie wollen trotzdem am Segelleben teilhaben.“ Und das möchte der Club ihnen weiter ermöglichen.
Nicht nur behindertengerechte Boote hat der Segelverein angeschafft, er will auch noch seinen Steg, den Hafen und das Clubhaus barrierefrei umbauen. Zudem braucht er zusätzliche Sicherheitsboote. Das Gesamtvolumen des Inklusionsprojektes liegt bei knapp 736.000 Euro. Es wird nicht nur von Sponsoren unterstützt, sondern auch von der Hamburgischen Bürgerschaft.
Und der Aufwand lohnt sich: Jürgensen und der NRV haben es geschafft, die weltweit erste inklusive Segelweltmeisterschaft nach Hamburg zu holen. Sie soll vom 11. bis zum 13. Oktober auf der Alster stattfinden. „Das ist eine historische Chance. So etwas hat es noch nie gegeben“, schwärmt Jürgensen.
Nach ihrem ersten Segeltraining klatschen Bruhn und Ernst ab und strahlen. „Man muss seine Ängste nur überwinden und etwas Neues ausprobieren“, sagt Bruhn. „Ich war zwar angespannt, aber trotzdem konnte ich es genießen.“