Bad Bramstedt. Die Nachbarn des Schlachthofes Vion in Bad Bramstedt leiden seit Jahren unter den Ausdünstungen des Betriebes.
Vergangenes Jahr im August, als Christina Schmidt ihren 48. Geburtstag feierte, hatte sie auf ihrer Terrasse in Bad Bramstedt eine Tafel mit Kaffee und Kuchen gedeckt – doch der Appetit ist ihren Gästen schnell vergangenen. Mit jedem weiteren Windzug aus Richtung Osten waberte eine Wolke aus Gestank in ihren Garten. Sie roch nach Tod. Auch Duftkerzen, die Schmidt aufstellte, halfen nicht. „Man hält es kaum aus, so beißend ist der Gestank. Er riecht nach Verwesung und Urin“, sagt sie mit gekräuselter Nase und fügt hinzu: „Und ich bin echt nicht empfindlich.“ Schmidt arbeitet als Intensivkrankenschwester in Neumünster – und sei einige unangenehme Gerüche gewohnt, wie sie sagt.
Schlachthof: Anwohner protestierten mit Unterschriftensammlungen
Die Mutter zweier Kinder wohnt nur 100 Meter Luftlinie entfernt vom Vion-Schlachthof – für sie ist die Quelle des Übels klar. Schon seit Jahren beklagen Anwohner des nahe gelegenen Wohngebiets August-Kühl-Straße/Graf-Stolberg-Straße über Verwesungsgeruch, der zu ihnen in die Gärten zieht. „Die Lebensqualität ist deutlich eingeschränkt“, sagt Schmidt. Einige Anwohner haben bereits Unterschriften gesammelt, sich beim Schlachthof und bei der Stadt beschwert – doch die Ursache des Gestanks konnte bisher nicht gefunden werden.
Nun haben sie einen neuen Versuch gestartet. Seit gut einem Jahr führt Daniel Seeliger ein „Geruchsprotokoll“. Immer wenn er den Gestank in seinem Garten vernimmt, notiert er das Datum, die Temperatur sowie die Windrichtung und vergibt auf einer Skala von eins bis fünf eine Zahl für die Geruchsintensität. „Besonders schlimm ist der Gestank bei heißem Wetter und Ostwind“, berichtet er.
Auch der Bürgermeisterin dreht sich der Magen um
Der 32-Jährige wohnt seit 2016 mit seiner Frau in einem Einfamilienhaus, 500 Meter Luftlinie von Vion entfernt. Bevor er eingezogen ist, hatte er zwar von dem Verwesungsgeruch gehört. „Aber ich habe die Vorwarnungen nicht ernst genug genommen“, sagt er. Lüften kann Seeliger zu Hause nur in Momenten, in denen es draußen nicht stinkt. Solche Momente kommen glücklicherweise häufiger vor. Der Gestank tritt nicht dauerhaft auf. Doch wenn er erst einmal das Wohngebiet erreicht hat, ist er für die Anwohner nur schwer zu ertragen. Seeligers Schlafzimmer liegt im Dachgeschoss. Während des Sommers heizt sich der Raum extrem auf. „Aber ich schwitze lieber, als mit Verwesungsgeruch einzuschlafen.“
Der Informatiker empfindet den Gestank als so störend, dass er sich bei der Stadt beklagt hat. Bürgermeisterin Verena Jeske kam daraufhin bei Seeliger vorbei, um sich selbst ein Bild zu machen. „Der Geruch ist wirklich unangenehm. Da dreht sich einem der Magen um“, sagt sie. Jeske lud Anfang Juli zu einer Expertenrunde ins Schloss ein. Sie bestand aus Vertretern der Stadtentwässerung, des Ordnungsamtes, der Firmen Vion und Sonac sowie Anwohnern. Das gemeinsame Ziel: Die Quelle des Gestanks ausfindig machen und beseitigen. „Die Betriebe werden nie komplett emissionsfrei sein. Aber ich bin guter Dinge, dass es weniger stinken wird“, sagt Jeske.
Offenbar liegt es an der Abwasserentsorgung im Schlachtbetrieb
Zur Erklärung: Vion und Sonac sind zwei getrennte Unternehmen. Sonac hat das Grundstück von Vion gepachtet und verarbeitet Blut von getöteten Schweinen. Die Firmen teilen sich eine Kläranlage, Sonac leitet sein Schmutzwasser in die Anlage von Vion. Dort wird das Abwasser vorgeklärt, ehe es in das städtische Klärwerk einfließt. Da es auch am Wochenende stinkt, wenn Sonac arbeitet, Vion aber nicht, liegt der Verdacht nahe, dass die Abwasserentsorgung dann nicht richtig funktioniert.
Da nicht ständig Abwasser anfällt, kann es vorkommen, dass die Freileitungen vereinzelnd trocken liegen und dadurch die Gerüche entstehen. Die Kläranlage von Vion stoppt bei Bedarf automatisch die Zufuhr des Abwassers, sobald es einen zu hohen Verschmutzungsgrad aufweist. Das Abwasser wird dann in einem geschlossenen Behälter gesammelt, bis es die Qualität erreicht hat, um in das Klärwerk eingeleitet zu werden.
Bei der Krisensitzung im Schloss haben sich die Beteiligten darauf geeinigt, dass die Anwohner sich bei den Firmen melden, sobald sie den Verwesungsgeruch erneut wahrnehmen. Um möglichst schnell über den neuesten Stand zu informieren, haben sie eine WhatsApp-Gruppe gegründet, in der sich auch Vertreter der Betriebe befinden. Auf diese Weise können die Meldungen der Anwohner mit den Arbeitsprozessen von Vion und Sonac abgeglichen werden. Anfang Oktober soll es ein erneutes Treffen geben, um die Ergebnisse zu besprechen.
Christina Schmidt stellt sich als Anwohnerin vor allem eine Frage: „Was macht der Gestank mit unserer Gesundheit?“ Sie verweist auf einen Vorfall, zu dem es 2009 gekommen sein soll. Damals stellte ein benachbarter Autohändler Sprenkel auf seinen Fahrzeugen fest, die sich in den Lack geätzt haben. „Die Autos mussten neu lackiert werden“, berichtet Schmidt. Vion hätte den Schaden bezahlt. Der Filter einer Entsalzungsanlage sei daraufhin ausgetauscht worden und das Problem nie wieder aufgetreten.
Die Arbeitsverhältnisse in Schlachthöfen sind gerade während der Corona-Krise heftig in die Kritik geraten. Für die Stadt Bad Bramstedt ist Vion ein wichtiger Arbeitgeber – für die Tierrechtler der Organisation „Animal Save“ ein Schandfleck. Sie hielten am Montag erneut eine Mahnwache vor den Toren des Schlachthofs ab. „Das Coronavirus hat uns nur wieder gezeigt, wie Pandemien mit der Industrie zusammenhängen. So werden Erreger verbreitet“, sagt Organisatorin Maren Esser. Sie bezeichnet das gesamte System als „krank“. „Jeder Verbraucher hat es mit seinem Einkauf in der Hand. Wir wünschen uns einen Wandel.“