Norderstedt. Gastronomie, Gewerbe und Praxen an der Segeberger Chaussee klagen über starke Einbußen durch die mehrmonatige Sanierung vor ihren Türen.

„Meine Nerven liegen blank“, sagt Nicole Zaczyk (51) und seufzt. Seit 13 Jahren arbeitet die Norderstedterin als Fotografin. Ihr Studio liegt an der Segeberger Chaussee Höhe der Hausnummer 243. Für ein paar Pass- oder Bewerbungsfotos müssen Kunden nun allerdings einen Hindernislauf auf sich nehmen. Bereits vor Wochen hat sich die Straße in eine Baustelle verwandelt. Noch mindestens bis Herbst wird sie saniert. Die Gehwege sind aufgerissen, mit dem Auto kann man die umliegenden Geschäfte und Restaurants zurzeit nicht erreichen. Nicole Zaczyk erlebt gerade eine Art Déjà-vu. Schon einmal hat sie wegen einer Baustelle um ihre Existenz gefürchtet.

Ihr Fotostudio richtete Zaczyk zunächst in einer alten Scheune ein – diese wurde nach einigen Jahren jedoch abgerissen. Die Fotografin zog weiter, baute sich ein neues Studio am Wilstedter Weg auf. Nach nur vier Monaten verwandelte sich die Straße in eine komplette Baustelle, und die Kunden blieben aus. „Vor lauter Angst um mein Geschäft bin ich wieder umgezogen“, sagt sie. Zaczyk mietete im Februar dieses Jahres einen 20 Quadratmeter kleinen Raum in einem Friseursalon an der Segeberger Chaussee an. Dann kam Corona. Sie musste ihren Laden acht Wochen lang schließen. Und nun – zu allem Übel – ist auch noch die Straße vor ihrer Tür gesperrt.

„Bestimmt 15.000 Euro habe ich in der ganzen Zeit verloren“, schätzt Zaczyk. Wegen doppelter Mieten, Renovierung, ausbleibendem Umsatz. Derzeit vereinbaren Kunden telefonisch Termine mit ihr. Es lohnt sich nicht für Zaczyk, den ganzen Tag im Fotostudio zu warten. „Die Laufkundschaft bleibt aus.“

Patienten kommen nicht in die Praxis zur Physiotherapie

Nebenan befindet sich das Restaurant Barolo. Normalerweise ist der Italiener mittags und abends voll. Doch seitdem der dritte Bauabschnitt zwischen dem Glashütter Kirchenweg und dem Fuchsmoorweg komplett gesperrt ist, kommen kaum noch Gäste. „Seit einigen Tagen ist fast nichts los“, sagt Kellner Otti Kurtaj.

Besonders hart trifft die Baustelle das Restaurant, weil es wegen der Corona-Krise ohnehin nur zwölf von 24 Tischen besetzen darf. Bestellungen außer Haus sind kaum noch gewünscht. Die Gäste können das Auto nur weit entfernt parken, um das Essen abzuholen. Wer sich unerlaubt vor die Baustelle stellt, bekommt einen Strafzettel. „Wir bleiben aber optimistisch“, sagt Kurtaj, „unsere Stammkunden unterstützen uns.“

„Warum reißt man eine Straße auf, wenn gerade die Welt untergeht?“

Ein großes Problem stellt die Straßensanierung auch für die Patienten der Praxis für Physiotherapie von Vanessa Wachtel dar. „Viele unserer Patienten sind nicht mehr gut zu Fuß. Wer auf einen Gehwagen angewiesen ist, hat seit zwei Wochen keine Chance, zu uns zu gelangen“, sagt Wachtel. Es ginge ihr dabei nicht um den finanziellen Ausfall, den sie durch die Baustelle hätte – sondern um die Menschen. „Zu uns kommen Leute, die angewiesen sind auf die Behandlungen. Schon während der akuten Corona-Krise konnten viele ihre Termine nicht wahrnehmen, weil sie zu den Risikopatienten gehören.“

Sonja Lampen (74) ist Patientin bei Vanessa Wachtel und einmal in der Woche bei ihr in Behandlung. Sie ist unter erschwerten Bedingungen mit dem Fahrrad zur Praxis gekommen. „Ich habe das Rad durch den Sand geschoben und über einen 40 Zentimeter hohen Bordstein gehoben“, berichtet sie. „Ich finde das eine Frechheit. Es geht hier um Menschen, die zur Therapie müssen.“

Der Pflanzenhof Grau spürt bisher geringere Auswirkungen als die anderen Betriebe an der Segeberger Chaussee. Der Streckenabschnitt vor dem Gartencenter wird erst nächstes Jahr saniert. Und trotzdem ärgert sich der Inhaber: „Ich will niemanden kritisieren. Aber warum reißt man eine Straße auf, wenn gerade die Welt untergeht?“, fragt Volker Grau. Davon hingen Existenzen ab, die es während der Corona-Krise schon schwer genug hätten.

Die Arbeiten entlang einer der wichtigsten Verkehrsadern der Region – und der einzigen Ost-West-Tangente Norderstedts – haben eine lange Geschichte. Schon 2012/2013 gab es die erste Bauphase im Bereich Hummelsbütteler Steindamm/B 432. Der zweite Bauabschnitt folgte drei Jahre später mit dem Teilstück zwischen dem Fuchsmoorweg und dem Hummelsbütteler Steindamm. Damals gingen Verwaltung und Politik noch davon aus, dass es 2017 weitergehen würde.

Ein vierter Abschnitt fehlt noch

Doch weit gefehlt. Die Stadt und der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr stritten um die Straßenbreite: Norderstedt wollte 50 Zentimeter weniger Fahrbahn zugunsten eines breiteren Fuß- und Radwegs. Der LBV lehnte ab. Er ist verantwortlich, trägt allerdings auch 80 Prozent der Baukosten. Über Jahre wurden die immer größer werdenden Schlaglöcher immer wieder notdürftig repariert, doch letztlich geht es auch um die Verkehrssicherheit, die ohne weitere Sanierung infrage stand. Abschnitt Nummer vier fehlt noch – und zwar vom Hummelsbütteler Steindamm bis zum östlichen Ortsausgang. Wann es weitergeht, ist Sache des LBV. Vermutlich 2021, aber offiziell bestätigt wird das nicht.

Und dann fehlt ja noch der längste, drei Kilometer lange Teilbereich vom Ochsenzoll-Knoten bis Glashütter Kirchenweg. Hier gibt es keinen Zeitplan, Politiker gehen von einem Projekt aus, das eher langfristig zu sehen ist – vielleicht erst in zehn Jahren.