Norderstedt. Ex-Oberbürgermeister und Ex-Minister Hans-Joachim Grote strebt kein politisches Amt mehr an – stattdessen will der 65-Jährige jetzt malen.
Plötzlich ist er Ruheständler. Unerwartet, von einem Tag auf den anderen ist er nicht mehr der Innenminister von Schleswig-Holstein. Hans-Joachim Grote ist zurückgetreten und kam damit ganz offensichtlich einem Rauswurf durch Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zuvor. „Im Zuge eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gegen einen Beamten der Landespolizei ist dem Ministerpräsidenten in den vergangenen Tagen auch der Schriftwechsel zwischen mir und einem Journalisten übermittelt worden“, hatte Grote in seinem Rücktrittsschreiben formuliert.
Nun sitzt er in seinem Haus in Norderstedt und will den Rücktritt zunächst einmal nicht mehr kommentieren. „Die unruhigen Nächte direkt danach sind vorbei“, sagt der Ex-Oberbürgermeister von Norderstedt, der am 28. Juni 2017 ins Kabinett aufgerückt war. Gut zwei Jahre hätte er das Ministerium noch führen können, wenn alles nach Plan gelaufen wäre. Ist es aber nicht. „Ich habe von Anfang gesagt, dass ich eventuell nicht die gesamte Amtszeit wahrnehmen werde. Und mit 65 habe ich das Rentenalter ohnehin erreicht“, sagt der Privatier wider Willen, grinst verschmitzt und hätte sich nach mehr als 40 Jahren im öffentlichen Dienst dann doch einen anderen Abschied gewünscht.
Als Minister legte Grote 80.000 Kilometer im Jahr zurück
Spannend war es, das Land mitzugestalten. „Die Landesplanung lag mir immer am Herzen“, sagt Grote. Und die kommunale Familie. Die hat den Chef einer Landesbehörde mit 14.500 Mitarbeitern besonders gefordert. 1300 Feuerwehren und 1106 Städte und Gemeinden gibt es im nördlichsten Bundesland, nur 396 hingegen in Nordrhein-Westfalen, mit knapp 18 Millionen das bevölkerungsreichste Bundesland, in dem sechsmal so viele Menschen wohnen wie in Schleswig-Holstein. „Es hat in Schleswig-Holstein nie eine Gebietsreform gegeben“, sagt Grote.
Ob jemand 100 oder ein Feuerwehrmann für langjährigen Einsatz geehrt wurde, der Innenminister kam, lobte und gratulierte. Legte im Vorjahr 80.000 Kilometer in seinem Dienstwagen zurück, saß mehr im Auto als am Schreibtisch im Kieler Ministerium. „Sie lernen Orte kennen, von denen sie vorher nicht wussten, dass es sie gibt“, sagt der Ex-Minister, das habe er unterschätzt. „Diese Kleinteiligkeit ist gut. In den Dörfern funktioniert die Nachbarschaft, klappt die Hilfe, die der Staat gar nicht in vollem Umfang leisten kann“, sagt Grote, dem sein CDU-Parteibuch nie so wichtig war. Er wollte die Situation der Städte und Gemeinden verbessern. Verbands- statt Parteiarbeit – unter diesem Motto engagierte sich der ehemalige Norderstedter Verwaltungschef im Städte- und Gemeindebund und brachte es dort bis zum Ersten Vizepräsidenten.
Als Parteisoldat hätte er in Norderstedt keine Chance gehabt. „Demokratie lebt von Mehrheiten“, sagt der Mann, der 1995 als Baudezernent anfing, 1998 in einem Wimpernschlagfinale gegen Sozialdezernent Harald Freter den Chefsessel im Rathaus eroberte und dort knapp 19 Jahre lang wirkte, bis Daniel Günther ihn in die Landesregierung berief. Als Norderstedter Verwaltungschef musste er den Grünen auch schon mal Zugeständnisse machen, damit die nötige Mehrheit zustande kam und der städtische Haushalt beschlossen wurde. „Was wäre die Alternative gewesen, kein Haushalt?“
„Als ich in Norderstedt anfing, ging es nur um Straßenbau“
Ohnehin wurde Grotes Politik mit der Zeit grüner, erkannte der Verwaltungschef, dass sich die Gesellschaft wandelt. „Als ich hier anfing, ging es nur um Straßenbau, die Verlegung der B 432 mitten durch die Stadt und den Ausbau des Knotens Ochsenzoll“, erinnert sich der langjährige Oberbürgermeister. Vor 25 Jahren dominierte das Auto, jetzt gehe es um klimafreundliche Mobilität und Nachhaltigkeit, urgrüne Themen. Als grün gefärbter und liberaler Christdemokrat hat Grote auch an der Jamaika-Koalition mitgebaut und seinen Anteil daran gehabt, dass das Bündnis ziemlich geräuschlos arbeitet.
„Norderstedt weiterzuentwickeln, war fordernd und spannend zugleich. Es herrschte eine richtige Aufbruchstimmung“, lautet Grotes Bürgermeister-Bilanz. In seine Amtszeit fiel ein Projekt, mit dem Norderstedt ein bundesweites Ausrufungszeichen gesetzt habe: Vor gut 20 Jahren ging wihlem.tel an den Start und damit das stadtweit flächendeckende Glasfasernetz, das Norderstedt zur Breitband-City Nummer eins in Deutschland gemacht habe. „Heute sind schnelle Datenautobahnen Standard, allein damit können sie kein Unternehmen mehr nach Norderstedt locken“, sagt Grote. Schon jetzt sei Schleswig-Holstein zu 40 Prozent mit leistungsstarken Datenleitungen versorgt und damit bundesweit führend. In fünf Jahren sei das Land weitgehend erschlossen, der ländliche Bereich gewinne an Attraktivität. „Die Corona-Krise wird dazu führen, dass das Arbeiten zu Hause dauerhaft zunehmen wird. Und da wird der ländliche Raum mit seinen Datenautobahnen attraktiv. Nicht mehr die Mobilität auf den Straßen zählt, sondern die Flexibilität und Stärke von Kommunikation und Information per PC, Laptop oder Handy“, sagt Grote.
Norderstedt habe von seiner Lagegunst, der Nähe zu Hamburg, profitiert. Aber was bietet die Stadt noch, warum soll sich ein Unternehmen hier ansiedeln? Da komme das Image ins Spiel. Wer als Stadt oder Gemeinde nachhaltig und innovativ sei, sei als Standort interessant. Norderstedt als Experimentierfeld für das autonome Fahren oder als Fahrradstadt – das könnten Projekte mit Innovationskraft sein, mit denen Norderstedt mal wieder bundesweit Furore machen könne. Und da heiße es eher, nicht kleckern, sondern klotzen: „Mit einer Schritt-für-Schritt-Strategie wird man nicht zum Innovationstreiber“, sagt der 65-Jährige, der betont, er wolle weder der Verwaltung noch den Politikern Ratschläge erteilen. Es handele sich um rein private Gedanken eines Menschen, der nach wie vor gern in Norderstedt wohnt und bleiben will.
Ihm habe immer gefallen, dass „Norderstedt keine richtige Stadt ist, mit einem Zentrum und Fußgängerzone“, sondern ein Zusammenschluss aus vier, mit Norderstedt-Mitte sogar fünf Stadtteilen, die den Menschen Identifikation, Nachbarschaft und Vertrautheit böten. „Bis heut sehen sich viele als Garstedter, Glashütter, Friedrichsgaber und Harksheider“, sagt Grote, der verheiratet ist und zwei erwachsene Kinder hat. Seine Frau Doris ist für die CDU auf Kreisebene aktiv - zurzeit ist sie kommissarische Vorsitzende der Kreistagsfraktion. Mit den überschaubaren Quartieren habe Norderstedt sich bewahrt, was in der Stadtentwicklung allgemein ein zentrales Thema ist: Wohnen, Einkaufen, Arbeiten – alles um die Ecke.
Grote muss offiziell bei der Stadt nach einem Job fragen
Grote betont, dass er ein politischer Mensch bleibe, einer, der gern und leidenschaftlich mit Freunden diskutiere. Ämter oder politische Mandate strebe er aber nicht mehr an. Grote ist von nun an Privatier, muss aber noch ein bürokratisches Kuriosum abwickeln: Nach dem vorzeitigen Ende in Kiel muss er ganz offiziell bei der Norderstedter Verwaltung anfragen, ob sie einen Job für ihn hat, nicht irgendeinen, sondern eine Stelle mit gleichem Rang und gleicher Besoldung, wie er sie innehatte. Soll heißen: das Amt des Oberbürgermeisters. 2016 wurde er zum vierten Mal an die Spitze der Stadtverwaltung gewählt und wäre dort bei sechsjähriger Amtszeit bis zum 30. November 2022 geblieben. 2017 ging Grote als Minister nach Kiel. Nach dem Ende an der Förde müsste er jetzt seinen Dienst als Oberbürgermeister fortsetzen. Doch das Amt ist vergeben. Und selbst wenn nicht, müsste Grote sich einer Direktwahl durch die Bürger und eventuellen Konkurrenten stellen. Da er also nicht auf den Chefsessel im Rathaus zurückkehren wird, wird er die Bezüge von der Stadt kassieren und sich seinen Hobbys widmen: Golf spielen, reisen, Ausstellungen besuchen und Kunstgeschichte studieren – und sich damit den Hintergrund für seine liebste Beschäftigung verschaffen: das Malen. „Ich freue mich auch darauf, mal in Ruhe ein Buch lesen zu können“, sagt der Mann, der völlig unerwartet zum Pensionär wurde, die überraschende Lebenswende nun aber genießen will.