Norderstedt. Viele Menschen schaffen zu Hause während der Corona-Zeit Ordnung. Mitarbeiter der Recyclinghöfe und Kleiderkammern haben viel zu tun.
Aufräumen, ausmisten, abstoßen – was in Privathaushalten normalerweise gern aufgeschoben wird, hat in Corona-Zeiten Hochkonjunktur: Recyclinghöfe erleben in diesen Tagen außergewöhnlich starken Zulauf, Kleiderkammern können sich vor Klamotten kaum retten. 30 Prozent mehr Textilien als sonst landeten nach Angaben des DRK in den Containern und der Annahmestelle der Kleiderkammer in Norderstedt. Der Ansturm auf die Secondhand-Ware ist groß, zum Teil stundenlanges Warten die Folge.
Auf dem Recyclinghof Norderstedt steigt Uwe Skirrath aus seinem Kombi, rückt seine Maske über Mund und Nase und zieht das Netz von seinem Pkw-Anhänger. Mehrere Gartenstühle kommen zum Vorschein. Sie haben ihre besten Tage hinter sich. Uwe Skirrath will sie loswerden. Zehn Minuten habe er Schlange gestanden, bis er auf den Hof fahren durfte, erzählt der Rentner aus Norderstedt. ,,Neulich habe ich hier anderthalb Stunden gewartet. Immer nur einer rein, einer raus. Was will man machen? Man muss es akzeptieren.“
Dass es diesmal flotter geht, hat einen Grund: Es ist der zweite Tag, an dem sich bis zu zehn Kundenfahrzeuge gleichzeitig auf den Hof aufhalten dürfen. Neun Mitarbeiter in orangefarbenen Westen wuseln über das Gelände und sorgen für einen reibungslosen Ablauf. Einer von ihnen ist Helge Sahm, Umweltschutztechniker vom Wege-Zweckverband (WZV) Segeberg, der den Hof in Norderstedt betreibt. Sahm nimmt das verwitterte Holz auf dem Hänger in Augenschein, fragt Uwe Skirrath, woher er kommt. Dann weist er dem Kunden Rampenplatz 7 zu. Dort verbirgt sich einer der großen Sammelcontainer für Holz.
Jeden Tag kommen 250 bis 300 Fahrzeuge zur Oststraße
,,Es läuft gut, die Kunden sind inzwischen sehr gut vorbereitet“, sagt der Umwelttechniker. Vor 14 Tagen sei das noch anders gewesen. ,,Es war schlimm. Viele haben ihren ganzen Kram gesammelt und versucht, ihren Hausmüll bei uns loszuwerden“, erzählt Sahm. ,,Die Leute haben richtig ausgemistet.“ Auch Kleingewerbetreibende kommen mit ihren Utensilien auf den Hof. ,,Die Gärtner bringen Sträucher, die Tischler Holz, die Maler Farbreste und Eimer. Privatleute schauen in ihren Keller und stellen fest: ,Oh, die Gartenmöbel sehen ja gar nicht mehr gut aus. Da müssen wir mal zum Baumarkt, was Neues kaufen.‘“
Bei täglich 250 bis 300 Fahrzeugen auf dem Hof stets den Überblick zu behalten, ist gar nicht so leicht. Zwei Mitarbeiter kümmern sich an der Oststraße ausschließlich darum, dass beim Sonderabfall alles ordentlich abläuft. Ein Mitarbeiter kontrolliert die Pforte, weitere Mitarbeiter beobachten, ob die Abstände auf dem Gelände eingehalten werden.
In der riesigen Halle hinter der Rampe schiebt ein Radlader Wertstoffe für den Abtransport zusammen. 120 Tonnen Hausmüll, 30 bis 40 Tonnen Altpapier und 20 bis 30 Tonnen Sperrmüll gelangen täglich auf den Hof. ,,80 Kubikmeter Grünabfall und 35 bis 40 Kubikmeter Sperrmüll bringen Privatleute zu uns“, sagt Helge Sahm.
Seit 20. April sind die Recyclinghöfe im Kreis Segeberg wieder geöffnet. ,,Es ist sehr viel los, aber es läuft super. Die Kunden wissen genau, was sie uns bringen. Damit verkürzen sich die Aufenthaltszeiten. Das war vor Corona nicht so“, sagt Julia Büttner, Leiterin für nachhaltige Entwicklung im WZV, der neben dem Hof in Norderstedt Recyclinghöfe in Bad Segeberg, Schmalfeld und Damsdorf/Tensfeld bewirtschaftet. Die Zeiten, in denen Kunden mal schnell eine alte Lampe loswerden wollten, sind vorbei. ,,Die Leute kommen mit mittleren Mengen“, sagt Julia Büttner.
Wer seine Waschmaschine oder Sofa selbst auf dem Recyclinghof entsorgen will, sollte sich allerdings Hilfe organisieren: Von den Wertstoffhof-Mitarbeitern ist aufgrund des Abstandsgebotes beim Abladen in Corona-Zeiten keine Unterstützung zu erwarten.
Acht Wochen lang war die Kleiderkammer in der Ochsenzoller Straße in Norderstedt geschlossen. ,,Es ist reichlich ausgemistet worden, die Leute hatten viel Zeit“, sagt Christoph von Hardenberg, Vorstandsvorsitzender des DRK Norderstedt. Da die Teams die Kleidungsstücke, von denen ein Großteil in sehr schlechtem Zustand gewesen sei, nicht sortieren konnten, wurden die Lumpen in den ersten Wochen säckeweise direkt an den Verwerter Soex abgegeben, der daraus Dämmstoffe herstellt. Der Erlös aus den Altkleidern kommt gemeinnützigen Projekten des DRK zugute.
Lager der Kleiderkammer des DRK ist sehr gut gefüllt
Seit vier Wochen ist die Kleiderkammer nun wieder geöffnet. ,,Unsere Lager sind prall gefüllt. Wir bekommen deutlich mehr Ware und arbeiten am Limit“, sagt Hardenberg. Auch an den Wochenenden wird fleißig sortiert. Es wird in Teams von zehn bis zwölf Mitarbeitern pro Schicht gearbeitet. Hochwertige Kinderkleidung ist in sehr großer Auswahl vorhanden. ,,Wir haben zurzeit viele sehr schöne Kinderklamotten, die wir gern in gute Hände abgeben“, sagt der DRK-Chef.
Das Sortiment an Kleidungsstücken ist nahezu unbegrenzt. Vom Sommerkleid über Jeans, Jacken, Mäntel, Shirts bis hin zum Schlüpfer – für alles finden sich Abnehmer. Mal schnell die Kleiderständer durchstöbern oder wild in den Wäschekörben herumwühlen? Das war noch nie schön und ist in Corona-Zeiten passé: Um die strengen Hygienevorschriften zu erfüllen und den direkten Kontakt mit den Mitarbeiterinnen und den frisch gewaschenen Secondhand-Textilien zu vermeiden, müssen sich Kunden anstellen, einzeln hervortreten und ihren Personalausweis vorlegen. Und auch das ist neu: In Corona-Zeiten sind nur Norderstedter bezugsberechtigt – Hamburger, die normalerweise 80 Prozent der Kundschaft der Kleiderkammer ausmachen, bleiben bis auf Weiteres außen vor.
Zunächst wird der Name des Kunden oder der Kundin notiert, dann nimmt eine Mitarbeiterin hinter Plexiglas geschützt die Wünsche entgegen und trifft für sie eine Vorauswahl. So kann eine Kundin anschließend beispielsweise zwischen zwei oder drei Sommerkleidern auswählen. Das Kleid, das ihr am besten gefällt, darf sie mitnehmen.
Nur ein bis zwei Kunden werden auf diese Weise gleichzeitig bedient. Die Aufenthaltsdauer beträgt 15 Minuten. ,,Die meisten Kundinnen nehmen gleich 20 bis 25 Kleidungsstücke mit. Das ist normal“, sagt Hardenberg. ,,Wir gehen davon aus, dass diejenigen, die zu uns kommen, bedürftig sind. Wir kontrollieren das nicht. Wir sind keine Sozialpolizei. Uns ist es wichtig, dass die Stücke wiederverwertet werden.“